Ökotourismus in Costa Rica
26. November 2017Reservate für den Regenwald, Schutzprogramme für bedrohte Pflanzen und Tiere, Kakaoproduktion aus biologischem Anbau - dafür steht Costa Rica und hat den Ruf als Reiseland ein Ökoprimus zu sein. Bei meinem Besuch habe ich versucht, der Idee vom nachhaltigen Tourismus an drei Stationen ganz praktisch auf die Spur zu kommen.
Vorsicht Babies am Strand!
Ich war noch nie bei einer Geburt dabei. Heute dafür gleich bei mehreren. Eine von rund 80 frisch geschlüpften Schildkröten hat sich aus dem Loch befreit, das die Mutter für ihre Eier gegraben hatte, und trippelt die 20 Meter den Strand hinunter. Dort gleitet sie dann in das laue Wasser der Karibik. Ihre Geschwister tun es ihr gleich - aber sie alle haben es nicht leicht, denn sie sind nicht alleine am Strand. Rund 30 Touristen und ich sind hier. Der Strand ist frei zugänglich, es gibt keine Absperrungen. Einige wenige Guides vom Nationalpark Tortuguero an der Karibikküste Costa Ricas geben Anweisungen: "Nicht in den Weg der Schildkröten stellen! Aufpassen, wo ihr hintretet! Nicht helfen!“ Die winzigen Tiere müssen alleine zurechtkommen. Doch viele Touristen hören nur mit einem halben Ohr hin - sie sind viel zu beschäftigt mit Knipsen und Filmen. "Oops“, eine Señora neben mir hat soeben eines der kleinen Tierchen zwischen ihren Beinen nicht bemerkt und aus Versehen mit ihren Füßen umgestoßen. Die Schildkröte rappelt sich aber wieder auf und läuft weiter.
Es ist 17 Uhr - eine gute Zeit zum Schlüpfen, da die Hitze des Tages schon langsam abgeklungen ist. Von Juli bis Oktober ist die Brutsaison der grünen Meeresschildkröten, die eher grau als grün aussehen. "Insgesamt gibt es hier schätzungsweise bis zu 40.000 solcher Brutlöcher auf rund 30 Kilometern Strand“, sagt mir Diego, einer der Guides, während Touristen und Baby-Schildkröten um uns herumwuseln. Ob es hier offizielle Regeln von den Behörden gibt, möchte ich wissen. Diegos Antwort fällt knapp aus: "Nein.“ Und das bei rund 200.000 Touristen pro Jahr im Nationalpark Tortuguero.
"Mir tut es weh, das zu sehen“, sagt mir María Fernanda Vaquero Castillo, als ich mich vom Strand entferne. Die 14-Jährige wohnt hier im einzigen Ort des Nationalparks. "Das muss einfach besser organisiert und reglementiert werden. Damit meine ich nicht, Eintritt für den Strand zu fordern - sondern die Touristen für dieses Wunder der Natur zu sensibilisieren.“ Die Schülerin ist hier an der Karibikküste aufgewachsen und sammelt mit Freunden freiwillig den Müll am Strand ein. Sie hat wohl schon hunderte Schildkröten schlüpfen gesehen. Sicherlich immer wieder ein wunderschönes Erlebnis, doch jetzt hat die Achtklässlerin Tränen in den Augen: "Einmal habe ich eine tote Baby-Schildkröte gesehen, die sich an einer Bierdose die Kehle aufgeschlitzt hatte - das war das Schlimmste.“
Die Sonne geht unter - und wir gehen wieder zum Strand. Dieses Mal zu einem anderen Abschnitt. Es ist stockdunkel und plötzlich fliegt mir Sand ins Gesicht. Der Guide schaltet seine Taschenlampe mit schwachem, roten Licht ein. Schemenhaft kann ich das erkennen, was ich am Nachmittag als Miniaturausgabe bewundern durfte. Eine Meeresschildkröte mit einem Meter Durchmesser buddelt im Schutze der Dunkelheit ein Loch in den Strand. Mit ihren Flossen wirft sie den Sand weit nach hinten. "Keine Fotos“ sagt der Guide leise und nicht zum ersten Mal. Licht und Lärm könnten die Schildkröte stören. Nur die Funzel vom Guide wird ab und zu eingeschaltet und der Lichtkegel wandert über den Panzer des Tieres. Nach einer guten halben Stunde ist die Schildkröte fertig mit Graben. Während sie ihre Eier legt, ziehen wir uns langsam zurück.
