1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Zurück zu den Wurzeln

Bettina Marx23. November 2014

Am zweiten Tag ihres Bundesparteitages besannen sich die Grünen auf ihre Kernthemen: Landwirtschaft und Ernährung, Klima und Flüchtlingspolitik - hier sieht sich die Partei in einer Vorreiterrolle.

https://p.dw.com/p/1Drgt
Bundesparteitag der Grünen in Hamburg Foto: DPA
Bild: picture-alliance/dpa/Christian Charisius

Den Auftakt machte am Vormittag der Fraktionsvorsitzende Anton Hofreiter, der die Delegierten mit einer mitreißenden Rede auf die Diskussion über die Zukunft der Landwirtschaft einstimmte. "Die agrarpolitische Wende hat eine ähnliche Bedeutung wie die Energiewende", erklärte der promovierte Biologe. Auf seinen Reisen in tropischen Ländern habe er gesehen, wie die kleinen Bauern den Konzernen weichen mussten. Ihr Land sei in Anbauflächen für Monokulturen verwandelt worden, auf dem genmanipuliertes Soja für die Massentierhaltung hergestellt werde. Dies habe dramatische Auswirkungen auf die Lebensmittelversorgung der Bevölkerung und auf die Artenvielfalt.

Der Fraktionsvorsitzende der Grünen Anton Hofreiter am Rederpult des Parteitages in Hamburg. Foto: DPA
Engagiert: Fraktionschef Hofreiter spricht zu den DelegiertenBild: picture-alliance/dpa

"Neben der Klimakatastrophe ist das Artensterben die zweite ökologische Katastrophe", rief Hofreiter in den gut gefüllten Saal der Sporthalle in Hamburg. In manchen Ländern stünde inzwischen sogar der Spatz schon vor dem Aussterben. Der grüne Fraktionschef, der sonst oft hölzern und wenig redegewandt wirkt, erhielt viel Beifall für seine Rede, die er mit Temperament und Engagement vortrug. Die Agrarindustrie verhindere eine grüne Wende in der Agrarpolitik, betonte er unter dem stürmischen Beifall der Delegierten und fügte hinzu: "Dazu gibt es uns Grüne, dass wir gegen die mächtigen Lobbyverbände kämpfen".

Prominente Gastrednerin aus Indien

Unterstützung erhielten die Grünen von der indischen Globalisierungskritikerin Vandana Shiva. In ihrer Rede vor den rund 700 Delegierten, die ihren Worten mit großer Aufmerksamkeit lauschten, kritisierte sie, die industrielle Landwirtschaft trage nichts zur Ernährung der Weltbevölkerung bei. Im Gegenteil: Allein für die Produktion der Lebensmittel verbrauche sie70 Prozent der Ressourcen wie Boden und Wasser. Damit versorge sie jedoch nur 30 Prozent der Weltbevölkerung.

Die Wissenschaftlerin, die auch Trägerin des alternativen Nobelpreises ist, bestärkte die Grünen darin, sich für eine nachhaltige und regionale Landwirtschaft einzusetzen. In einem Interview mit der Deutschen Welle ergänzte sie, die Menschen im Norden und Süden der Welt sollten sich nicht auseinander dividieren lassen. Wenn sich die Menschen in Deutschland für nachhaltig und lokal produzierte Lebensmittel einsetzten, dann nutze dies auch den Hungernden in der Dritten Welt, denn ihr Land werde dann nicht mehr für die Futtermittelproduktion für den massiven Fleischkonsum in Europa benötigt.

Globalisierungskritikerin Vandana Shiva auf dem Parteitag der Grünen in Hamburg Foto: DPA
Kämpferisch: Gatsrednerin Vandana Shiva begeistert den ParteitagBild: picture-alliance/dpa/Christian Charisius

Mit großer Mehrheit verabschiedete der Parteitag einen Antrag, in dem er eine grundlegende Umkehr in der Ernährungspolitik fordert.

Diskussion über humane Flüchtlingspolitik

Ausführlich diskutierten die Grünen auch ein anderes Kernthema ihrer Partei: die Flüchtlingspolitik. Zuletzt hatte es in dieser Frage erbitterten Streit gegeben, nachdem der einzige grüne Ministerpräsident, Winfried Kretschmann aus Baden-Württemberg, im Bundesrat einem Kompromiss zugestimmt hatte. Danach werden die Länder des westlichen Balkans nun als sichere Herkunftsstaaten eingestuft. Migranten aus diesen Ländern – oft handelt es sich dabei um Roma – gelten damit in Deutschland nicht mehr als politisch Verfolgte, die einen Anspruch auf Asyl haben. Im Gegenzug zu diesem Zugeständnis wurde die Residenzpflicht für Flüchtlinge aufgehoben und das Arbeitsverbot gelockert.

Kretschmann war für seine Zustimmung in der Länderkammer von Grünen-Politikern im Bundestag und von Mitgliedern an der Basis heftig kritisiert worden. Auch auf dem Parteitag meldeten sich seine Gegner zu Wort. So warf ihm Theresa Kalmer von der Grünen Jugend einen historischen Bruch in der grünen Flüchtlingspolitik vor. Mit dieser Entscheidung würden Roma aus den Balkanländern zu Flüchtlingen zweiter Klasse degradiert. Damit werde Deutschland seiner historischen Verantwortung gegenüber dieser Bevölkerung nicht gerecht.

Ministerpräsident Winfried Kretschmann auf dem Parteitag der Grünen in Hamburg Foto: DPA
Nachdenklich: der populäre grüner Ministerpräsident Winfrid KretschmannBild: picture-alliance/dpa/Jens Büttner

Versöhnungsstimmung auf dem Parteitag

Die von manchen befürchtete große Abrechnung mit Kretschmann blieb jedoch aus. Der 66-jährige erhielt in Hamburg viel Beifall und war fast ständig von Delegierten umringt. Mit großer Mehrheit sprach sich der Parteitag schließlich dafür aus, Flüchtlinge besser zu versorgen und zu schützen. "Unser Gegner ist die große Koalition, die dafür sorgt, dass das Asylrecht weiter verschärft wird", sagte Parteichefin Simone Peter.

Die Grünen wollten sich auf ihrem Parteitag Zeit nehmen für gründliche Diskussionen und für die Beendigung von Streitigkeiten und Differenzen. Ein Jahr nach dem Debakel bei der Bundestagswahl wollen sie zur Geschlossenheit zurückfinden und sich wieder auf "urgrüne" Themen wie nachhaltige Landwirtschaft, Klimaschutz und eine humane Flüchtlingspolitik konzentrieren.