UN sollten Truppen "auswechseln"
26. Oktober 2016DW: Herr Mehler, UN-Missionen sind oft harscher Kritik ausgesetzt. In der Zentralafrikanischen Republik (ZAR) ist diese Kritik besonders heftig. Wie erklären Sie sich das?
Andreas Mehler: Es trifft so nicht nur die MINUSCA. Auch in der Demokratischen Republik Kongo haben wir erlebt, dass die MONUSCO ähnliche Probleme hatte. Aber ein genauerer Blick auf das Beispiel ZAR lohnt. Die Vorgängermissionen der Vereinten Nationen in der Zentralafrikanischen Republik - MISAB, MINURCA, MINURCAT, FOMUC und andere - waren alle sehr schwach und daher nicht sehr effizient. Das hat dazu geführt, dass es im Land wenig Vertrauen und keinen Vertrauensvorschuss in Friedensoperationen gibt.
Dazu kommt, dass die Zusammenstellung der truppenstellenden Staaten nicht den UN-Vorgaben entspricht. Hierzu gehören auch Nachbarländer. Kamerun und die Demokratische Republik Kongo haben Kontingente direkt in den Gebieten jenseits ihrer Grenzen. Diese Truppen sind sicherlich nicht neutral und oft in illegale Geschäfte verstrickt. Außerdem entspricht die Ausstattung der MINUSCA nicht der Größe der Aufgabe: Es gibt ja ein Gebiet im Zentrum des Landes um Kaga Bandoro, wo nie wirklich Frieden herrschte. Die Mission muss also Frieden herstellen und nicht nur bewahren.
Das sieht der MINUSCA-Sprecher etwas anders. Die Gewalt von 2014 sei vorbei, sagte er der DW am Montag. Die ZAR habe dank der UN-Mission zu neuer Stabilität gefunden. Seit Ende 2015 habe sich die Mission zudem neu aufgestellt, um schneller reagieren zu können.
Es lässt sich nicht leugnen, dass sich in den letzten Jahren einiges gebessert hat. Immerhin verfügt die MINUSCA allein schon durch ihre größere Truppenstärke im Vergleich zu den Vorgängermissionen über ein größeres Gewicht und kann auch etwas ausrichten. Die Situation ist aber weiter sehr fragil. Das hängt unter anderem damit zusammen, dass es auch in den Nachbarländern ziemlich brodelt: Im Tschad und in der Demokratischen Republik Kongo ist die politische Situation sehr angespannt, vom Südsudan ganz zu schweigen. Auch im Land selbst ist die Unzufriedenheit groß.
Die Verantwortlichen in New York und in Bangui müssen sich noch einmal klar machen, wie entscheidend die Legitimität der Mission vor Ort ist. Manchmal reicht so etwas wie ein Vorwurf der Komplizenschaft, um alles kaputtzumachen. Die UN wäre sehr gut beraten, sich nicht nur zu fragen: "Was haben wir vor Ort erreicht? Was berichten unsere Mitarbeiter?", sondern auch: "Wie werden wir wahrgenommen?"
Ein Vertreter der Zivilgesellschaft sprach im Gespräch mit der DW in der Tat von einer Komplizenschaft der UN-Truppen mit bewaffneten Gruppen und wirft der Mission eine größere Nähe zur muslimischen Bevölkerung vor. Das führt er darauf zurück, dass viele muslimisch geprägte Länder wie Marokko, Pakistan, Bangladesch oder Indonesien Truppen stellen…
Bei einem Konflikt, der religiös aufgeheizt ist, steht diese Frage schnell im Raum. Man muss aber bedenken, dass es verschiedene Fronten gibt und die verschiedenen Gruppierungen im Land unterschiedlich gewichtet sind. Die muslimisch-dominierten Séléka-Milizen terrorisieren weiter Kaga Bandoro. Dort gibt sich also ein ganz anderes Bild als in der Hauptstadt Bangui, wo die muslimische Minderheit im Stadtteil PK5 einen schweren Stand gegenüber der Mehrheit von Christen hat.
Ende des Monats läuft die französische Mission Sangaris aus, die selbst sehr problembeladen war. Hat Frankreich seine eigenen Probleme innerhalb der Mission auf die UN abgewälzt?
Von Anfang an war das Ziel, sich aus einer eher unangenehmen Mission zurückziehen und den Stab an die UN übergeben zu können. Auch die Mission Sangaris war keinesfalls problemfrei. Es gab jedoch einen Unterschied: Sangaris wurde zwar immer wieder der Parteinahme verdächtigt, galt aber als ultra-effizient. Den Vorwurf, dass die UN-Mission zu passiv sei, hat man gegenüber Sangaris nie gehört. Aufgrund der jüngsten Ereignisse sollte sich Paris vielleicht Gedanken darüber machen, in letzter Minute umzuschwenken und die Mission zu verlängern - oder mit einem größeren Anteil an Beratern als bisher geplant vor Ort zu bleiben.
Hinter dem Protest gegen die MINUSCA steckt auch der Wunsch, die Truppen könnten vielleicht nicht einfach abgezogen, sondern erneuert und die Führungskräfte ausgetauscht werden. Wäre das eine Lösung?
Rein logistisch wäre so ein kompletter Neustart schwierig. Das kann nur schrittweise gelingen. Wenn aber bestimmte Kontingente sich in einem Gebiet einen schlechten Namen gemacht haben, wären die UN gut beraten, sie auszuwechseln. Aber das ist nicht leicht. Auch für die aktuelle Mission war es unglaublich schwer, Länder zu finden, die Truppen stellen. Bei einem frankophonen Land wird in der Regel versucht, frankophone Truppen aufzustellen - was die Auswahl der Länder stark reduziert. Auch, dass Burundi Truppen stellt, ist problematisch, weil Burundi das innenpolitisch ausnutzt. Wahnsinnig viele Optionen bleiben am Ende nicht.
Andreas Mehler ist Direktor des Arnold-Bergstraesser-Instituts für kulturwissenschaftliche Forschung (ABI) mit Sitz in Freiburg. Zuvor leitete der habilitierte Politikwissenschaftler bis 2015 das GIGA-Institut für Afrikakunde in Hamburg.
Das Interview führte Philipp Sandner.