Zwischen Medaillen und Moral
27. November 2013Wer über Spitzensportförderung in Deutschland redet, kommt am Medaillenspiegel einfach nicht vorbei. So wählte auch Gerhard Böhm, zuständiger Abteilungsleiter Sport im Bundesinnenministerium, bei der 3. Sportkonferenz des Deutschlandfunks deutliche Worte: "Die Politik gibt keine Vorgaben, wie viele Medaillen gemacht werden. Aber die Erwartungshaltung in der Öffentlichkeit ist natürlich schon, dass der Erfolg einer Olympiamannschaft nur dann gegeben ist, wenn möglichst viele Medaillen gewonnen werden." Alles andere sei doch Unsinn, erklärte Böhm.
Sein Ministerium stellt mehr als die Hälfte der Fördermittel des Bundes von rund 250 Millionen Euro in diesem Jahr zur Verfügung. Umstritten bleiben allerdings die Zielvereinbarungen zwischen dem Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) und den Fachverbänden. Doch laut DOSB-Generaldirektor Michael Vesper könne von einem Diktat, das Verbände oder Athleten einseitig unter Druck setze, keine Rede sein: "Es ist vielmehr das Ergebnis von intensiven Gesprächen auf sportfachlicher Ebene, wo man sich darauf verständigt, welche Ziele realistisch sind in den nächsten vier Jahren", betonte Vesper. "So etwas gehört, glaube ich, wirklich zum Spitzensport dazu: Dass man sich Ziele setzt und diese Ziele dann auch versucht einzuhalten."
Zielvereinbarungen sollen kein Druckmittel sein
Zumal selbst beim Scheitern eines Verbandes zunächst kein Entzug der Mittel drohen soll. Stattdessen verspricht Sportfunktionär Vesper eine konstruktive Schwachstellenanalyse, um Wege aus etwaigen Krisenphasen zu weisen. "Wir haben das Fördersystem gerade vor einigen Jahren umgestellt, weg von einer solchen platten Belohnungs-Bestrafungs-Systematik", berichtete der DOSB-Generaldirektor und verwies auf das Beispiel der Schwimmer und Leichtathleten. "So hat die Leichtathletik nach dem desaströsen Ergebnis von Peking nicht weniger Geld, sondern mehr Mittel bekommen. Und das Ergebnis war in London eine sehr viel bessere Erfolgsbilanz!"
Die Sportler selbst scheinen ihre Situation höchst unterschiedlich zu erleben: So belegt eine im Frühjahr veröffentlichte Studie der Deutschen Sporthochschule Köln, dass zumindest anonym befragte Spitzenathleten anfällig für Depressionen scheinen. Von zusätzlichem Druck durch die Zielvereinbarungen ist bei einigen Leistungsträgern sogar offen die Rede. Dagegen wirkt Säbelfechter Nicolas Limbach mit sich und seinem Sport im Reinen - und das, obwohl der als Olympia-Favorit gehandelte Wirtschaftsstudent in London mit Rang fünf zufrieden sein musste: "Natürlich bin ich später mit der Ausbildung fertig, verdiene später und zahle später in die Rentenkasse ein. Aber die Reisen und die Erlebnisse hätte ich vielleicht sonst nicht gehabt. Und das ist unbezahlbar."
Sportförderung als überteuertes DDR-Erbe?
Profi-Fußballer und Formel 1-Piloten, aber auch Topverdiener im Tennis oder Eishockey leben finanziell ohnehin in einer eigenen Welt. Für weniger lukrative Sportarten gelten hingegen Kaderförderung, Olympia-Stützpunkte, die Arbeitgeber Polizei und Bundeswehr, als weiteren Sportförderer die Stiftung Deutsche Sporthilfe, sowie die Eliteschulen des Sports als bewährte Eckpfeiler des Systems. Doch genau deren Effizienz stellt mittlerweile Arne Güllich in Frage, der als Professor an der Technischen Universität Kaiserslautern lehrt: "Viele der Strukturen, die in der Bundesrepublik aufgebaut worden sind, sind Versuche, DDR-Strukturen nachzuahmen", sagte der Sportwissenschaftler, der früher selbst für den DOSB tätig war, im DW-Interview: "Prüft man diese empirisch, dann stellt sich heraus, dass sie außerordentlich kostenintensiv sind - aber die Erfolge unter den heutigen Bedingungen einer offenen Gesellschaft nicht gesteigert haben."
Doch wie weit kann und will eine moderne Demokratie überhaupt für den Erfolg gehen? Für Sportwissenschaftler Güllich ist dies spätestens seit dem Ende des Kalten Krieges keine Frage des nationalen Prestiges mehr. Und auch DOSB-Generaldirektor Michael Vesper rückt das Individuum in den Mittelpunkt: "Spitzensport ohne Druck ist nicht denkbar, jeder Spitzenathlet oder Spitzenathletin macht sich selber sehr viel Druck." Doch der ehemaligen Grünen-Politiker Vesper will beim Erfolgshunger auch klare Grenzen ziehen. "Zu glauben, dass man bei Olympischen Spielen antritt, um Letzter zu werden, ist naiv. Wichtig ist eben, dass die Leistung dennoch allein mit sauberen Mitteln erzielt wird."
Doping-Misstöne nicht das einzige Imageproblem
Allerdings brachte gerade erst die vom Bundesinnenministerium nur zögerlich veröffentlichte Studie "Doping in Deutschland seit 1950" ans Licht , dass auch im Westen systematische Manipulationen durchaus verbreitet waren. Zudem nährt die chronische Unterfinanzierung der Nationalen Anti-Doping-Agentur (NADA) die Zweifel am entschlossenen Kampf für einen sauberen Sport.
Ein derart unbeflecktes Image hätte auch die werbetreibende Wirtschaft nur allzu gern, die diverse Gefahren für ihre Investitionen sieht. Stephan Althoff leitet das Konzernsponsoring bei der Deutschen Telekom, die als sportliches Aushängeschild auch den Fußball-Bundesligisten FC Bayern München unterstützt. "Da ist nicht nur das Thema Doping, sondern auch Sportwetten oder Missbrauch. Außerdem das Thema Spielverschiebungen, da geht's um Gewalt im Sport", erklärte der Vorstandsvorsitzende der Sponsorenvereinigung S20. "Alles das wünschen wir uns nicht. Sondern wir möchten, dass der Sport seine Grundwerte, die er jetzt über viele Jahrhunderte mitgetragen hat - Fairness, Toleranz, ein respektvoller Umgang miteinander - dass er die auch zukünftig hat."