Zhou Yongkang: "Tiger" hinter Gittern?
29. Juli 2014Als ständiges Mitglied im Politbüro und Chef der Kommission für Politik und Recht im Zentralkomitee gehörte Zhou Yongkang zum innersten Machtzirkel der Kommunistischen Partei Chinas. Damit war er Herr über Polizei, Staatsanwaltschaft, Justiz und Geheimdienste. In der Politszene wird der 71-Jährige bis heute als "Zar der Nationalen Sicherheit" bezeichnet. 2012 schied Zhou turnusgemäß aus seinem Amt aus.
Alle seine hochrangigen Funktionen schützten ihn nicht. Gegen den Ex-Politiker wird offiziell ermittelt. Bei Korruptionsvorwürfen gegen Beamte in China - die in fast allen Fällen auch Mitglieder der Kommunistischen Partei sind - wird zunächst ein Disziplinarverfahren aufgenommen. Bereits während des Verfahrens werden die Verdächtigen unter Hausarrest gestellt. Nach dem Abschluss der internen Ermittlungen entscheidet die Partei, ob die Staatsanwaltschaft öffentliche Anklage erhebt. Das Urteil, das schließlich ein Gericht zu fällen hat, wird oft von der Partei vorgegeben.
Der studierte Geologe Zhou baute seine Macht über die Ölindustrie auf. Er hatte als Ingenieur auf Ölfeldern in China gearbeitet, war Vorstandschef des chinesischen Öl- und Gaskonzerns CNPC (Bilanzsumme 2012 ca. 350 Milliarden Euro), bereiste den ölreichen Sudan 14-mal und verhandelte dort mit dem autoritären Regime. Zugleich verfolgte er eine politische Karriere: In der zentralchinesischen Provinz Sichuan war er Parteisekretär, ehe er Minister für Öffentliche Sicherheit und Mitglied im Politbüro wurde.
Korruption im Energiegeschäft?
Erste Anzeichen für die Ermittlung gegen Zhou gab es schon im September vergangenen Jahres. Damals wurde der Chef der Kommission für die Kontrolle und Verwaltung von Staatsvermögen (SASAS), Jiang Jiemin, wegen "schwerer Disziplinarvergehen" vom Dienst suspendiert. Dieser Vorwurf wird in China allgemein als "Korruption, Bestechlichkeit und illegale Vorteilsannahme" verstanden. Interessant war, dass Jiang 2011 bis 2013 Vorstandsvorsitzender von CNPC war, jenem Unternehmen, das Zhou Yongkang früher geleitet hatte.
Bittere Kämpfe um die Macht
"Straffreiheit für Ständige Mitglieder im ständigen Ausschuss des Politbüros" - so lautet das ungeschriebene Gesetz, das vom ehemaligen Generalsekretär der KP Chinas und Staatspräsident Jiang Zemin formuliert wurde. Er stellte damit seinerzeit allen neun Mitgliedern im chinesischen Machtzirkel einen Freibrief aus.
Nach seiner Amtszeit 2003 installierte Alt-Präsident Jiang Zemin seinen Zögling Zhou im Politbüro, förderte und schützte ihn - bis jetzt. Ein Verfahren gegen Zhou wäre ohne Zustimmung Jiangs nicht möglich gewesen.
Als "Sicherheitszar" hatte Zhou eine politische Allianz mit dem ehrgeizigen Politstar und Mitglied im Politbüro, Bo Xilai, geschmiedet, der Ende September 2013 nach einem umstrittenen Verfahren wegen Korruption und Amtsmissbrauchs zu lebenslanger Haft verurteilt worden war. Die New York Times will aus gut informierten Kreisen erfahren haben, dass im März 2012 bei der Abstimmung im Ständigen Ausschuss des Politbüros Zhou als einziger gegen die Suspendierung von Bo gestimmt hatte, während Hu Jintao, Wen Jiabao, Xi Jinping, Li Keqiang und andere Spitzenpolitiker dafür waren. Manche Beobachter vermuten, Zhou habe damals zusammen mit Bo Xilai einen Machtwechsel an der Parteispitze zu seinen Gunsten herbeiführen wollen.
Nach diesem misslungenen Coup hat das Politbüro Zhou und seinen Apparat bestraft. Das höchste Machtgremium der Partei hatte bei der Neukonstituierung Ende 2012 nur noch sieben statt neun Mitglieder. Der Chef der Kommission für Politik und Recht war aus dem inneren Zirkel ausgeschlossen.
"Mit Stumpf und Stiel ausrotten"
Das Verfahren gegen Zhou Yongkang sei eine "Fortsetzung des Machtkampfs an der Spitze", glaubt der Historiker Zhang Lifan. Und der werde möglicherweise noch weiter gehen, vermutet er: "Wenn wir uns die Parteigeschichte anschauen, wird Unkraut mit Stumpf und Stiel ausgerottet."
Dass nun ein Verfahren gegen ein Mitglied des ständigen Ausschusses des Politbüros eingeleitet wird, hat es seit dem Ende der Kulturrevolution 1976 nicht mehr gegeben. Staatspräsident Xi Jinping bekräftigt mit den Ermittlungen gegen Spitzenpolitiker seinen festen Willen, die Korruption in der Partei zu bekämpfen. Damit löst Xi sein Versprechen ein, sowohl gegen die "kleinen Fliegen" als auch gegen die "starken Tiger" vorzugehen - doch er tut dies nicht, ohne auch selbst einen Nutzen davon zu haben.
Der 61-Jährige ist nun selbst der "Sicherheitszar" und hat die komplette Kontrolle und Befehlsgewalt über das Militär, die Geheimdienste, die Polizei und die Außenpolitik. Er vereint jetzt mehr Macht in seinen Händen als seine Vorgänger seit Deng Xiaoping.