Eine weitere halbe Stunde später bewegt sich etwas am Loch. "Sie ist fertig“ flüstert der Guide. Kurz darauf wandert das Tier behäbig zurück Richtung Wasser, gefolgt von einer Entourage aus Touristen. Keiner spricht, alle halten Abstand und schleichen dem Reptil hinterher. Ob es uns bemerkt hat? "Das wissen wir nicht“ sagt der Guide. Die ersten kleinen Wellen treffen die Schildkröte, die unbeirrt weitergeht und schließlich vom Meer verschluckt wird. Die Babys werden ihre Mutter wohl nie sehen - dafür vielleicht aber eine Horde Touristen, die möglicherweise dann am Loch steht, wenn sie das erste Mal das Licht der Welt erblicken.
Mit der Seilbahn durch den Regenwald
Rund 60 Kilometer Luftlinie vom Schildkröten-Strand entfernt sitze ich in der Gondel einer Seilbahn auf Höhe der Baumkronen. Unter mir sehe ich den Regenwaldboden vorbeiziehen. Links und rechts sitzen bunte Vögel in den Bäumen. "Das da drüben ist ein Rotaugenvireo - ein amerikanischer Singvogel“ ruft der Guide von hinten und die Gondel hält kurz an. Es ist eine von 22, die durch den Rainforest Adventure Park fährt.
Der Park ist eine Autostunde von der Hauptstadt San José entfernt und in privater Hand. Neben der Dschungel-Seilbahn, die seit 1994 hier steht und als Highlight des Parks gilt, werden unter anderem auch Zip-Lining, Wanderungen und Vogelbeobachtungen angeboten. Der Geschäftsführer Nicolas Staton empfängt hier pro Jahr 40.000 bis 50.000 Gäste. Trotz der Besucheranzahl sei der Tourismus nachhaltig: "Wir sind seit 2012 klimaneutral!“ sagt der 33-Jährige stolz. Das heißt, dass die CO2-Emissionen des Parks vollständig kompensiert werden. Beispiele für die Nachhaltigkeit des Tourismus hier kann Staton zuhauf nennen: "Wir erhalten 450 Hektar Regenwald, Müll wird recycelt und wir säubern den Park nur mit ökologischen Elementen.“ Außerdem hätten Bewohner aus den umliegenden Gemeinden hier Arbeit. Das sei ein Bestandteil des nachhaltigen Tourismus. "Der besteht aus drei Säulen“, so der Geschäftsführer weiter, "ökologische, finanzielle, aber auch soziale Entwicklung.“ Anstatt vielleicht Tiere illegal zu jagen oder den Wald zu roden, zeigen die hier arbeitenden Locals den Besuchern Flora und Fauna ihrer Heimat.
Und diese Fauna bietet neben bunten Vögeln auch andere exotische Tiere. Auf einem Ast, relativ nah an der Gondel, sitzt ein riesige Spinne. Ich bemerke sie spät, erschrecke mich und ziehe Fotoapparat samt Arm ruckartig in die Gondel zurück. Mit der Spinne hatte ich nicht gerechnet - mit dem Gelächter der anderen fünf Insassen schon.
Die Öko-Lodge im Nirgendwo
Die gut ausgebaute Straße zum Rainforest Adventure Park haben wir längst verlassen. Und hätte unser Jeep keinen Allradantrieb, wären wir aufgeschmissen, denn diese zehn Kilometer auf nicht asphaltierten, dafür umso kurvigeren Pisten, sind mit einem herkömmlichen Mietwagen nicht befahrbar. An einer Stelle müssen wir mit dem Fahrzeug sogar durch einen Fluss. Diese umständliche Anreise müssen Touristen in Kauf nehmen, wenn sie zur Selva Bananito Lodge mitten im Regenwald möchten.
