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Ölpest im Schwarzen Meer: Russlands Behörden überfordert?

Alexey Strelnikov
22. Januar 2025

Viele Russen stornieren ihre geplanten Urlaubsreisen an die mit Heizöl verschmutzte Küste von Anapa. Die Pest ist immer noch nicht eingedämmt. Freiwillige Helfer beklagen Überwachung und Vertuschung seitens der Behörden.

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Aufräumarbeiten mit einem Bagger an den Stränden von Anapa
Aufräumarbeiten an den Stränden von AnapaBild: Dmitry Feoktistov/dpa//TASS/picture alliance

Eine Welle von Stornierungen erfasst Sanatorien sowie Kinder- und Jugendlager in Anapa am Schwarzen Meer. Viele sagen wegen der Öl-Verschmutzung der Strände der Region Krasnodar im Süden Russlands ihre Urlaubsreisen ab. "Eltern wollen ihre Kinder nicht an die gefährliche Küste schicken", heißt es beim Telegram-Kanal "Kub Mash". Demnach fordern auch Firmen, die Reisegutscheine als Boni an Mitarbeiter verteilt haben, ihr Geld zurück.

Wie Nina Ostanina, Vorsitzende des Familien-Ausschusses der russischen Staatsduma, der russischen Zeitung "Parlamentskaja Gaseta" erklärte, sind die Buchungen bei Kindererholungs- und Gesundheitsorganisationen in Anapa für Januar um 27 Prozent, für Februar um 38 Prozent und für den Sommer um 40 Prozent zurückgegangen. 

Die Ölpest wurde am 15. Dezember 2024 von den russischen Tankern "Wolgoneft-212" und "Wolgoneft-239" in der Straße von Kertsch vor der von Moskau annektierten ukrainischen Halbinsel Krim verursacht. Beide Tanker waren in Seenot geraten. Eines der Schiffe lief auf eine Sandbank auf und das zweite lief auf Grund. Ein Besatzungsmitglied kam dabei ums Leben.

Öl gelangt weiterhin ins Meer

Einen Monat nach der Havarie kann das Loch im Heck eines der Tanker laut Behörden wegen schwieriger Bedingungen für Taucher nicht geschlossen werden. Offiziellen Angaben zufolge könnten von den 9200 Tonnen Heizöl, die mit den Tankern transportiert wurden, bereits rund 5000 ins Meer gelangt sein. Es ist Schweröl vom Typ M100, das sich zum Teil auf dem Meeresboden absetzt und zum Teil an Land gespült wird. Die Verschmutzung erstreckt sich über 50 Kilometer.

Ein Mann und ein Bagger beseitigen Ölreste am Stand des Schwarzen Meeres
Beseitigung der Folgen der Ölpest im Schwarzen MeerBild: Russian Emergencies Ministry/dpa/picture alliance

Das russische Katastrophenschutzministerium behauptet, es gebe keine wirksame Methode, Ölprodukte dieser Art abzuschöpfen, doch Umweltschützer versichern, entsprechende Methoden gebe es seit dem Untergang des Tankers Prestige mit ähnlichen Ölprodukten vor der Küste Spaniens im Jahr 2002. Die russischen Behörden rechnen unterdessen mit Beginn des Sommers mit weiteren Problemen. Denn bei steigenden Temperaturen beginnen sich Ölprodukte im Wasser aufzulösen und dann wird weiteres Öl an die Küste gespült.

Folgen für Umwelt und Mensch

Eugene Simonov von der Umweltgruppe Ukraine War Environmental Consequences Work Group (UWEC) sagt im DW-Gespräch, es werde zehn Jahre dauern, bis sich die natürlichen Ökosysteme erholt haben. "Doch für manche Arten könnte dieser Ölunfall verheerende Folgen haben", warnt der Umweltaktivist.

Laut Greenpeace wurden bis Anfang Januar 32 Delfine tot geborgen und 1355 verendete Vögel gemeldet. Anna Jerzak, Expertin der Umweltschutzorganisation für Mittel- und Osteuropa, erläutert gegenüber der DW, dass für Fische hohe Konzentrationen von Kohlenwasserstoffen schädlich seien, was zu einem Populationsrückgang und der Unterbrechung von Nahrungsketten führe. "Langfristig vergiften Ölprodukte Seegräser, was den Lebensraum vieler Organismen zerstört", so Jerzak.

Öl an einem Stand der Krim
Auch Stände der Krim sind mit Öl verschmutztBild: Russian Emergencies Ministry/dpa/picture alliance

Eugene Simonov fügt mit Blick auf den nächsten Sommer hinzu, das Heizöl sei auch für die Menschen gefährlich, die im Meer schwimmen wollen. "Sie werden einen üblen Geruch wahrnehmen, bei vielen werden sich Atemwegsprobleme verschlimmern und all das kann auch krebserregende Folgen haben", sagt er. Anna Jerzak warnt ebenfalls vor giftigen Dämpfen, allergischen Reaktionen und Hautentzündungen.

