Jenseits der Virtualität
4. Februar 2010Der Festsaal Kreuzberg ist gut gefüllt. Eigentlich finden in diesem alternativen Veranstaltungsort Szenepartys statt. An diesem Nachmittag trifft sich hier jedoch die Berliner Netzwelt erstmalig zur Social Media Week. Eine Woche lang diskutieren hier Blogger, Internet-Initiatoren, Start-Up-Unternehmer oder auch einfach nur interessierte Nutzer, die gerne und viel Zeit im Netz verbringen, über die aktuellen Entwicklungen ihrer virtuellen Welt. "Es ist technisch so leicht geworden, einen eigenen Blog einzurichten oder der gesamten Welt mit Facebook und Co Nachrichten zu schicken", sagt Mitorganisator Bastian Unterberg. "Das hat die soziale Struktur des Internet ganz deutlich verändert."
Virtuelle Freunde werden reell
Social Media bedeutet zu deutsch soziale Medien. Dazu zählt Unterberg alle interaktiven Netzgemeinschaften. Das heißt alle diejenigen Plattformen, die einen gegenseitigen Austausch von Informationen, Meinungen und Eindrücken möglich machen. Sicherlich ein Angebot für die eher jüngere Generation: Der Altersdurchschnitt der rund 150 Teilnehmer liegt bei etwa 30 Jahren. Normalerweise treffen sich diese Menschen virtuell, kennen voneinander getippte Beiträge und vielleicht noch ein dazugehöriges Foto.
Sozial gestörte junge Erwachsene, die verlernt haben, mit Gesprächspartnern aus Fleisch und Blut zu reden? Im Gegenteil: Nicht-virtuelles Geschnatter vibriert im Festsaal Kreuzberg und widerlegt deutlich das weitverbreitete Klischee von mundfaulen Internetsüchtigen. Die Teilnehmer zeigen sich noch nicht einmal überrascht, dass es auf der Konferenz keinen drahtlosen Internetzugang gibt.
Wieviel Öffentlichkeit verträgt das Private?
Teilnehmer Simon Kolumbus hat zwar einen Laptop auf dem Schoß, benutzt ihn aber nur, um Stichpunkte über eine gerade laufende Podiumsdiskussion einzutippen. "Nur weil man immer online sein kann, heißt es ja nicht, dass man auch immer online sein muss", sagt der 19-jährige Simon. "Wenn man ständig online ist, wird Kommunikation zu einem permanenten Hintergrundrauschen und verliert den eigentlichen sozialen Wert. Es ist wirklich wichtig, auch mal abschalten zu können."
Der 19-Jährige findet, dass viele Nutzer viel zu leichtfertig mit ihrer Privatsphäre umgehen, wenn sie beispielsweise Fotos von der letzten durchzechten Partynacht ins Netz stellen. Ähnlich auch das Fazit der Podiumsdiskussion "Verantwortung im Internet", die Simon gerade besucht. Einer der Referenten rät: "Veröffentlicht nur, wenn ihr damit leben könntet, dass es am nächsten Tag in der Zeitung steht."
Früher war auch nicht alles besser
Auch das Streitgespräch zwischen der Blogger-Größe Sascha Lobo und dem Kolumnisten Hajo Schumacher ist gut besucht. Letzterer fürchtet, dass die Jugend sich im Internet verliert und dadurch mit dem tatsächlichen Leben immer weniger klar kommt: "Viele Eltern machen sich Sorgen, weil sie an ihre Kinder nicht mehr ran kommen." Sascha Lobo kontert: "Sorgen von Eltern, weil sie an ihre Kinder nicht mehr drankommen, sind 9000 Jahre alt."
Er ist es leid, dass die ältere Generation der jeweils amtierenden Jugend oftmals Unzurechnungsfähigkeit attestiert. Für ihn sind die sozialen Medien vielmehr eine Chance für aktiv gelebte Basisdemokratie: "Für mich persönlich sind die sozialen Medien ein super Kanal, der es möglich machen kann, die Welt zu verbessern. Und es ist nun unsere Aufgabe, diese Möglichkeit so gut wie möglich wahrzunehmen."
Gleichzeitg räumt Lobo ein: Die Sozialen Medien stehen noch am Anfang – noch ist nicht klar, wohin die Reise geht. Und daher wird es wohl noch einige Konferenzen wie die Social Media Week geben. Denn der Redebedarf über die Chancen und Risiken interaktiver Plattformen ist groß – und das nicht nur virtuell.
Autorin: Nadine Wojcik
Redaktion: Manfred Götzke