Wirtschaftsexperte als malischer Staatschef
11. August 2013Im Stadtteil Aci 2000, dem neuen Geschäftsviertel von Bamako, dröhnt Musik aus Lautsprechern. Sie soll die Anhänger von Präsidentschaftskandidat Soumaïla Cissé bei Laune halten. Denn bis zur Stichwahl am Sonntag (11.08.2013) müssen noch einmal so viele Unterstützer wie möglich mobilisiert werden. Gerade in Bamako könnte das schwierig werden. Die Hauptstadt ist die Hochburg seines Kontrahenten Ibrahim Boubacar Keïta.
Schon im ersten Wahlgang erhielt IBK, wie Ibrahim Boubacar Keïta genannt wird, in allen Bezirken mehr als 60 Prozent der Stimmen. Cissé frotzelte: "Das ist sehr merkwürdig, dass jemand ohne Ausnahme in allen Wahllokalen von Bamako gewonnen hat. So etwas habe ich bei noch keiner Wahl erlebt." Doch trotz aller Kritik überwiegt die Erleichterung bei ihm und seinen Wählern. Mit gerade einmal landesweit 19 Prozent der Stimmen schaffte Cissé den Einzug in die zweite Runde.
Viele Stimmen aus dem Norden
Die Wählerhochburgen des 63-jährigen Cissé sind die Stadt Mopti und die umliegende Region sowie die Stadt Timbuktu. Das Städtchen Niafunké bei Timbuktu ist Cissés Heimatort. Jean-Hervé Jezequel, Experte für Mali und Niger der nichtstaatlichen Organisation International Crisis Group, warnt allerdings davor, ihn als Kandidaten des Nordens zu bezeichnen. "Das ist zu vereinfacht dargestellt." Wie Kontrahent Keïta, wirbt auch Cissé mit dem Slogan "Malis nationale Einheit muss erhalten bleiben". Außerdem will er einen nachhaltigen Frieden mit der Volksgruppe der Tuareg aushandeln.
Doch dass auch die Stadt Kidal in die "nationale Einheit" eingebunden werden muss, demonstrierte er sehr viel später als Konkurrent Keïta. Erst wenige Tage vor der ersten Wahlrunde am 28. Juli 2013 flog Cissé in die Stadt, die noch immer von der Befreiungsbewegung von Azawad (MNLA) beherrscht wird. Davor hieß es von Parteifreunden: Ein Besuch in Kidal sei zu gefährlich. Mittlerweile sollen führende MNLA-Vertreter dazu aufgerufen haben, IBK zu wählen.
Wirtschaft muss endlich wachsen
Als Kernkompetenz Cissés arbeiten dessen Anhänger lieber seine Fähigkeiten in der Wirtschaft heraus. Cissé, der in den 1970er Jahren in Dakar und Montpellier Informatik studierte, war von 1993 bis 1997 Finanz- und Wirtschaftsminister. Von 2004 bis 2011 stand er der westafrikanischen Währungsunion vor. Diese Erfahrung würde ihm nun helfen, das Land wieder auf die Beine zu stellen, sagt Modibo Kamara, der seit 43 Jahren mit ihm befreundet ist: "Wenn es für die Menschen keine Minimalversorgung gibt, wenn sie nichts zu essen haben, keinen Strom, kein Trinkwasser, dann werden sie sich gegen diese Verhältnisse auflehnen. So steht es in Soumaïlas Programm."
Das klingt banal, beschreibt jedoch Malis entscheidende Probleme. Das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf wurde für das Jahr 2012 vom "World Fact Book" gerade einmal auf umgerechnet knapp 830 Euro geschätzt. Außerhalb Bamakos gilt die Infrastruktur als extrem schlecht. Das Kinderhilfswerk Unicef geht beispielsweise davon aus, dass nur etwa jedes fünfte Kind Zugang zu Sanitäreinrichtungen hat. All dies, so die Einschätzung vieler Malier, habe auch zur Unzufriedenheit unter den Tuareg beigetragen.
Keine Angst vor internationalem Druck
Für die Zukunft Malis setzt Cissé auf finanzielle Unterstützung von außen. Er begrüßte die durch internationale Geber angekündigten rund zwei Milliarden Euro deshalb ausdrücklich. Dass mit dem Geld auch Einfluss und Druck auf Mali ausgeübt werden könnten, befürchten er und seine Anhänger nicht: "Uns ist wirklich jede Hilfe willkommen", sagt Kamara.
Das gilt auch im Hinblick auf die Ausbildung der Armee. Mali steht nicht nur vor wirtschaftlichen Problemen, auch die Staatssicherheit gilt es zu verbessern. Seit Ende April läuft deshalb die Trainingsmission der Europäischen Union im Städtchen Kolikoro, an der auch die Bundeswehr mit rund 100 Soldaten beteiligt ist. "Soumaïla ist sehr glücklich darüber und 100-prozentig damit einverstanden", erklärt Kamara.
Etwas distanziert, aber gesprächsbereit
Bei öffentlichen Auftritten wirkt Soumaïla Cissé weniger volksnah als sein Gegenkandidat Ibrahim Boubacar Keïta. Allerdings: Cissés Privathaus im Stadtteil Badalabougou ist nicht von hohen Mauern umgeben. Wer ihn sprechen möchte, wird selbstverständlich ins Empfangszimmer gebeten. Auch im Kampagnen-Büro in Aci 2000 gewährt ein Mitarbeiter Zugang in das Vorzimmer von Cissé. Mehr als 20 Menschen sitzen dort eng beieinander auf den Sofas. "Man muss zwar warten, aber unser Kandidat spricht tatsächlich mit den Leuten," sagt er.
Soumaïla Cissés Art, mit Menschen umzugehen, sorgt auch bei Wähler Agaly Nidinkaytane für Begeisterung. "Das, was man über ihn sagt, gefällt mir. Ich habe gehört, dass er sich für Menschenrechte einsetzt. Das schätze ich sehr."