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"... wisse immer, was du sagst"

Bettina Kolb5. Oktober 2002

Michel Houellebecq ist ein Provokateur – darin ist er gut. Weil er den Islam in einem Interview "die dümmste aller Religionen" genannt hat, sitzt er in Paris auf der Anklagebank – und plädiert für die Meinungsfreiheit.

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Kritisch und pessimistisch: Michel HouellebecqBild: Michel Houellebecq

Betrunken sei er gewesen, der Herr Houellebecq, zur Zeit des Interviews. Das zumindest sagt der Journalist, der den französischen Autor im August 2001 zum Gespräch traf. Das Interview erschien im September 2001 in der französischen Literaturzeitschrift Lire. Schwarz auf weiß war dort zu lesen wie es bei Houellebecq um die Gretchenfrage steht: "Der Islam ist nun wirklich die dümmste aller Religionen. Wenn man den Koran liest ist man erschüttert, wirklich erschüttert." Als "gefährliche Religion" bezeichnete er den Islam und auf Nachfrage seines Gesprächspartners, ob er den Islam verachte oder hasse, sagte der Autor: "Ja, ja, man kann von Hass sprechen."

Buchcover: Houellebecq - Plattform
Gretchenfrage: Wie hält es Houellebecq mit der Religion?

Nur wenige Tage zuvor erschien sein jüngster Roman Plattform, in dem der Protagonist Hass- und Rachegedanken gegen den Islam hegt. Aber es geht den Anklägern, die Houellebecq wegen "rassistischer Beleidigung" und "Anstiftung zum Rassenhass" belangen wollen, nicht um das Werk allein – erst im Zusammenhang mit dem Interview war der Eklat geboren. Vier islamische Vereinigungen darunter die Islamische Weltliga und der Nationale Bund der Muslime Frankreichs (FNMN) fechten gegen Houellebecq ein Duell: Religion gegen Meinungsfreiheit.

Sollte der Autor verurteilt werden, drohen ihm bis zu ein Jahr Haft und eine Geldstrafe von 45.000 Euro. Mit einem Urteil ist frühestens am 22. Oktober zu rechnen – es deutet sich jedoch bereits an, dass Houellebecq freigesprochen wird.

Autor oder Bürger?

"Literatur darf alles, weil Kunst alles darf", sagt Hille Haker, Literaturwissenschaftlerin und Ethikerin an der Universität Tübingen im Gespräch mit DW-WORLD. "Aber wenn ein Schriftsteller meint, sich politisch äußern zu müssen, dann muss er sich dafür verantworten, wie jeder andere Bürger." Diese Meinung vertritt auch Johano Strasser, Vorsitzender des PEN-Zentrum Deutschland. Französische Literaten hingegen verteidigen Houellebecq; das Interview sei Teil seiner literarischen Äußerung, und nur wegen des Romans zustande gekommen. Es handle sich folglich um künstlerisches Wort und das sei frei.

Keine Zensurschere

Den Ruf als Provokateur hat Houellebecq nicht grundlos – provokante Äußerungen haben ihn populär gemacht. "Provokationen haben eine lange Tradition und den Sinn, eingetrübte Bigotterien aufzuspüren und Raum für neue Ideen zu schaffen", sagt Johano Strasser im Gespräch mit DW-WORLD. Religionen sollten nicht so schnell beleidigt sein, wenn sie kritisiert würden. "Sonst müsste man nachträglich Voltaire verbieten, wenn Angriffe auf die christliche Religion verboten würden." Außer Frage steht somit die Freiheit literarischer Arbeit. "Die Literatur muss einen Spiegel vorhalten können, jenseits der Moral. Sie muss extreme Beschreibungsformen von Realität zulassen", sagt Hille Haker. Johano Strasser betont, Literatur müsse einseitig sein dürfen und zu weit gehen dürfen, sonst sei sie langweilig. "Es stellt sich aber die Frage, wie scharf man Religion kritisieren darf", gibt Johano Strasser zu bedenken. "Aus meiner Sicht gibt es Personen, die den Islam leichtfertig und pauschal verurteilen." Houellebecq gehöre dazu.

Den Aufschrei, den Houellebecqs Äußerungen in der islamischen Welt ausgelöst haben, erklärt der Islamwissenschaftler Stefan Wild von der Universität Bonn mit dem Gefühl der Ohnmächtigkeit vieler islamischer Nationen gegenüber den immer noch als Kolonialmacht empfundenen Westen: "Wenn das Kulturen wären, die nicht mit Selbstzweifeln kämpfen würden, dann könnten sie so einen Angriff abschütteln wie Regenwasser."

"Süchtig nach Aufregung"

Houellebecq selbst hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass all seine öffentlichen Äußerungen Teil seiner künstlerischen Selbstinszenierung seien. Doch selbst wenn sich der Bürger Houellebecq äußert und nicht der Autor, wie schwer wiegt sein persönlicher Hass auf den Islam in der Gesellschaft?

Strasser vergleicht den Skandal, den Houellebecqs Aussagen hervorgebracht haben mit den Debatten um die Autoren Peter Handke und Martin Walser. "Angeblich kommt ein Skandalbuch nach dem anderen auf den Markt. Die Gesellschaft ist süchtig nach Aufregung." Da werde die Werbetrommel gerührt, und "wenn man genau hinsieht, stellt man fest, so skandalös ist das Werk nicht."

Ganz im Gegenteil: "Dass Houellebecq so viel Aufsehen erregt, zeigt doch, dass er Probleme anspricht, die in der Gesellschaft virulent da sind", sagt Strasser. Der Autor, der seinen Prozess im Gerichtssaal 17 des Pariser Palais de Justice entspannt verfolgt, schreibt vor allem über eines: die Suche nach der wahren Liebe, die zum Scheitern verurteilt ist. Der Pessimist Houellebecq ist kein Menschenhasser – aber Realist genug, die aggressiven Tendenzen in der Gesellschaft wahr zu nehmen. Provokation, so schmerzlich sie für andere sein mag, ist für ihn ein Spiel.