Wut der Bauern bricht sich Bahn
7. September 2015Den zuständigen Politikern in den EU-Zentralen wollen sie einmal ordentlich einheizen: Viele europäische Landwirte kämpfen um ihre Existenz und Tausende sind in das Brüsseler EU-Viertel gezogen, um ihrer Verzweiflung und Empörung Luft zu machen. Am Rande eines EU-Krisentreffens zogen sie mit Traktoren und ohrenbetäubenden Hupkonzerten auf und verlangten sofortige Hilfen insbesondere für den Milchsektor.
Die belgische Polizei setzte Tränengas und Wasserwerfer ein, weil Bauern mit Traktoren die Straßensperren demolierten. Demonstranten bewarfen die Sicherheitskräfte mit Eiern, Feuerwerkskörpern, Heuballen und Ästen. "Bauern brauchen eine fairen Preis", "Der Milchmarkt brennt, die Politik pennt!" und "Wir ernähren Euch, aber wir gehen kaputt", war auf ihren Plakaten zu lesen.
Nach Angaben des europäischen Bauernverbandes Copa Cogeca beteiligten sich insgesamt 7000 Landwirte mit 2000 Fahrzeugen an dem Protest - darunter rund 800 aus Deutschland. Auch andere Erzeuger wie Schweine- und Rinderzüchter, die unter dem Preisverfall für ihre Produkte leiden, waren dabei.
Auch viele der rund 80.000 Milchbauern in Deutschland stehen vor dem Aus, weil der Milchpreis zuletzt rasant von rund 40 Cent pro Kilo Rohmilch auf unter 30 Cent gesunken ist und ihre Einnahmen dahinschmelzen.
Die EU-Kommission will 500 Millionen Euro für Sofortmaßnahmen für notleidende Bauern bereitstellen. "Es geht um ein Paket, um die finanziellen Nöte der Bauern anzugehen, den Markt zu stabilisieren und das Funktionieren der Handelskette zu verbessern", sagte ein Sprecher der EU-Kommission. Zudem solle es den Landwirten helfen, neue Exportmöglichkeiten zu finden. Einige dieser Maßnahmen könnten relativ schnell umgesetzt werden.
Der luxemburgische Landwirtschaftsminister Fernand Etgen versprach "ein Programm mit kurzfristigen und mittelfristigen Maßnahmen (...), das unseren Landwirten neue Perspektiven gibt". Der Agrarsektor sei in einer "schweren Wirtschaftskrise", viele Milchbauern könnten nicht mehr rentabel produzieren und machten Verluste. Luxemburg führt derzeit den Vorsitz bei den Ministertreffen.
Angedacht sind etwa Subventionen, um Magermilchpulver und Butter einzulagern oder die vorgezogene Auszahlung von Einkommenshilfen der EU. Umstritten sind nach wie vor Eingriffe in den Milchmarkt. Frankreich befürwortet diese, während der deutsche Landwirtschaftsminister Christian Schmidt dagegen ist. Die Pariser Regierung hatte ihren Bauern vor wenigen Tagen neue Millionenhilfen wie Notkredite, Zahlungsaufschübe und Investitionshilfen versprochen.
Bundesagrarminister: Einen Euro pro Liter Milch
Bundeslandwirtschaftsminister Schmidt sprach sich für höhere Preise aus. "Milch ist gegenwärtig billiger als Wasser, das ist nicht in Ordnung. 55 Cent pro Liter ist deutlich zu wenig", sagte Schmidt einem Radiosender. Ein Euro pro Liter sei dagegen ein Preis, mit dem auch die Landwirte leben könnten.
Grund für den Preissturz der Milch sind unter anderem das russische Einfuhrverbot für europäische Agrarprodukte infolge der Ukraine-Krise, die gesunkene Nachfrage aus China sowie das Ende der Milchquote. Die Quotenregelung endete im April. Sie sollte das Milchangebot auf dem Markt begrenzen und damit die Preise sowie das Einkommen der Landwirte sichern. Die Wiedereinführung der Quote steht nach Angaben der EU-Kommission nicht zur Debatte.
sc/wl (dpa, afp)