Zehnjährige deutsche Bundesanleihen unter null Prozent
14. Juni 2016Die Brexit-Gefahr führt schon jetzt zu Kapriolen an den Finanzmärkten: Erst in gut einer Woche stimmen die Briten über einen Verbleib in der EU ab, aber die historische Abstimmung wirft bereits kräftige Wellen. Die Suche großer Anleger nach sicheren Häfen für das eigene Kapital trieb am Dienstag die Rendite für die zehn Jahre laufenden Bundesanleihen auf minus 0,003 Prozent. Minus - das heißt unter Null.
Die zehnjährige Anleihe ist die wichtigste Finanzierungsquelle des deutschen Staates, und sie war auch am Dienstag stark gefragt. Knapp die Hälfte aller deutschen Staatsschulden bestehen aus zehnjährigen Anleihen. Das ist ein gigantischer Markt: Täglich wechseln Wertpapiere des Bundes für rund 20 Milliarden Euro die Besitzer. Und am Sekundärmarkt, also an Börsen, im elektronischen Handel oder auch außerhalb der Börse werden jedes Jahr Bundesanleihen für 2,5 Billionen Euro gehandelt.
Negativzins als Alltag
Das ist der Grund dafür, warum die Bundesanleihen auch bei Minus-Renditen kein schlechtes Geschäft sein müssen: Sie lassen sich am Markt leicht wieder zu Geld machen, falls der Anleger Kapital braucht. Daher sind Anleihen mit zehnjähriger Laufzeit zum wichtigsten Finanzierungsinstrument institutioneller Anleger wie Versicherer und Pensionsfonds geworden.
"In Zeiten erhöhter Verunsicherung greifen Anleger zu den Papieren mit der geringsten Ausfallwahrscheinlichkeit", erklärt Analyst Michael Schulz von der NordLB. "Und das sind nun einmal die Bundesanleihen." Die Bonität des deutschen Staates ist dabei über jeden Zweifel erhaben: Alle Ratingagenturen bewerten Deutschland mit der Bestnote, dem dreifachen A. Die zehnjährige Bundesanleihe wird seit den 60er Jahren ausgegeben.
Bei deutschen Titeln mit kürzeren Laufzeiten ist der Negativzins bereits Alltag: Die Investition in zweijährige Papiere ist seit Mitte 2014 durchgängig ein Verlustgeschäft. Die Bundesrepublik ist das zweite Land aus der Riege der sieben führenden Industrienationen (G7), dessen zehnjährige Titel unter null Prozent gerutscht sind. Die vergleichbaren japanischen Papiere notieren seit Anfang März in negativem Bereich.
Probleme für Japan
Japan hat ohnehin mit den Vorboten eines Brexit zu kämpfen: Der Wert des Yen steigt, die Exporte werden teurer, der Aktienmarkt gibt nach. Der japanische Leitindex Nikkei verlor am Dienstag noch einmal ein Prozent, am Montag hatte das Minus 3,5 Prozent betragen. Händler in Tokio werden nervös: "Im Moment gibt es einfach keinen überzeugenden Grund, Aktien zu kaufen", sagte Zeng Yan von Zhongtai Securities. Hedgefonds hätten angefangen, auf den Brexit zu setzen, berichteten Marktteilnehmer.
Anleger trieben am Dienstag den Yen gegenüber dem Euro auf den höchsten Stand seit drei Jahren. Die Risiko-Einschätzung der Händler werde mittlerweile von den jüngsten Brexit-Umfragen bestimmt, die zeigen "dass Großbritannien daraufzu steuert, die EU zu verlassen", so das Urteil von Ray Attril, Währunsgexperte bei der National Australia Bank. "Bei alledem erweist sich der Yen wieder als sicherer Hafen."
Das japanische Finanzministerium kündigte derweil an, man werde sich gegen eine weitere Aufwertung des Yen stemmen. Sollten die schnellen und spekulativen Bewegungen am Devisenmarkt anhalten, werde er darauf reagieren, sagte Finanzminister Taro Aso am Dienstag in Tokio. Ein Eingriff an Markt sei in Übereinstimmung mit den Partnern in der Gruppe der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer (G20) möglich, ergänzte Aso.
Sicherer Hafen in den Bergen
Als sogenannter sicherer Hafen ist auch der Schweizer Franken zunehmend gefragt. Der Franken erreichte am Dienstag ein Drei-Monats-Hoch gegenüber dem Euro. Auch der Dollar zog gegen den Euro an.
Und in Großbritannien selbst? Wenige Tage vor dem Referendum über einen Austritt aus der EU sind auch die Renditen britischer Anleihen auf ein Rekordtief gefallen. Der Zins für das zehnjährige Papier sank am Dienstagmorgen auf 1,183 Prozent.
In einer aktuellen Umfrage lagen im Vereinigten Königreich die Austrittsbefürworter sieben Prozentpunkte vor den Anhängern eines Verbleibs in der Europäischen Union. Und das britische Massenblatt "Sun" empfahl seinen Lesern, am 23. Juni für den Brexit zu stimmen.
ar/iw (rtr, dpa, afp)