Zweifel an Japans Atomausstieg
15. September 2012Noch vor gar nicht allzu langer Zeit hätte man diese Entscheidung für unmöglich gehalten in Japan. "Man hat geglaubt, dass die Atomenergie absolut sicher und die beste Energiequelle für ein ressourcenarmes Japan sei," sagte Alexandra Sakaki, Japan-Expertin der Stiftung Wissenschaft und Politik. "Doch die Dreifachkatastrophe hat die Wahrnehmung in der Bevölkerung grundlegend verändert".
In der Tat ist seit dem 11. März vergangenen Jahres in Japan alles anders. Das Dreifachunglück mit Erdbeben, Tsunami und Reaktorkatastrophe hat die Menschen misstrauisch gemacht. Der Druck der Bevölkerung ist gewachsen. Und so hat die japanische Regierung mit eineinhalbjähriger Verspätung den Ausstieg aus der Atomenergie bekannt gegeben.
Vertrauensbruch
Der zeitliche Rahmen ist allerdings weit gefasst. Zwischen 2030 und 2040, so heißt es, wolle man alle 50 Reaktoren abschalten. Die Laufzeit der einzelnen Kraftwerke soll nach 40 Jahren enden, neue AKW sollen nicht mehr hinzukommen. Die Bevölkerung fordert, das zeigen Umfragen, den sofortigen Ausstieg oder wenigstens eine Begrenzung auf fünf bis zehn Jahre.
"In Japan gibt es einen absoluten Vertrauensbruch", führt Sakaki weiter aus. Denn nach dem Fukushima-GAU mehren sich die Enthüllungen über die Verfehlungen von Aufsichtbehörden, und so sei dieses Misstrauen noch gewachsen. "Es bestehen Zweifel daran, ob die Behörden die Sicherheit überhaupt noch gewährleisten können."
Kein Baustopp für neue AKW
Dennoch - die nun von der Regierung verkündete Energiewende ist offenbar noch gar nicht endgültig. Man müsse damit rechnen, meint die Japan-Expertin, "dass sich in Japan die Atomenergie-Gegner und die Befürworter weiterhin eine Auseinandersetzung liefern werden. Das Thema ist noch nicht endgültig abgehakt". Zumal in der Erklärung ein konkreter Plan fehlt, wie denn der Energiebedarf künftig gedeckt werden soll.
Nur vage wird angedeutet, dass erneuerbare Energien eine größere Rolle spielen sollen, und auch die Endlagerfrage der radioaktiven Abfälle ist noch nicht gelöst. Medienberichten zufolge will Japans Wirtschaftsminister Yukio Edano sogar am Weiterbau dreier Reaktoren festhalten. "Wir beabsichtigen nicht, die Genehmigung zurückzunehmen, die das Ministerium gegeben hat", wird Edano in der thailändischen Zeitung "Bangkok Post" zitiert.
Streit um Kraftwerke in Oi
Aktuell muss das Land fast seine gesamte Energie (96 Prozent) importieren. Das ist teuer und umweltschädlich, handelt es sich doch dabei um fossile Brennstoffe, also Öl und Gas. Die vorübergehende Stilllegung aller 50 Reaktoren für Wartungsarbeiten hat eine Versorgungslücke hinterlassen, kamen schließlich vor dem Fukushima-Unglück rund 30 Prozent der Energie aus Atomkraftwerken. Geplant war sogar ein Ausbau auf 50 Prozent bis zum Jahr 2030.
Im Juni dieses Jahres wurden zwei Kraftwerke in Oi auf der Hauptinsel Honshu wieder ans Netz genommen, angeblich, um den Energieengpass der Metropole Kyoto in der Hitzeperiode zu überbrücken. Nachträgliche Berechnungen zeigten aber, dass das gar nicht nötig gewesen wäre. Ein Aufschrei der Bürger war die Folge. "Deshalb stellt sich die Frage, unter welchen Umständen die anderen Reaktoren überhaupt wieder in Betrieb gehen könnten, und wie man diese Maßnahmen den Menschen verkaufen will", meint Sakaki.
Was nach dem Atomausstieg?
In der Tat hat Sakaki festgestellt, dass es seit ein paar Monaten ein neues Energiebewusstsein bei den Japanern gibt: "Zum Beispiel wurde der Stromverbrauch deutlich reduziert. Der japanische Sommer ist sehr heiß, so war es auch dieses Jahr. Trotzdem haben viele Japaner entgegen ihrer Gewohnheit auf ihre Klimaanlagen verzichtet, und auch sonst wird viel mehr darauf geachtet, dass Elektrogeräte sparsamer eingesetzt werden." Trotz dieses persönlichen Engagements: am hohen Energieverbrauch werden die Privatpersonen wenig ändern können, ist es doch vor allem die energieintensive Industrie, die Japan zum drittgrößten Stromverbraucher weltweit macht. Und hier helfen wohl nur grundlegende, nachhaltige staatliche Entscheidungen.
Die jetzige Ankündigung hat einen schalen Beigeschmack: Premierminister Yoshihiko Noda habe die Entscheidung vor allem im Hinblick auf die Unterhauswahlen im kommenden Jahr getroffen, so Kritiker, weniger aus eigener Überzeugung. Die "Süddeutsche Zeitung" kommentiert: "Die japanische Atomlobby rechnet deshalb damit, lediglich einige Zeit überwintern zu müssen, bis sich die Empörung über die Fukushima-Katastrophe gelegt hat - um dann den Ausstiegsbeschluss revidieren zu lassen."
Die Kraftwerksbetreiber kritisieren jedenfalls den Entschluss der Regierung. Das Unternehmen Tepco, dem auch der Fukushima-Reaktor gehört, erklärte, dass die für einen Umstieg auf erneuerbare Energien nötigen finanziellen Reserven durch die Katastrophe aufgebraucht seien.