Kritik am Meldegesetz
9. Juli 2012Die Reihen im Deutschen Bundestag waren fast leer, als am 28. Juni gegen Abend das neue Meldegesetz zur Abstimmung kam. Kein Wunder - spielte doch zeitgleich die deutsche Fußballnationalmannschaft bei der Europameisterschaft gegen Italien um den Einzug ins Finale. Dementsprechend schnell war das Gesetz dann auch durchgewunken: 57 Sekunden dauerte es, und die einschneidende Reform um die Weitergabe von Daten durch die Einwohnermeldeämter war ohne vorhergehende Aussprache abgesegnet.
Nötig geworden war das neue Gesetz als Folge der Föderalismusreform von 2006. Die war initiiert worden, um eine ganze Reihe von Verantwortlichkeiten von der Landes- auf die Bundesebene zu übertragen. Auch bei der Datenweitergabe soll es statt 16 verschiedenen Regelungen in Zukunft nur noch ein bindendes Verfahren geben. Die vom Bundestag im Eilverfahren verabschiedete Variante allerdings hat es in sich: Der Entwurf regelt, dass Einwohnermeldeämter die Daten der Gemeldeten an Dritte weiterverkaufen dürfen - zum Beispiel zu Werbezwecken. Dem können die Bürger zwar widersprechen, dieses Veto gilt jedoch nur für den Fall, dass Meldedaten zum ersten Mal abgefragt werden. Für einen reinen Abgleich der Daten gilt der Widerspruch nicht.
"Eine Widerspruchslösung, die keine ist"
Gegen die Verbreitung von persönlichen Informationen müssten die Bürger nun erst aktiv werden, sagen Kritiker des neuen Meldegesetzes. Zu denen gehört auch Johannes Caspar, Datenschutzbeauftragter der Freien und Hansestadt Hamburg: "Die Werbebranche kann im Prinzip bestehende Listen permanent abgleichen, die Meldeämter müssen einen Widerspruch entsprechend gar nicht berücksichtigen. Es ist also eine Widerspruchslösung, die eigentlich gar keine ist.“
Dazu kommt: Der Gang zum Einwohnermeldeamt ist in Deutschland ein Pflichttermin, zu erledigen bis spätestens zwei Wochen nach Einzug in ein neues Zuhause. Wer seiner Meldepflicht nicht nachkommt, riskiert ein Bußgeld. Künftig würden also Daten verkauft, deren Abgabe Pflicht ist. Auch dagegen richtet sich die Kritik. "In diesem Zusammenhang eine Regel beizufügen, die den Meldeämtern eine Adressweitergabe ermöglicht, ist ein unverhältnismäßiger Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht und verfassungswidrig", findet Caspar.
Ein Gesetz für die Werbebranche?
Wieso soll das Gesetz geändert werden, und wem würde die neue Regelung nutzen? Auch hier hat Caspar eine Vermutung: "Man muss sich fragen, ob die Regel nicht unter Druck der Verbände - Werbebranche und Adresshandel - zustande gekommen ist. Anders kann man sich nicht erklären, warum der vorher bestehende Gesetzentwurf, der eine Einwilligungslösung vorsah, geändert wurde", so der Datenschützer. "Der vorherige Entwurf war ja unproblematisch", so Caspar.
Der CDU-Bundestagsabgeordnete Helmut Brandt verteidigt das Gesetz. "Ich verstehe die Aufregung nicht", sagte Brandt der Süddeutschen Zeitung. Schließlich sei die Widerspruchslösung ein probates Mittel für jeden, der die Weitergabe seiner Daten nicht wünsche.
Zustimmung durch Bundesrat steht aus
Jetzt muss der Entwurf noch durch die deutsche Länderkammer, den Bundesrat. Erst, wenn auch der Bundesrat das Gesetz durchwinkt, kann es dem Bundespräsidenten zur endgültigen Ratifizierung vorgelegt werden. Angesichts der scharfen Kritik von Vertretern der Länder ist eine Zustimmung des Bundesrates aber mehr als fraglich. Zumal auch Bundesverbraucherschutzministerin Ilse Aigner inzwischen klar signalisiert hat, dass sie den Entwurf - der von ihrer eigenen Fraktion ausgearbeitet worden war - in dieser Form ablehnt.
"Ich kann nur hoffen, dass das so nicht durchkommt - weil man sich dann auch in Richtung einer verfassungsrechtlich bedenklichen Regelung bewegen würde", sagt Johannes Caspar. Zu hoffen bleibt auch, dass sich der Bundesrat etwas intensiver mit dem Entwurf auseinandersetzen wird als zuvor der Bundestag. Die Chancen stehen gut: Die Fußball-Europameisterschaft ist ja inzwischen vorbei.