Wut und Ärger: Nach den Corona-Beschlüssen
23. März 2021Eine 12-Stunden-Marathon-Sitzung, die auch noch ständig unterbrochen wurde. Eine Bundeskanzlerin, die den Ministerpräsidenten am Ende die Pistole auf die Brust setzte: Etwas anderes als einen weiteren Vier-Wochen-Lockdown in der dritten Welle der Corona-Pandemie hätte Angela Merkel nicht mehr mitgetragen. Die von vielen erhofften Reisen über Ostern werden für die meisten Deutschen nicht stattfinden. Merkel und die Ministerpräsidenten einigten sich darauf, über die verlängerten Oster-Feiertage sogenannte "Ruhetage" einzulegen, die das Land weitgehend zum Stillstand bringen sollen. Lediglich am Ostersamstag dürfen die Supermärkte öffnen. Mit anderen Worten: Ostern wird sehr privat und fällt als Familienfest mehr oder weniger aus. Auch Gottesdienste soll es bestenfalls als digitale Veranstaltungen geben.
Befremden bei den Kirchen, Wut in der Reisebranche
Befremdet reagierte deshalb die Evangelische Kirche in Deutschland. "Der Beschluss des Corona-Gipfels hat uns sehr überrascht, zumal davon das wichtigste Fest der Christen betroffen wäre", sagte der Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Heinrich Bedford-Strom.
Geradezu verzweifelt klingen Vertreter der Tourismus-Branche in Deutschland: "Wut, Ärger, Verzweiflung, damit kann man es eigentlich umschreiben", sagte der Vize-Geschäftsführer des Deutschen Tourismus-Verbandes, Dirk Dunkelberg, in einem Radiointerview. Die Runde um die Kanzlerin habe völlig außer Acht gelassen, dass einzelne Ministerpräsidenten vor dem Treffen sehr wohl kontaktarmes Verreisen über Ostern etwa in Ferienwohnungen und Wohnmobilen vorgeschlagen hätten. Davon aber sei nun keine Rede mehr: "Das kann man eigentlich nicht mehr wirklich ernsthaft begründen," so Dunkelberg.
Überall die gleiche Botschaft: Wir können nicht mehr
Statements in ähnlicher Tonlage kamen von vielen Wirtschaftsvertretern, etwa von der Autoindustrie oder dem Verband der Schnellrestaurants. Überall der gleiche Tenor: Nur mit harten Kontakt-Beschränkungen und Schließungen lasse sich die Pandemie nicht besiegen; es müsse endlich mehr getestet und geimpft werden.
Die Kanzlerin hatte ihre harte Haltung mit den weiter rasant ansteigenden Neuinfektionen mit dem Coronavirus begründet. Fakten, die man nicht ignorieren könne, findet auch der Deutsche Städtetag. Dessen Präsident Burkhard Jung nannte weitere vier Wochen Lockdown zwar bitter. "Aber die Verlängerung war jetzt nicht zu vermeiden, weil Bund und Länder Anfang März zu viel Hoffnung auf Öffnungen geweckt haben", so Jung. Damals hatte die Runde im Kanzleramt vorsichtige Öffnungen beschlossen.
SPD: "Wir sind alle Corona-müde"
Viel Zustimmung, aber auch Verständnis für die leidgeprüften Bürger kommt von der SPD, dem Koalitionspartner von Merkels CDU im Bundestag. Die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, Sabine Dittmar, sagte: "Wir alle sind Corona-müde und wünschen uns sehnlichst unser altes Leben herbei. Allerdings befinden wir uns mitten in der dritten Welle mit einem exponentiellen Wachstum. Wenn wir jetzt nicht gemeinsam und solidarisch handeln, würde es verheerende Konsequenzen haben."
Harsche Kritik der Opposition
Weniger Verständnis hat naturgemäß die Opposition. Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch sagte am Dienstag, die Beschlüsse seien ein Ergebnis des Versagens sowohl beim Impfen als auch beim Testen. Angesichts der alarmierenden Zahlen an Neuinfektionen jetzt zu handeln, sei richtig, aber: "Dieses Handeln muss nachvollziehbar, transparent und verständlich sein und es muss eine Perspektive aufgemacht werden. Das sehe ich ausdrücklich nicht." Grundsätzlich, so Bartsch, sei die Runde der 16 Ministerpräsidenten mit Merkel zur Corona-Politik nach vielen zermürbenden Sitzungen "offensichtlich auch sehr, sehr ausgelaugt."
Grüne fordern endlich mehr Schnelltests
Die Grünen kritisierten ebenfalls die vorsichtigen Öffnungen von Anfang März, die mit dem Versprechen einhergingen, dass die Bürger sich nun schnell und unbürokratisch würden testen lassen können. Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt bemängelte in Berlin, in den meisten Schulen seien noch keine Schnelltests verfügbar. Und forderte weiter: "Auch in der Arbeitswelt muss verbindlich getestet werden und es muss endlich überall und mit allen verfügbaren Vakzinen geimpft werden." Tatsächlich ist der Fortschritt des Impfens der Bevölkerung im Vergleich mit anderen Ländern gering, Anfang der Woche hatten rund 9 Prozent der Menschen in Deutschland eine erste Impfung erhalten. Die FDP forderte die Kanzlerin auf, am Donnerstag im Bundestag in ihrer Regierungserklärung zum EU-Gipfel auch ihre Corona-Politik zu rechtfertigen.
Die Medien verlieren die Geduld mit Merkel
Nicht nur bei vielen Politikern und Wirtschaftsvertretern liegen die Nerven blank, auch in den deutschen Medien wird die Kritik an der noch vor einem Jahr hoch gelobten Kanzlerin immer lauter. Das eigentlich eher konservative Blatt "Münchner Merkur " schreibt am Dienstag über Angela Merkel: "Sie wartet ab, moderiert ein wenig und packt keine Sekunde zu früh zu. Handelt Angela Merkel, dann ist sie gut darin. Aber sie tut es erst dann, wenn es scheinbar alternativlos ist. Konzepte, vorbereitete und nachlesbare Strategien? Himmel, nein!" Und die Zeitung "Welt" überschreibt ihren Kommentar mit der Zeile: "Abgekoppelt von der Lebensrealität der Menschen." Der Kanzlerin stehen ganz offensichtlich weitere unruhige Wochen bevor. Und die Infektionszahlen steigen und steigen.