Zehn Fragen
28. November 20061. Warum ist der Beitritt in die Welthandelsorganisation WTO überhaupt wichtig für Vietnam?
Die Sozialistische Republik Vietnam ist ab Januar 2007 das 150. WTO-Mitglied, zuvor hatte sie einen Beobachterstatus. "Es geht auch um die grundsätzliche Anerkennung und Aufnahme in die internationale Gemeinschaft. Dies ist auch eine Prestigefrage", sagt Mathias Haase. Er ist beim Ostasiatischen Verein (OAV), einem Wirtschaftsverband deutscher Unternehmen, die in Asien und der Pazifikregion aktiv sind, zuständig für die Region Südostasien. Konkret bekommt Vietnam vor allem besseren Zugang zu den Märkten der anderen WTO-Staaten. Denn innerhalb der WTO muss jedes Land allen Mitgliedern die gleichen Handelsbedingungen gewähren. Das ist vor allem für die vietnamesische Textilbranche von Vorteil, für die bislang Einfuhrquoten unter anderem auf dem amerikanischen Markt gelten. Fühlt Vietnam sich als WTO-Land trotzdem einmal handelsrechtlich benachteiligt, kann es sich beschweren und die WTO-Schlichtungsstelle anrufen. Das könnte beispielsweise passieren, wenn die Regierung in Hanoi sich gegen die EU-Strafzölle für vietnamesische Schuhe wehren will. Um WTO-Mitglied zu werden, musste Vietnam eine Vielzahl von Voraussetzungen erfüllen oder muss sie in einer festgelegten Übergangszeit von wenigen Jahren erreichen. Der Wegfall von heimischen Subventionen oder der Abbau von Importschranken für ausländische Waren machen das Land zu einem attraktiveren Handelspartner. Das vorläufige Scheitern der Welthandelsrunde 2006 hat das Ansehen der WTO zwar geschwächt. Nach Ansicht von Haase lohnt es sich für Vietnam trotzdem beizutreten: "Nur durch eine Mitgliedschaft profitiert Vietnam vom erreichten Liberalisierungsstand der WTO." Um bilaterale Abkommen auszuhandeln, ist Vietnam allein zu schwach.
2. Wer wird in Vietnam vom WTO-Beitritt profitieren?
Alle Branchen, die jetzt schon stark im Export sind, werden ihre Marktstellung verbessern können, weil sie mit Handelserleichterungen rechnen können. Das sind der Textil- und Schuhsektor, gilt aber auch für die Ausfuhr bestimmter Lebensmittel wie Reis, Kaffee und Meeresfrüchte. Wenn wichtige Branchen profitieren, nütze das auch dem Wohlstand des ganzen Landes, meint Haase vom OAV. "Wenn die Unternehmen gute Geschäfte machen, bessern sich damit auch Einkommen und Arbeitsbedingungen der Arbeiter", sagt er.
3. Für wen wirkt sich die WTO-Mitgliedschaft vermutlich nachteilig aus?
Diejenigen Branchen, in denen China ein direkter Konkurrent ist, werden es schwerer haben – vor allem im Handel zwischen den beiden Ländern. Denn das WTO-Land China wird leichteren Zugang auf den vietnamesischen Markt bekommen und den Wettbewerb verstärken. Noch sind die meisten Betriebe in der Sozialistischen Republik Staatsunternehmen. Der Druck wird auf Betriebe in allen vietnamesischen Branchen zunehmen, sie müssen dann effizienter arbeiten und produzieren. Nicht allen wird das gelingen, es wird auch Entlassungen geben.
4. Was ist Doi Moi?
Doi Moi bedeutet Erneuerung. Seit 1986 verfolgt die vietnamesische Führung ihre Doi-Moi-Strategie zur Erneuerung der Wirtschaft, aber auch der Politik. Die Regierung will seitdem die zentralistische Planwirtschaft nach und nach in eine sozialistische Marktwirtschaft umwandeln. Die Erneuerung sieht vor, dass die Wirtschaft des Landes immer weiter liberalisiert wird, privates Unternehmertum und Wettbewerb sind erwünscht. Im Zuge der Aufnahme in die WTO musste Vietnam einige Rechtsreformen durchführen, die dem freien Handel zugute kamen. Unternehmens- und Investitionsgesetze wurden so umgeschrieben, dass private Unternehmen und ausländische Investitionen möglich sind.
5. Ist Vietnam noch ein Entwicklungsland?
Ja, das Pro-Kopf-Einkommen (Bruttoinlandsprodukt pro Einwohner) liegt derzeit lediglich bei 700 US-Dollar pro Jahr. Auch das wesentlich weiter entwickelte Nachbarland China gilt noch als Entwicklungsland – mit entsprechender Unterstützung von Industriestaaten. Vietnam ist zwar ein Musterland bei der Armutsbekämpfung – innerhalb von 15 Jahren wurde der Anteil der armen Bevölkerung mehr als halbiert – doch noch immer sind fast 20 Prozent der Vietnamesen arm. Sie müssen mit weniger als einem US-Dollar pro Tag auskommen. Experten schätzen, dass es noch mindestens zehn Jahre dauert, bis Vietnam kein Entwicklungsland mehr ist.
Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie kommunistisch und demokratisch Vietnam eigentlich ist und welche Beziehungen das Land zu den USA und zu Deutschland hat.
