Zwischen Panik und Resignation
31. Oktober 2013Taschenkontrollen am Eingang von Geschäften und Hotels, die Straße vor dem Innenministerium und der französischen Botschaft gesperrt, mehr Polizei als sonst: In Tunesiens Hauptstadt Tunis ist die Anspannung nach den fehlgeschlagenen Anschlägen in den Touristenorten Sousse und Monastir am Mittwoch (30.10.2013) noch spürbar.
In der Altstadt von Tunis herrscht hingegen geschäftiges Treiben - allerdings sind fast nur Einheimische unterwegs. Ghazi steht in seinem kleinen Laden, in dem er Schmuck und traditionelle bunte Lederschuhe verkauft. Früher waren seine Kunden vor allem Touristen. "Hier läuft gar nichts mehr. Wenn das so weitergeht, mache ich bald Pleite", klagt er. Das Geschäft geht schon seit der Revolution bergab. Der Tourismus ist im Vergleich zu 2010 um gut 40 Prozent eingebrochen. Der Anschlag vom Vortag ändere daran dann auch nicht mehr viel, sagen Ghazi und seine Nachbarn einstimmig und resigniert.
"Touristen sind hier sicher"
Ghazi kann sich nicht vorstellen, dass so etwas noch einmal passiert - und dann vielleicht auch zivile Opfer fordern könnte: "Davor habe ich keine Angst, wir sind doch alle Tunesier, die ihr Land lieben." Touristen seien nach wie vor sicher, der Anschlagsversuch sei ein Einzelfall, ist er überzeugt. Mary sitzt mit ihrem Mann ein paar Meter weiter auf einer Treppe und beobachtet das Treiben auf der Straße. Die beiden britischen Touristen haben noch gar nicht von dem Anschlag gehört. "Wir fühlen uns hier sicher", bekräftigen sie.
19 tote Sicherheitskräfte von Nationalgarde und Militär muss Tunesien seit Beginn des Jahres beklagen. Viele Terrorverdächtige sind bei Gegenschlägen des Staates getötet worden. Die Zivilbevölkerung blieb jedoch bis jetzt verschont. Die fehlgeschlagenen Anschläge wecken nicht nur in Tunesien dunkle Erinnerungen. Im April 2002 kamen bei einem Anschlag auf die La Ghriba-Synagoge auf der Insel Djerba 22 Menschen ums Leben, darunter 14 deutsche Touristen. Frappierender sind für die Einheimischen jedoch die Parallelen zum Sommer 1987.
Damals, wenige Monate vor dem Putsch Zine El Abidine Ben Alis gegen den damaligen Präsidenten Habib Bourguiba, kam es ebenfalls in der Region von Sousse und Monastir fast zeitgleich zu Anschlägen auf vier Hotels. Diese wurden der Vorgängerorganisation der heutigen Regierungspartei Ennahda zugeschrieben. Diese Attentate nutzte das Regime damals, um die Unterdrückung der erstarkenden Islamisten zu rechtfertigen und voranzutreiben.
Problem Waffenschmuggel
Seit dem Umbruch im Januar 2011 radikalisieren sich in Tunesien Randgruppen der Gesellschaft zunehmend. Potenzielle Attentäter profitieren außerdem davon, dass die Grenzen zum Nachbarland Libyen seit dem Sturz Gaddafis durchlässig geworden sind. Die wichtigste Schmuggelroute für Waffen nach Algerien und Nordmali verläuft durch Tunesien, die konsequente Sicherung der Grenzen in der Wüste im Süden des Landes ist quasi unmöglich. "Die Tunesier haben große Angst. Wir müssen jetzt wirklich professionell sein, damit der Krieg gegen die Terroristen Erfolg hat", mahnt Chokri Hamada, Sprecher des größten Verbands der Polizeigewerkschaft.
Lange hatte die Regierung Tunesiens vor dem Problem die Augen verschlossen und geleugnet, dass sie ein Problem mit gewaltbereiten Gruppierungen habe. Noch im November 2012 sagte der heutige Premier- und damalige Innenminister, Ali Larayedh, es gäbe in Tunesien keine Trainingscamps von Terroristen. Inzwischen macht die Regierung die radikale salafistische Gruppierung Ansar Al-Sharia für die Angriffe und für die Morde an zwei Oppositionspolitikern im Februar und Juli 2013 verantwortlich. Wie stark Ansar Al-Sharia ist und ob sie tatsächlich hinter den wiederholten Anschlägen steckt, ist jedoch unklar. Der ehemalige Generalstabschef der Armee, Rachid Ammar, warnte im Juni, als er sein Amt niederlegte, in einem Interview jedoch sehr deutlich vor einer zunehmenden Gefahr gewalttätiger Übergriffe durch Extremisten. "Ihr Ziel ist, dass der Staat, so wie er existiert, kaputt geht. An seine Stelle sollen neue Fundamente, ein neues System treten. Und leider handelt es sich hier nicht nur um eine kleine Gruppe." Wie groß und wie gefährlich die Extremisten wirklich sind, auf diese Frage haben die Tunesier bis jetzt keine Antwort gefunden.