Film und Games
30. Oktober 2015"Kino und Games - Ein Wechselspiel" ist der Titel einer aktuellen Ausstellung im Deutschen Filmmuseum Frankfurt. Wir sprachen mit Wolfger Stumpfe, einem der beiden Kuratoren der Schau. Die hat sich vorgenommen, das Verhältnis der beiden populären Medien einmal genauer unter die Lupe zu nehmen.
Deutsche Welle: Der kommerziell sehr erfolgreiche Steven-Spielberg-Film "E.T." (1982) sollte damals auch von einem Computerspiel begleitet werden. Das wurde ein Desaster. Der Hersteller Atari ließ die gefloppten Spiele buchstäblich in der Wüste vergraben. Was hat es damit auf sich?
Wolfger Stumpfe: In der Regel wurden Spiele damals entwickelt als eine Art Spin-off einer normalen Filmproduktion. Es waren Merchandising-Artikel, die zum Filmstart erscheinen sollten. Bei "E.T." hatte man sich für die Produktion mit fünf Wochen viel zu wenig Zeit genommen. Deswegen gelang das nicht. Daraus resultierte dann das vermeintlich "schlechteste Spiel der Welt". Es wurde vergraben. (Überschüssige Module des Spiels E.T. wurden damals von Atari in der Wüste von New Mexiko vergraben und erst im vergangenen Jahr wieder entdeckt. Anmerk. der Red.)
Ist das ein typisches Beispiel für die damalige Beziehung zwischen der Kino- und der Games-Industrie?
Es gab da durchaus auch schon gelungenere Beispiele von Spielen, die durch Filme inspiriert wurden. In der Frühzeit der Spielentwicklung gingen die Einflüsse natürlich vor allem in eine Richtung: von Filmen zu Spielen. Das war am Anfang eine einseitige Beziehung. Normalerweise war es so, dass sich die Games auf den Filmtitel bezogen, die Optik übernahmen und diese auf sehr pixelige Art und Weise auch dargestellt haben. Bei "E.T." zum Beispiel erkennt man schon, um was es sich handelt - wenn man den Film kennt. Aber damals war man weit davon entfernt, eine größere Narration vom Film mit zu übernehmen.
Wann ungefähr begann der Erfolg, wann kamen die erfolgreichen Spiele auf den Markt?
Gar nicht so viel später, Ende der 1980er Jahre mit "Indiana Jones". Das ist eines der ersten Spiele, die wirklich die komplette Plot-Handlung des Films übernommen haben.
Und wann befand man sich auf Augenhöhe?
Kommerzielle Erfolge gab es damals schon. Sonst wäre das ja alles gar nicht entwickelt worden. Sonst hätten die Games-Produktionsfirmen ja gar nicht das Interesse gehabt, aus Filmen Spiele zu entwickeln. "ET" war ein schlechtes Beispiel. Atari war vor "ET" das am stärksten wachsende Unternehmen in den USA. Es hatte wahnsinnigen kommerziellen Erfolg mit Spielen.
Was dann aber passierte, und das ging eigentlich relativ schnell, war, dass sich die technischen Möglichkeiten rasant entwickelt haben. Mit "Indiana Jones" war man soweit, dass die Spiele mit Filmen vergleichbar wurden. Was die Grafik anbelangt, war das zwar immer noch sehr pixelig - zumindest für unsere Augen heute. Das hat aber heute auch wieder Kultcharakter. Viele neue Spiele arbeiten mit diesem Retro-Charme.
Wann kam dann das Kino und sagte: Jetzt können wir von den Games profitieren?
Ab den frühen 90er Jahren. Es gibt da die ersten Beispiele für Spiele, die zu Kinofilmen entwickelt wurden. "Resident Evil" beispielweise, dann "Tomb Raider". Das wurde von einem guten Spiel in einen Film übertragen. Es gibt auch Negativ-Beispiele. Das sehr erfolgreiche Spiel "Mario Bros" von Nintendo: Da gab es den Film "Super Mario Bros." mit Danny de Vito. Der Film gilt heute als Gegenstück zu "ET" in der Spiele-Welt: als einer der schlechtesten Filme, die je nach einem Spiel gedreht wurde.
Es hat immer dann am besten funktioniert, wenn sich jedes Medium ganz bewusst zu seinen eigenen Möglichkeiten bekannt hat. Und die Medien akzeptiert haben, dass es etwas gibt, was man nicht so gut kann. Sonst gäbe es ja auch nicht zwei verschiedene Medien.
Auf was haben sich Spiele-Industrie und die Hollywood-Studios denn besonnen?
