Ägypten: Wie verbreitet ist das Virus?
17. März 2020Das erste Todesopfer des Coronavirus in Afrika war nach derzeitigem Stand ein Deutscher. Der 60 Jahre alte Tourist erlitt in seiner Unterkunft in dem am Roten Meer gelegenen Ferienort Hurghada einen Fieberanfall. Kurz darauf verstarb er. Zuvor hatte der Mann an einer Nilkreuzfahrt teilgenommen und die touristischen Attraktionen am Ufer des Flusses besucht.
Als Reaktion auf den Todesfall testeten die ägyptischen Gesundheitsbehörden Dutzende von Menschen an Bord der Kreuzfahrtschiffe auf dem Nil. Dabei wurde bei 45 Personen das Virus nachgewiesen - unter den Infizierten waren auch 12 Mitarbeiter der Schifffahrtsunternehmen. Den Behörden zufolge hatte zuvor keiner von ihnen Symptome des Erregers gezeigt.
Doch schon Wochen bevor die ägyptischen Behörden Anfang März das Ausmaß der Epidemie erkannten, hatten Experten anderer Länder - Beamte des öffentlichen Gesundheitswesens in den USA, Taiwan und Kanada - einen schweren, allerdings nicht gemeldeten Ausbruch des Coronavirus tief im ägyptischen Kernland beobachtet.
Von Ägypten nach Kanada
Ende Februar war ein Kanadier von über 70 Jahren aus Ägypten nach Ontario zurückgekehrt. Dort erlitt er einen Fieberanfall. Eine Untersuchung im Krankenhaus brachte Klärung: Der Mann hatte sich mit dem Coronavirus infiziert. Zu diesem Zeitpunkt sprach die ägyptische Regierung von nur drei Infektionsfällen insgesamt.
Kanadische Mediziner äußern erhebliche Zweifel an dieser Zahl. "Wir haben unsere Analysen auf Ägypten konzentriert, weil das neue Coronavirus auch von dort nach Kanada kam", sagt Isaac Bogoch, Professor am medizinischen Institut der Universität Toronto, im DW-Gespräch. "Zu diesem Zeitpunkt dachte niemand daran, dass Ägypten zu den Ländern mit hoher Infektionsrate gehören könnte."
Wenn ein Land Fälle des neuartigen Coronavirus per Flugzeug exportiert, müsse man von einer hohen Zahl dort infizierter Personen ausgehen, so Bogoch. Die von ihm gesammelten Daten lassen erkennen, dass Ägypten über 95 Fälle exportiert hat.
Wie viele Infektionsfälle?
In einem Aufsatz in der akademischen Zeitschrift "Lancet Infectious Diseases" zeigt Bogoch, dass in Ägypten bis zu 19.000 Menschen infiziert sein könnten. Zu Beginn der Woche hatte die Regierung in Kairo weniger als 200 Fälle gemeldet.
"Dies alles deutet darauf hin, dass es in Ägypten mehr Fälle gibt als offiziell gemeldet", sagt Bogoch. "Auf der Grundlage unserer Daten scheint mir allerdings, dass man derzeit von eher 6.000 Fällen ausgehen muss. Dies liegt daran, das sich die Mehrzahl der Infektionen auf die Gegend um die Stadt Luxor beschränkt."
Gefängnisstrafe für unliebsame Schätzungen
In Ägypten selbst werden offen ausgesprochene Mutmaßungen zur Zahl der Infizierten geahndet. Mehrere Personen, die erklärten, die tatsächlichen Zahlen seien höher als die von der Regierung bekannt gegebenen, wurden verhaftet.
Bekannt sind Fälle von mindestens sieben Personen, die wegen entsprechender Aussagen von der ägyptischen Polizei verhaftet wurden. Sie hätten "Gerüchte" über den Ausbruch der Krankheit verbreitet, rechtfertigten die Behörden den Schritt. Aus dem ägyptischen Innenministerium hieß es, die Verhafteten würden mit der vollen Härte des Gesetzes bestraft.
In der vergangenen Woche starteten die ägyptischen Behörden eine Kampagne, in der die Bürger aufgefordert werden, "keine Daten oder Informationen zu verbreiten, die nicht von den betroffenen offiziellen Behörden herausgegeben wurden", berichtet die unabhängige Bürgerrechtsplattform "Egypt Watch". Auf diese Weise sollten die Bürger vermeiden, für ihre Aussagen haftbar gemacht zu werden, so die Webseite weiter.
Um andere als die offiziellen Zahlen zu vermeiden, gingen die Behörden noch weiter: Sie richteten WhatsApp-Adressen ein, um den Bürgern zu ermöglichen, Verstöße zu melden.
Unsachdienliche Hinweise der Behörden
Verschärft wird die Situation in Ägypten zudem durch falsche Hinweise des ägyptischen Gesundheitsministeriums zur Bekämpfung des Virus. So gibt es etwa Ratschläge zur Stärkung des Immunsystems wie "Trinken Sie mehr Orangensaft", "Essen Sie Honig" - Empfehlungen, die die Handlungsanweisungen der WHO zur Bekämpfung der Corona-Krise untergraben.