Helfer klagen über Behörden

Alle Freiwilligen, die das Ufer reinigen oder Vögel von Öl befreien, tragen Schutzanzüge. Entstanden sei die Bewegung spontan und rund 10.000 Menschen hätten sich schon bei der Zentrale zur Rettung von Vögeln gemeldet, sagt der Ökologe Jewgenij Witischko der DW. So konnten rund 2500 Vögel gerettet werden.

"Das ist etwa die Hälfte aller Vögel, die ins Heizöl geraten sind. Das ist mehr als weltweit üblich; meist werden nur 10 bis 12 Prozent gerettet", so Witischko. Er versucht, die Behörden zu überzeugen, ein Rehabilitationszentrum für Vögel einzurichten, wo man sie drei bis sechs Monate halten könnte. "Uns bleibt dafür nur noch ein Monat, danach wird es keine Vögel mehr geben, die man noch retten könnte", betont er.

Einer der Freiwilligen sagt, ihre Zentrale sei zunächst dank Spenden entstanden. Mit der Zeit hätten die Helfer dazu aufgerufen, nötige Dinge und Ausrüstung direkt bei Online-Shops zu bestellen und sie gleich an die Freiwilligenzentrale liefern zu lassen. Unterkunft und Verpflegung bekommen die Helfer kostenlos von Hotels vor Ort, für die die bevorstehende Sommersaison eine Frage des eigenen Überlebens ist.

Behörden wollen Überwachung

Wie die DW erfuhr, hatten die Behörden die Freiwilligen anfangs mit Schutzanzügen aus China versorgt, und der Einsatz von Spezialausrüstung lief nur schleppend an. Auch wenn das Problem inzwischen gelöst ist, haben die Freiwilligen den Eindruck, dass sie und nicht der Staat die meiste Aufräumarbeit leisten. Sie beklagen, dass sich Vertreter von Behörden unnötig in ihre Arbeit einmischen. Der russische Präsident Wladimir Putin hatte bei einem Treffen mit Ministern "Amtsvertreter" aufgefordert, sich aktiver an den Aufräumarbeiten zu beteiligen.

Als Mitarbeiter des Umweltministeriums Anfang Januar nach Anapa kamen, sorgten sie für einen Skandal. Sie nahmen etwa 160 gerettete Vögel und entließen sie in die Wildnis, ohne Rücksprache mit den Helfern. "Das haben sie aus PR-Gründen getan", sagt ein Mitarbeiter der Freiwilligenzentrale gegenüber der DW. Die Aktion nahm ein tragisches Ende, da am nächsten Tag fast alle Vögel tot am Ufer aufgefunden wurden. Mit dem Öl sei auch die natürliche Wärmeschutzschicht aus dem Gefieder der Vögel beseitigt worden, und diese habe sich in so kurzer Zeit noch nicht erneuert, erläutern Vogelkundler.

Freiwillige beseitigen Heizöl in Plastiksäcken an der Schwarzmeerküste in Anapa
Freiwillige beseitigen Heizöl an der Schwarzmeerküste in AnapaBild: Anapa Mayor's Office/REUTERS

Nach dem Skandal wurde in der Freiwilligenzentrale eine Mitarbeiterin eingesetzt, zuständig für die Beziehungen zu Medien und Behörden. Freiwillige Helfer sagen, sie sei für die Überwachung der Inhalte im internen Chat der Zentrale verantwortlich. Einem der Helfer zufolge betreibt die Beauftragte Lobbyarbeit für den Duma-Abgeordneten der regierenden Partei "Einiges Russland", Artjom Meteljew, der die regierungstreue Bewegung "#WeAreTogether" leitet, die für verschiedene Hilfsaktionen landesweit Freiwillige rekrutiert.

Ein anderer Helfer erinnert sich, in der Freiwilligenzentrale habe zunächst eine offene Stimmung geherrscht: "Ich war erstaunt, wie freundschaftlich Menschen miteinander umgingen. Einige schleppten, andere wuschen Vögel, andere verteilten Schutzausrüstung. Es war super, Teil davon zu sein." Doch als die Behörden begonnen hätten, auf das Zentrum Einfluss zu nehmen, seien bei ihm Zweifel an den Statistiken und Arbeitsmethoden gekommen. Der Helfer vermutet, dass die lokalen Behörden aus Furcht vor den föderalen versuchen, Vorgänge und Zahlen zu vertuschen. "Trotz kostenlosen Essens und Wohnens ist von meinen eigenen Rücklagen wenig übrig", sagt er und betont zugleich, bleiben zu wollen, aus dem Gefühl heraus, etwas Wichtiges zu tun.

Adaption aus dem Russischen: Markian Ostaptschuk