Wer hier seinen Urlaub verbringt, will in der Regel abschalten. Einschalten hingegen muss ich nur meine Taschenlampe am Abend, um den Weg zu meiner kleinen Hütte zu finden. Die Geräuschkulisse des Regenwalds ist beeindruckend: es zirpt, quakt und zwitschert von überall her. In der Hütte selbst bin ich froh über das Moskito-Netz über meinem Bett, das neben erstaunlich wenig Mücken eine Vielzahl unterschiedlichster Insekten von mir fern hält.
"Das ist kein All-Inclusive-Bunker. Ich nutze den Tourismus hier als Mechanismus der Regenwalderhaltung“, sagt Jürgen Stein, der seit 1974 in Costa Rica lebt und die Öko-Lodge seit 22 Jahren führt. Doch wie funktioniert das? "Der große Fehler ist immer, auf das schnelle Geld zu schauen. Das hier ist eine kleine Lodge mit persönlicher Atmosphäre“, sagt der 51-Jährige. "Im Jahr habe ich vielleicht 4000 bis 5000 Gäste. Jede Aktivität hier soll in der Zukunft von unseren Kinder und Enkelkindern betrieben werden können, ohne dass wir irgendetwas dabei kaputtmachen.“ Das bedeutet unter anderem, dass jeder Gast hier einen Baum pflanzt, dass das Wasser in den Hütten von der Sonne geheizt wird und die Seife biologisch abbaubar ist.
Dann wird Jürgen ein bisschen sauer. Das liegt an meiner Frage, inwiefern seine Öko-Lodge denn vielleicht nur ein Tropfen auf den heißen Klima-Stein sei. "In meinem Wald sind mehr als 500.000 Tonnen CO2 gespeichert“, erklärt mir Jürgen eindringlich. "Durch die Aufforstungsprojekte kommen weitere 150.000 Tonnen hinzu. Allein was meine Gäste hier angepflanzt haben, macht mich als Lodge in den nächsten 200 Jahren CO2-negativ!“ Das heißt: Jürgen gibt der Umwelt mehr, als er von ihr nimmt. Das ist das Gegenteil von dem, was sein Vater vorhatte, als er vor über vier Jahrzehnten die 17 Quadratkilometer Regenwald in Costa Ricas Provinz Limón kaufte. Geplant war nämlich traditionelle Landwirtschaft: Kakaoanbau, Bananenplantagen und Viehzucht. Und damit geht stets die Abholzung des Waldes einher. "Meine Schwester und ich haben gesehen, dass er mit der Abholzung Lebensunterstützungssysteme zerstörte.“ 1985 war dann Schluss damit.
Und dass es nicht zu spät war, das sehe ich am nächsten Morgen aus der Luft. Denn Jürgen fliegt Tragschrauber - ein etwas klapprig wirkendes Fluggerät mit zwei Sitzen, das einem Helikopter ähnelt. Vor dem Start bin ich noch ziemlich nervös, in der Luft dann aber so begeistert von der Aussicht, dass ich meine Angst vergesse. Hoch über "Jürgen-Land“, wie die Leute aus der Gegend den Wald nennen, kann man gut erkennen, was der Vater falsch und der Sohn richtig gemacht haben. Drei Viertel der Fläche haben eine satte grüne Farbe, sind also unberührter Primärwald. Ein Viertel ist hellgrün. Dieser Teil war abgeholzt worden und wird für Landwirtschaft, Viehzucht und natürlich die Selva Bananito Lodge genutzt.
Wir landen und jetzt lacht Jürgen auch wieder. Ich kann es über die Kopfhörer in meinem Helm hören. Auch wenn er schon unzählige Male geflogen ist, vergeht ihm der Spaß daran offenbar nicht. Ich frage ihn, ob Costa Rica als Ökoprimus herhalten kann. "Ja“ sagt er, "aber es gibt leider noch zu viele überrannte Gebiete. Zum Beispiel den Nationalpark Manuel Antonio an der Pazifikküste. Da kommen die Affen am Strand direkt zu den Touristen und durchsuchen die Rucksäcke nach Junkfood, weil sie danach süchtig geworden sind. Die Affen hier in meinem Wald werfen Stöcke nach dir, wenn sie dich sehen, weil sie sich in ihrem Habitat gestört fühlen.“
Und das ist auch richtig so, denke ich mir - denn hier bin ich der Störenfried, der Affe ist zuhause.