Zwangsprostitution im Verborgenen
24. Oktober 2012In Afghanistan ist Prostitution verboten, was nicht bedeutet, dass es Prostitution in diesem zutiefst konservativen Land nicht gäbe. Wegen der in Afghanistan üblichen hohen Hauswände sind entsprechende Etablissements, in denen Zuhälter und Prostituierte wohnen, von außen nicht als solche zu erkennen. Aber wer sie sucht, kann sie finden. Auch auf der Straße kann ein Freier fündig werden. Er leuchtet eine einzelne Frau unter einer Burka mit der Lichthupe an. Wenn sie ein Zeichen gibt, weiß er, dass er "richtig liegt."
Zur Prostitution gezwungen
Heather Barr von der Asien-Abteilung bei der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch spricht von einer für ein konservatives Land wie Afghanistan erstaunlich starken Verbreitung von Prostitution. Der Grund sei aber nicht, dass sich Frauen freiwillig dazu entschieden. "Im März hatte unsere Organisation einen Bericht über Frauen veröffentlicht, die in Afghanistan wegen 'moralischer' Verbrechen im Gefängnis sitzen. Ich hatte mit den Frauen gesprochen und war überrascht davon, wie viele Frauen von ihren Ehemännern und deren Familien in die Prostitution gezwungen wurden."
Gründe für diese menschenunwürdige Praxis sind meistens Armut und die Drogenabhängigkeit der Männer. Oft sehen Familien junge Frauen als Geldeinnahmequelle an.
Seit einiger Zeit werden auch aus Pakistan Frauen nach Afghanistan gebracht, wie NGOs berichten. Die Grenze zwischen beiden Ländern ist nicht unter Kontrolle der Regierung und so können Schmuggler problemlos Menschen und Waren transportieren. Einmal auf der anderen Seite angekommen, sind die jungen Frauen ihren Zuhältern hilflos ausgeliefert und auf das Geld angewiesen. "Wir sind arm und hilflos", sagt eine von ihnen. Sie lebt jetzt in Dschalalabad, weit weg von ihrer Heimatstadt Karatschi in Pakistan. "Was sollen wir denn sonst tun? Wir haben nichts zu essen." Deswegen habe "der Große" sie und andere Frauen aus Karatschi nach Dschalalabad geholt. "Niemand macht diese Arbeit gerne, aber ich habe keine Wahl."
Zuhälter aus Armut
Die junge Frau spricht weder Dari noch Paschtu, die Landessprachen. Sie weiß nicht, an wen sie sich wenden soll und fürchtet zugleich die möglichen Folgen ihres Tuns und die Macht ihres Zuhälters, des "Großen", wie sie ihn nennt. Aber auch dieser "Große" gibt Armut als Motiv an, junge Frauen auf den Strich zu schicken. "Ich mache das, weil ich arm bin und so meinen Kindern etwas zu essen auf den Tisch stellen kann. Mir ist bewusst, dass mir gesellschaftliche Ächtung und schlimmstenfalls Todesstrafe drohen." Er würde aber die Frauen keineswegs zur Prostitution zwingen, beteuert der Mann gegenüber der DW.
Steinigung oder Peitschenhiebe
Prostitution, freiwillig oder erzwungen, ist nach afghanischem Recht und islamischen Vorschriften verboten. Der Geistliche Nek Mohammad arbeitet beim Gericht in der östlichen Provinz Nangarhar und berät es zu islamischen Fragen. Prostitution und Menschenhandel seien gegen islamische Prinzipien und würden bestraft, sagt er. "Mindestens vier Augenzeugen müssen die Straftat bezeugen, und sollte einer der zwei Beteiligten, die Prostituierte oder der Freier, verheiratet sein, dann muss der oder die Verheiratete gesteinigt werden. Besteht keine Heirat, dann lautet die Strafe Peitschenhiebe", so die Rechtsauskunft des Geistlichen.
Sexualkrankheiten
Entgeht man dieser Strafe, gibt es jedoch noch weitere Gefahren: Sexualkrankheiten seien in den vergangenen Monaten stark angestiegen, sagt Dr. Baz Mohammad Sherzad von der Gesundheitsbehörde in Nangarhar: "Unsere Ärzte melden, dass viele junge Männer, die in die Praxen kommen, Harnwegsinfekte und sexuell übertragbare Krankheiten haben. Wenn die Prostitution zunimmt, müssen wir uns über die Zunahme dieser Fälle hier nicht wundern." Jedoch könnten Ärzte lediglich Aufklärungsarbeit leisten, so Sherzad. Es sei Aufgabe der Regierung, dieses Problem anzugehen.
Die Regierung habe aber ganz andere Probleme, sagt Heather Barr von Human Rights Watch: "Die Regierung hat bei keiner der Fragen, die die Lage der Frauen betreffen, wirksame Schritte ergriffen, egal, ob es um Verheiratung Minderjähriger geht, um Gewalt innerhalb der Ehe, um den Verkauf von Frauen als Ehepartner, um Zwangsprostitution, oder um Selbstverbrennungen."
Leider gebe es keinen politischen Willen, diese Probleme anzugehen. Fortschritte geschähen nur langsam. Immerhin ist es seit kurzem verboten, Frauen zur Strafe einzusperren, wenn sie von zu Hause weglaufen.