Auf dem Weg in die blaue Republik?
21. Mai 2016"Beide blamiert, Amt beschädigt, Kindergartenniveau" – so fasste der Politologe Thomas Hofer zusammen, was der österreichische Privatsender ATP am vergangenen Sonntag seinen Zuschauern präsentiert hatte: eine aus dem Ruder gelaufene Verbalschlacht der beiden Stichwahl-Kandidaten. Alexander Van der Bellen, 72, (unabhängig) und Norbert Hofer, 45, (Freiheitliche Partei Österreichs, FPÖ), die in der ersten Wahlrunde die meisten Stimmen erhielten, prallten unmoderiert aufeinander. Ein TV-Experiment, das daneben ging, denn beide sparten nicht mit Beschimpfungen. Geholfen hat das wohl keinem, waren sich die Experten einig.
Das Ende des "österreichischen Modells"
Eines solchen medialen Desasters hätte die Dramaturgie des österreichischen Präsidentenwahlkampfes gar nicht bedurft. Der Kampf um den Schreibtisch in der Wiener Hofburg hat auch sonst alles, was man historisch nennen kann. Der im Auftritt meist ruhige und korrekt gekleidete (Anzug mit Einstecktuch) Hofer hatte es im ersten Wahlgang mit rund 35 Prozent der Wählerstimmen geschafft, weit über die bisherige FPÖ-Anhängerschaft hinaus zu punkten. Diese Klientel hatten Demoskopen mit maximal 30 Prozent taxiert.
Sein Kontrahent Van der Bellen, ein Grünen-Politiker, der aber als Unabhängiger ins Rennen geht, erhielt nur 21 Prozent. Fast noch bemerkenswerter ist der Sturz der Dauer-Koalitionäre SPÖ (Sozialdemokratische Partei Österreichs) und der ÖVP (Österreichische Volkspartei) in die Bedeutungslosigkeit. Rote und Schwarze ("das österreichische Modell") teilten jahrzehntelang den Staat unter sich auf. Stets nach dem Motto: Man braucht sich, man tut sich nicht weh. Beide sind inzwischen mit nur noch rund 20 Prozent in Umfragen zu schwach für eine Koalitionsmehrheit. Die neue Farbe in Österreich ist blau: Die FPÖ (derzeit zwischen 30 und 32 Prozent) ist die größte Macht im Land. Einst als Tabu behandelt, hat sich das Land längst an die Freiheitlichen gewöhnt. Drei von vier früheren SPÖ-Wählern stimmen inzwischen für die FPÖ.
Die Freiheitlichen und der Wagenburg-Effekt
Schon 2000 machte die Alpenrepublik international Schlagzeilen, als die FPÖ an der Regierung beteiligt wurde. Damals wie heute hagelte es Kritik aus dem Ausland - zum Vorteil der Freiheitlichen. Gerade Einmischung von außen, insbesondere aus Deutschland, lässt die Österreicher rechts von der Mitte zusammenrücken. Die knapp neun Millionen südöstlichen Nachbarn Deutschlands lassen sich insbesondere vom großen Bruder wenig sagen. Das bekam auch Sigmar Gabriel zu spüren. Der SPD-Chef hatte "eine Front aller demokratischen Kräfte" gegen Hofer gefordert. Hofer konterte: "Wir nehmen keine Befehle aus Berlin entgegen."
Schon vor 30 Jahren, als Kurt Waldheim, dem seine NS-Vergangenheit vorgehalten wurde, zum Bundespräsidenten gewählt wurde, solidarisierte sich eine Mehrheit rechts von der Mitte mit dem vor allem aus Deutschland Kritisierten. Und auch vor 16 Jahren, als ÖVP-Ministerpräsident Wolfgang Schüssel Jörg Haiders FPÖ an den Kabinettstisch holte, war der Wagenburg-Effekt zu beobachten. Immer dann, wenn den Wählern "empfohlen" wird, doch bitte nicht für die Populisten zu stimmen, stellt sich der österreichische "Jetzt-erst-recht-Effekt" ein.
Erst Hofer, dann Neuwahlen?
Sollte Norbert Hofer am Sonntagabend zum Bundespräsidenten gewählt werden, stellt sich auch die Frage des Amtsverständnisses. Die Verfassung gewährt dem Präsidenten umfangreiche Rechte, die allerdings bislang kaum in Anspruch genommen wurden. Spätestens im Herbst 2018 wird der Nationalrat gewählt und auch der Bundeskanzler. Doch seit Wochen wird das Szenario Neuwahlen diskutiert.
Sollte die FPÖ nicht bis zum turnusmäßigen Wahltermin warten wollen, wäre ein Bundespräsident Hofer frei, die Regierung zu entlassen. Ein Anlass könnte sich in wirtschaftlich schwierigen Zeiten schnell finden lassen. Ein Bundeskanzler, den der Bundespräsident einsetzt, könnte das Staatsoberhaupt um Auflösung des Parlaments ersuchen. Bei den nachfolgenden Neuwahlen geht die FPÖ bei den rund sechs Millionen Wählern als Sieger hervor, so stellen sich das die Freiheitlichen vor. Hofer ließ immer wieder anklingen, dass er als Präsident aktiver in die Politik eingreifen wolle. Dabei wird er auch konkret. Er hätte, so sagt er unumwunden, bei der Grenzöffnung für die Flüchtlinge die Regierung entlassen.