Zahlreiche Kurden bei türkischen Militäreinsätzen getötet
22. Dezember 2015Bei einer Schießerei zwischen Sondereinsatzkräften der Polizei und mutmaßlichen Militanten sind in der türkischen Metropole Istanbul zwei Frauen getötet worden. Es habe sich um "Terroristinnen" gehandelt, berichtete die regierungsnahe Nachrichtenagentur Dogan, ohne weitere Angaben zur Identität der Toten. Der Anti-Terror-Einsatz sei gegen einen mutmaßlichen Unterschlupf von militanten Kämpfern im belebten Viertel Gaziosmanpasa gerichtet gewesen. Zwei Frauen in einer Wohnung schossen demnach auf die Polizisten, die ihrerseits das Feuer erwiderten. Dem Bericht zufolge wurden bei der Schießerei vier Beamte leicht verletzt.
Der Einsatz habe mutmaßlichen Hintermännern eines Anschlags in Istanbul vom 1. Dezember gegolten. Damals war bei einer Bombenexplosion im Stadtteil Bayrampasa ein Mensch leicht verletzt worden. Die Polizei geht davon aus, dass die Einsatzpolizei Ziel des Anschlags war. Ein Bekennerschreiben gibt es nicht. In Gaziosmanpasa waren Sicherheitskräfte in der Vergangenheit sowohl gegen die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK als auch gegen die Terrormiliz IS vorgegangen. Das Istanbuler Viertel gilt als Hochburg der Anhänger der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK). Die Behörden vermuten, dass dort auch militanten Kämpfern Schutz gewährt wird.
Dramatische Lage im Südosten der Türkei
Die türkische Regierung geht derzeit im Südosten des Landes offensiv gegen die PKK vor. Seit Mitte vergangener Woche wurden mindestens 115 mutmaßliche PKK-Kämpfer getötet. Auch mehrere Zivilisten und Soldaten starben bei den Einsätzen. Bei der Armeeoffensive gegen die PKK rechnen Menschenrechtler mit einer deutlichen Zunahme der Zahl ziviler Opfer. Wie die Organisation Human Rights Watch (HRW) in Istanbul berichtete, hätten Verwundete keinen Zugang zu medizinischer Versorgung. Es gebe ganze Viertel in den mit Ausgangssperren belegten Städten wie Cizre, Silopi und Diyarbakir, in denen Menschen ohne Wasser, Strom und Zugang zu Lebensmitteln seien.
HRW teilte unter Berufung auf örtliche Menschenrechtsgruppen weiter mit, Sicherheitskräfte setzten in den mit Ausgangssperren belegten Städten auch Panzer und Artillerie gegen Barrikaden der PKK-Jugendorganisation YDG-H ein. HRW berichtete unter Berufung auf Augenzeugen, Polizisten hielten Menschen davon ab, Verwundete in Krankenhäuser zu bringen.
Tränengas und Wasserwerfer gegen Demonstranten in Diyarbakir
In Diyarbakir ging die Polizei am Dienstag mit Tränengas und Wasserwerfern gegen eine Demonstration gegen die Ausgangssperre in der Kurdenhochburg vor. Wie ein AFP-Fotograf berichtete, hatten mehrere tausend Demonstranten versucht, in den umkämpften Stadtteil Sur vorzudringen. Die Polizei riegelte den Stadtteil jedoch ab. Als einige Demonstranten Steine auf die Polizisten warfen, setzten die Beamten Tränengas und Wasserwerfer gegen die Protestierenden ein. Unter den Demonstranten waren auch mehrere Abgeordnete.
Für das Stadtviertel Sur, wo es seit Tagen heftige Gefechte zwischen der türkischen Armee und Kämpfern der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) gibt, gilt seit Ende November eine strikte Ausgangssperre. Damals war dort der prominente prokurdische Menschenrechtsanwalt Tahi Elci erschossen worden.
Linke: Keine Waffen an NATO-Partner Türkei
Angesichts der Eskalation des Kurdenkonflikts in der Türkei hat die Linke den Stopp aller deutschen Waffenlieferungen an das NATO-Partnerland gefordert. "Es muss einen sofortigen Stopp aller Rüstungsexporte in die Türkei geben, denn deutsche Waffen morden mit", erklärte der Linken-Vorsitzende Bernd Riexinger. Der Einsatz von gelieferten Waffen gegen die eigene Bevölkerung verstoße gegen den NATO-Vertrag. Die Bundesregierung unter Kanzler Helmut Kohl habe aus diesem Grund 1992 ebenfalls ein Waffenembargo gegen die Türkei beschlossen. Riexinger forderte Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier auf, umgehend nach Ankara zu reisen, um sich für die Beendigung des Konflikts einzusetzen. Der "Vernichtungskampf" der türkischen Regierung gegen die PKK-Anhänger dürfe "nicht länger toleriert werden".
Der Konflikt war im Sommer nach einer zweijährigen Waffenruhe wieder aufgeflammt, der Friedensprozess kam zum Erliegen. Auslöser waren mehrere blutige Anschläge der Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) auf Kurden. Die PKK machte die türkische Regierung dafür mitverantwortlich, da sie nicht entschieden genug gegen die radikalen Islamisten vorgehe.
pab/sti (dpa, afp)