"Würde Erdogan keinen Tee servieren"
26. Dezember 2016So haben türkische Behörden nun den Kantinen-Chef der oppositionellen Zeitung "Cumhuriyet" nach Angaben von dessen Anwalt unter dem Vorwurf der Beleidigung von Präsident Recep Tayyip Erdogan inhaftiert. Senol Buran sei nach einer polizeilichen Durchsuchung seiner Wohnung in Gewahrsam genommen worden, sagte Anwalt Özgur Urfa. Gerichtsunterlagen zufolge bestreitet Buran den Vorwurf der Beleidigung. Allerdings räumt er demnach ein, gesagt zu haben, er werde Erdogan keinen Tee servieren, sollte dieser jemals in der Istanbuler Kantine auftauchen. Ein Richter begründete die Untersuchungshaft mit der Tatsache, dass Buran unter dringendem Verdacht stehe, "ein Verbrechen begangen zu haben".
Die Oppositionszeitung "Cumhuriyet" ist schon seit Monaten im Visier der türkischen Behörden. Die Redaktion wurde verhaftet. Der frühere Chefredakteur Can Dündar floh vor der türkischen Justiz nach Deutschland.
Kantinen-Chef Buran ist damit einer von zahlreichen Menschen, die die türkischen Sicherheitskräfte in der vergangenen Woche unter dem Verdacht festgenommen haben, Kontakte zu Extremistenorganisationen zu unterhalten. Mehr als 500 von ihnen seien verhaftet worden, teilte das Innenministerium mit. Den meisten Betroffenen würden Verbindungen zur verbotenen Organisation des in den USA lebenden Predigers Fetullah Gülen vorgeworfen. Die übrigen seien wegen angeblicher Kontakte zu kurdischen Extremistengruppen und der Islamisten-Miliz "IS" vorgeladen oder verhaftet worden.
Seit dem gescheiterten Putsch im Juli wurden in der Türkei mehr als 110.000 Richter, Lehrer, Polizisten und Beamte suspendiert oder entlassen und 40.000 Menschen festgenommen. Mehr als 130 Medien wurden geschlossen.
Ins Visier der türkischen Justiz geraten nun auch immer mehr Nutzer sozialer Medien und des Internets. So sind in der Türkei in den vergangenen sechs Monaten 1656 Menschen wegen ihrer Beiträge in den sozialen Netzwerken in Untersuchungshaft genommen worden. Gegen weitere 3710 Verdächtige seien Verfahren wegen Terrorpropaganda oder anderer Straftaten in sozialen Medien eingeleitet worden, meldete die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu unter Berufung auf das Innenministerium. Tausende weitere Fälle würden untersucht. Die Behörden rufen dazu auf, "verdächtige" User der Polizei zu melden. Die Behörden schränken außerdem den Zugang zum Internet über Wege wie VPN-Tunnel oder über das Tor-Netzwerk immer weiter ein, die Nutzern Anonymität und Zugang zu gesperrten Seiten gewähren.
Verschärfung der Maßnahmen
Die Maßnahmen gegen VPN-Tunnel und gegen das Tor-Netzwerk seien in den vergangenen Wochen verschärft worden, berichteten Experten für Internet-Sicherheit. Nach der Veröffentlichung eines Videos der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) in der vergangenen Woche, das die Verbrennung von zwei türkischen Soldaten zeigen soll, hatten die Behörden erneut Seiten wie Twitter und Youtube gesperrt. Viele Nutzer stellten fest, dass ihre VPN-Tunnel zur Umgehung der Sperren nicht mehr funktionierten. Firmen-VPN sind bislang nicht betroffen. VPN sind in der Türkei wegen der wiederkehrenden Sperren sozialer Medien weit verbreitet.
cgn/SC (dpa, rtr)