6. Wie wird das Land regiert?
Die Regierung unter Ministerpräsident Nguyen Tan Dung ist seit dem 27. Juni 2006 für fünf Jahre im Amt. Sie wurde durch den letzten Parteitag der vietnamesischen Kommunistischen Partei (KP) im April 2006 nominiert. Die Wahl der Regierungsmitglieder und des Staatspräsidenten Nguyen Minh Triet durch die Delegierten der Nationalversammlung Ende Juni war reine Formsache bei einer Zustimmung von mehr als 90 Prozent der Delegierten.
Die Nationalversammlung ist ein Ein-Kammer-Parlament mit 498 Sitzen, dessen Delegierte alle fünf Jahre gewählt werden. Die Abgeordneten werden vom Volk bestimmt. Bei der letzten Abstimmung am 19. Mai 2002 gingen 447 Sitze an KP-Mitglieder, 51 an Nichtparteimitglieder und Unabhängige. Die nächsten Wahlen sind für Mai 2007 geplant.
7. Wie kommunistisch ist Vietnam?
Vietnam ist eine Sozialistische Republik. Auch wenn die Bevölkerung die Mitglieder der Nationalversammlung wählt, ist das Land nicht demokratisch im westlichen Sinne. Im Ein-Parteien-Staat herrscht die Kommunistische Partei Vietnams, die ihren Machtanspruch auch nicht abgeben will. Wirtschaftlich stellt sich Vietnam jedoch zur Marktwirtschaft um, auch wenn die Regierung noch immer nach Fünf-Jahres-Plänen entscheidet. Der Begriff "Socialist Market Economy" wurde durch China geprägt und von Vietnam übernommen.
8. Seit wann ist Vietnam unabhängig?
Die französische Besetzung Vietnams begann 1858 und umfasste bis 1884 das gesamte Land. Ab 1887 gehörte Vietnam neben Laos und Kambodscha zu Französisch-Indochina und damit zum französischen Kolonialreich. Nach dem Zweiten Weltkrieg erklärte sich Vietnam 1945 für unabhängig, was von Paris nicht anerkannt wurde. Es kam zum ersten Vietnam-Krieg, der nach hundertausenden von Toten mit der französischen Niederlage in Dien Bien Phu endete. Auf der Genfer Konferenz von 1954 wurde ein Waffenstillstand vereinbart und Vietnam in einen kommunistischen Norden und einen anti-kommunistischen Süden aufgeteilt. Vor allem die USA unterstützten die Regierung im Süden Vietnams Anfang der 1960er Jahre wirtschaftlich, politisch und militärisch. 1965 begannen die USA mit systematischen Luftangriffen auf den Norden des Landes. Der Vietnam-Krieg unter US-Beteiligung dauerte bis zu einem Waffenstillstandsabkommen 1973. 1975 überrannten nordvietnamesische Truppen den Süden des Landes, das Regime in Saigon brach zusammen. Der Vietnam-Krieg war vorbei, das Land wurde unter kommunistischer Herrschaft vereint.
9. Wie sind heute die Beziehungen zum ehemaligen Kriegsgegner USA?
Wirtschaftlich sind die USA heute für Vietnam der wichtigste Handelspartner. Fast ein Fünftel aller vietnamesischen Exporte gehen auf den US-Markt. Das gesamte Handelsvolumen zwischen den USA und Vietnam hat sich seit der Unterzeichnung eines Abkommens im Jahr 2001 rasant entwickelt: Der Warenaustausch zwischen beiden Ländern betrug 2001 noch eine Milliarde US-Dollar, vier Jahre später waren es sieben Milliarden. Ein bilaterales Abkommen von Mai 2006, in dem sich die Regierung in Hanoi verpflichtet, Subventionen für die eigene Wirtschaft sowie Einfuhrzölle für US-Waren abzuschaffen, ebnete Vietnam schließlich den Weg in die WTO. Die USA waren das letzte Mitgliedsland, das einem Beitritt noch zustimmen musste. Auch politisch haben sich die beiden ehemaligen Kriegsgegner längst angenähert. Im Land ist von Anti-Amerikanismus kaum etwas zu spüren. "Vietnam hat eine sehr junge Bevölkerung, von der die meisten Menschen selbst nicht am Krieg beteiligt waren. Sie wollen von der Vergangenheit oftmals nicht mehr viel wissen", sagt Vietnam-Kenner Haase vom OAV.
10. Wie ist das Verhältnis zwischen Vietnam und Deutschland?
Wirtschaftlich ist Deutschland heute der wichtigste Handelspartner innerhalb der EU, das Handelsvolumen zwischen beiden Staaten lag 2005 bei 1,9 Milliarden Euro (2,4 Milliarden US-Dollar). Die Beziehungen zwischen den beiden Ländern gelten seit langem als gut und problemlos. Deutschland profitiert dabei von den vielen Vietnamesen, die in der damaligen DDR ausgebildet wurden, in ihre Heimat zurückgegangen sind und nun in einflussreichen Positionen in Politik und Wirtschaft zu finden sind. "Diese Vietnamesen sprechen Deutsch, schätzen deutsche Produkte und sind dem Land gegenüber positiv eingestellt", sagt Haase. "Das ist ein großes Plus für deutsche Unternehmen in Vietnam." Auch Vietnamesen, die während des Krieges vor den kommunistischen Truppen nach Westdeutschland geflohen sind, hätten ein zunehmend besseres Verhältnis zu ihrer alten Heimat, meint Haase.