Homosexualität in Europa
8. Juli 2012Juris Lavrikovs hat so viel zu sagen, dass sich seine Stimme manchmal fast überschlägt. Es sind so viele Details, die er in einen Satz fassen möchte. Auch auf EU-Ebene gebe es Probleme mit der Diskriminierung von Homosexuellen, sagt der Pressesprecher von ILGA Europe, der International Lesbian, Gay, Bisexual, Trans and Intersex Association für Europa.
Diskriminierungen aufgrund der Rasse beispielsweise seien in allen Bereichen verboten, in denen die EU Gesetze erlassen darf. Diskriminierungen aufgrund sexueller Orientierung, Religion oder Behinderung sind dagegen nur im Beschäftigungs-Bereich verboten. Das müsse sich ändern, sagt Juris Lavrikovs. Auch beim Zugang zu Gütern und Dienstleistungen, Wohnraum oder Bildung müsse Gleichheit herrschen, fordert er. "Aber diese spezielle Gesetzgebung steckt auf der Ebene des Europäischen Rates fest und ist seit vielen Jahren fast zum Erliegen gekommen," beschreibt der engagierte ILGA-Sprecher die Lage. Es fehle an der Zustimmung der Mitgliedsstaaten.
Diskriminierung in den EU-Mitgliedsstaaten
Als Dachverband von etwa 360 ähnlichen Organisationen aus 44 europäischen Staaten engagiert sich ILGA gegen die Diskriminierung von Homosexuellen, Bisexuellen, Trans- und Intersexuellen. Der Verband arbeitet eng mit EU-Institutionen zusammen, um seine Positionen umzusetzen. Juris Lavrikovs ist mit der bisherigen Zusammenarbeit durchaus zufrieden.
Die EU und der Europäische Rat machten viele Fortschritte, um die Menschenrechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans- und Intersexuellen zu stärken, so Lavrikovs. Gleichzeitig sei es eine Herausforderung, auf EU-Level zu arbeiten: "Denn schließlich sind die EU-Institutionen eben doch beschränkt auf die Machtbefugnisse, die ihnen die Mitgliedsstaaten verleihen," bilanziert Juris Lavrikovs nüchtern.
Beunruhigende Rückschritte
Auch auf der Ebene der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) und beim Europarat in Straßburg ist ILGA aktiv. Ende Juni 2012 beklagte der Menschenrechtskommissar des Europarates, Nils Muižnieks, dass Mitgliedsstaaten aufklärende Informationen über Homosexualität und gegen Homophobie verbieten wollten. "Das ist ein beunruhigender Schritt in eine vergangene Zeit, in der Homosexuelle wie Kriminelle behandelt wurden", kritisiert Muiznieks.
In einem jährlichen Bericht beschreibt ILGA Europe die Situation in 40 europäischen Staaten und erstellt eine Rangliste. Das Maximum von 30 Punkten hat kein Land erreicht, an der Spitze stehen Großbritannien, Deutschland und Spanien mit etwa 20 Punkten. Viele Staaten lägen aber auch im unteren Bereich bei minus zwölf, sagt Juris Lavrikovs: "In dieser so genannten Roten Zone befinden sich viele europäische Staaten, beginnend mit der Russischen Föderation, Ukraine, Moldawien, Aserbaidschan, Armenien, Türkei, die frühere jugoslawische Republik Mazedonien und Weißrussland." Diskriminierung gäbe es natürlich auch anderswo, aber diese Staaten seien hervorzuheben, so der Sprecher.
Nachholbedarf überall
Genau diese Länder verurteilte das EU-Parlament Ende Juni 2012 für ihre homophoben Gesetze. Doch Lavrikovs nennt auch eines der fortschrittlicheren Länder, in denen man mit Diskriminierung zu kämpfen habe: "In Schweden müssen sich Transsexuelle sterilisieren lassen müssen, wenn sie sich auch vor dem Gesetz zu ihrer Transsexualität bekennen. Das ist ziemlich traumatisierend." Man vergesse manchmal, dass auch ansonsten fortschrittliche Staaten auf dem Gebiet Nachholbedarf hätten.
Das Bewusstsein, dass man um Menschenrechte kämpfen und sie entwickeln muss, hat sich erst nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelt. Der Kalte Krieg in Europa führte dann dazu, dass die Staaten des ehemaligen Ostblocks noch ein paar Jahrzehnte länger brauchten, um eine angemessene Menschenrechtspolitik zu entwickeln. Die Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans- und Intersexuellen hatten allerdings auch dann keine Priorität.
Machismo als Ursache?
Doch in einigen west-europäischen Staaten steht es um die Diskriminierung aufgrund sexueller Orientierung schlechter als in manchen ehemaligen Ostblock-Staaten, betont Juris Lavrikovs. Er nennt vor allem Griechenland, Malta und Italien: "In Italien gibt es einfach nicht den politischen Willen, die entsprechende Gesetzgebung einzuführen." Zum Beispiel scheiterten viele Versuche von Abgeordneten, so Lavrikovs, bei bestimmten Verbrechen das Motiv Homophobie als strafschärfend anzusehen.
Auch hier wäre es aber zu kurz gegriffen, auf die in südlichen Staaten Europas partiarchalisch-traditionelle Gesellschaftsstruktur mit verstärkt homophoben Tendenzen zu verweisen, glaubt er. Er verweist auf Spanien und Portugal: Sie haben in den vergangenen Jahren große Fortschritte in Sachen Geschlechter-Gleichheit oder bei den Rechten von Homosexuellen und Transsexuellen gemacht. "Diese Staaten haben gezeigt, dass religiöse Mehrheiten oder kulturelle Traditionen einer Verbesserung der Rechte für Homosexuelle, Bi-, Trans- und Intersexuelle nicht entgegen stehen", so Lavrikovs. Erforderlich seien der politische Wille und die entsprechenden politischen Umstände.