Wenn sich das Spiel darauf besinnt, das es ein Spiel ist und sich "nur" inspirieren lässt von Filmen, von Ideen und der Filmhandlung und vom Film-Plot, aber immer im Blick behält, dass es natürlich ganz anders funktioniert. Dass es nur mit einem Spieler geht, der auf eigene Art und Weise Spiele steuert, der Entscheidungen trifft, die für das Spiel wichtig sind. Dass man sich "Kameraeinstellungen" aussuchen kann, alles möglich selbst verändern kann.
Beim Film ist es umgekehrt. Ein Beispiel ist "Silent Hill", das von einem sehr gelungenen Spiel in einen gelungenen Film übertragen wurde. Der Regisseur Christophe Gans hatte sich vorgenommen, sich von der bedrückenden Horroratmosphäre des Spiels inspirieren zu lassen. Es hat daraus aber einen eigenen Film gemacht und keinen Abklatsch des Spiels kreiert.
Entwickeln sich denn Sonderformen, etwas, das beide Medien zusammenschweißt?
Interessant in den letzten Jahren sind die sogenannten "Let‘s Plays", die sich entwickelt haben. Da wird also angeschaut, wie andere Leute Spiele spielen. Das ist seit mehreren Jahren in den deutschen YouTube-Kanälen das erfolgreichste Format. International hat das auch starken Zulauf.
Bei den "Let‘s Plays" schaut man sich ein Spiel fast so an wie einen Film. Das ist spannend, weil man sich diesen "Spielfilm" in unwahrscheinlich vielen Variationen ansieht: Jeder Spieler spielt natürlich anders. Das ist etwas, was in der Zukunft noch sehr viele Hybridformen produzieren wird, auf die man bestimmt gespannt sein kann.
Man hat als Laie immer den Eindruck, bei den Spielen wird immer nur geballert, die Spiele mit Tötungsziel stünden im Vordergrund. Stimmt das?
Es gibt viele andere Genres. Der Blick von außen verkürzt das oft. Das ist auch eine Prägung durch unsere Gesellschaft, die uns zu dem Schluss kommen lässt, dass Spiele sowieso immer nur mit Action, Knallerei und Verfolgung zu tun haben. Tatsächlich haben aber die sogenannten Ballerspiele nur einen Anteil von 5% an der kompletten Spiele-Welt.
Für mich als ein nicht-extrem spielender Kunsthistoriker war das eine wirklich neue Erfahrung. Natürlich spielen die Genres eine große Rolle. Aber man trifft auf sehr viele unterschiedliche und faszinierende Welten in diesen Spielen. Es geht bei vielen Spielen auch um Geschicklichkeit, um bestimmte Tastenkombinationen. Dann gibt es die vielen Renn-Spiele, in denen die Verfolgungsjagd eine Rolle spielt. Die finden in ganz unterschiedlichen Szenarien statt. Die Spiele sind da unwahrscheinlich variantenreich und gehen auch darauf ein, was die Leute aus dem Filmbereich oder aus anderen Bereichen kennen. Auch der Film und somit auch die Games stützen sich ja auch auf andere Medien, auf Bücher, auf die Literatur.
Wenn Sie jetzt in die Zukunft schauen: Glauben Sie, dass es beides geben wird, Kino und Spiele? Dass also beide Medien weiter so erfolgreich nebeneinander existieren?
Da bin ich mir ganz sicher. Es gibt ja auch Bücher und das Internet und E-Books. So wird es in Zukunft parallel Filme und Spiele nebeneinander geben.
Für uns als Deutsches Filmmuseum war es eine Herausforderung, eine Spielausstellung zu machen - als diejenigen, die sich ja professionell um den Film kümmern. Weil man ja immer mal wieder sagt: Das Spiel wird den Film und das Kino ablösen. Das ist aber totaler Quatsch. Wenn man objektiv und logisch darüber nachdenkt: Das Kino ist linear erzählt, wird gemacht, um angeschaut zu werden. Das Spiel ist ein ganz anderes Medium, was interaktiv funktioniert und auch gar nicht anders sein soll und will.
Die Ausstellung im Frankfurter Filmmuseum ist bis zum 31. Januar 2016 geöffnet. Der sehr lesenswerte Katalog ist beim Verlag Bertz + Fischer erscheinen. Das KINO-Magazin der Deutschen Welle widmet sich in seiner aktuellen Ausgabe ausschließlich dem Thema und gibt auch Einblicke in die Arbeit einer Produktionsfirma für Spiele.