Österreich: Die Präsidentschaft und der Westbalkan
15. November 2016Die Bundespräsidentenwahl in Österreich am 4. Dezember ist in vielerlei Hinsicht richtungsweisend: Gewinnt FPÖ-Kandidat Norbert Hofer (Im Artikelbild rechts) das Rennen, könnte das die Rechtspopulisten vor den Parlamentswahlen 2018 entscheidend stärken und eine politische Wende der Zweiten Republik einleiten. Seit dem Ausbruch der Flüchtlingskrise führt die FPÖ in allen Wählerumfragen. Gegenkandidat Alexander Van der Bellen ist ehemaliger Bundessprecher der Grünen, wird aber - in Opposition zur FPÖ - neben seiner ehemaligen Partei auch von den Sozialdemokraten der SPÖ und Teilen der konservativen Volkspartei ÖVP unterstützt.
Van der Bellen und Hofer kommen also von unterschiedlichen Enden des politischen Spektrums. Entsprechend unterschiedlich ist ihr Blick nicht nur auf die Flüchtlingsfrage - sondern in vielen Punkten auch auf eine geopolitisch höchst sensible Nachbarregion Österreichs: den Westbalkan. In Österreich leben über eine halbe Million Zuwanderer mit Wurzeln in Ex-Jugoslawien. Viele von ihnen sind bereits eingebürgert und können auch an den Bundespräsidentenwahlen teilnehmen.
Vermitteln oder integrieren?
Einig sind sich die beiden Präsidentschaftskandidaten in der EU-Perspektive der Westbalkan-Staaten. So sagte Alexander Van der Bellen im Gespräch mit der Deutschen Welle, der jeweilige EU-Beitritt habe sowohl Slowenien und als auch Kroatien Frieden und relative Stabilität gebracht. "Ich begrüße es, dass auch die anderen Republiken des Westbalkans eine Beitrittsperspektive erhalten."
Auch für Hofer ist die Aufnahme der Staaten des Westbalkans in die EU ein "Eckpfeiler für zukünftige politische und wirtschaftliche Stabilität und ein friedliches Miteinander". Im Gespräch mit der DW betont der FPÖ-Kandidat: "Auch wenn nicht alle Staaten sofort aufnahmefähig sind, so muss die Perspektive für eine Integration in Zukunft klar aufgezeigt werden."
Beide Kandidaten versprechen, als gewählte Bundespräsidenten wichtige politische Herausforderungen auf dem Westbalkan anzugehen. Doch während Hofer verstärkt eine Vermittlerrolle in der Region einnehmen möchte, will Van der Bellen mit der österreichischen Regierung konkrete Möglichkeiten prüfen, wie Österreich die Westbalkanländer auf ihrem Weg in die EU unterstützen kann. Deren Integration in die EU müsse die nächste konkrete Aufgabe des europäischen Friedensprojekts sein, betont Van der Bellen.
Eine Frage der Grenzziehung
Besonders angespannt ist derzeit die Lage in Bosnien-Herzegowina, wo bosnische Serben auf eine Abspaltung der "Republika Srpska" von den hauptsächlich bosniakisch und kroatisch bevölkerten Landesteilen drängen. 2018 könnten sie sogar ein Referendum darüber abhalten. "Sowohl die Regierungen in Sarajevo als auch in Belgrad werden hoffentlich im Rahmen der Beitrittsverhandlungen so weit motiviert werden, dass sich auch die Vertreter der bosnischen Serbinnen und Serben der europäischen Perspektive nicht mehr entziehen können", sagt der Unabhängige Van der Bellen.
Auch Hofer ist sich der komplexen politischen Lage im Nachkriegs-Bosnien bewusst: "Es wird im Laufe der Jahre bei ehrlichem Bemühen aber möglich sein, eine vernünftige diplomatische Lösung zu erreichen." Die aber sieht Hofer nicht zwingend im EU-Beitritt eines Bosnien-Herzegowina in den heutigen Grenzen: Er pocht auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker, das auf "Basis von Respekt und Vertrauen fußen muss". Der FPÖ-Politiker erinnert daran, dass die Unantastbarkeit der Grenzen auf dem Westbalkan bereits Anfang der 1990er Jahre aufgehoben wurde, "als man die innerjugoslawischen Verwaltungsgrenzen über Nacht zu Staatsgrenzen erklärt hat."
Für Unabhängigkeitsbestrebungen in der Republika Srpska zeigt er dementsprechend Verständnis und unterstützt offen Milorad Dodik, Präsident der Republika Srpska, und dessen separatistische Regierung: "Wenn sich Bosnien-Herzegowina aus dem damaligen Jugoslawien - und das ohne Volksentscheid - herauslösen konnte, dann kann man die Bemühungen der Republika Srpska leichter verstehen", behauptet der FPÖ-Präsidentschaftskandidat und vergisst dabei das am 29. Februar und 1. März 1992 abgehaltene Referendum, bei dem rund 63 Prozent der Wählerschaft Bosnien-Herzegowinas für ein unabhängiges Land votierten.
Van der Bellen dagegen hält neuerliche Grenzverschiebungen in der Region für "destablisierend". Zudem fühle er sich als möglicher Repräsentant der Republik Österreich der Tradition österreichischer Neutralitätspolitik verpflichtet: "Ich halte nichts von einer einseitigen Parteinahme für den einen oder anderen Politiker auf dem Westbalkan."
Anerkennung des Kosovo: Bedingung für EU-Beitritt?
Weniger neutral zeigt sich Van der Bellen in der Kosovo-Frage: "Serbien hat de facto die Rolle der Lokomotive für einen zügigen Beitrittsprozess der Westbalkanländer. Einen Beitritt Serbiens ohne Anerkennung des Kosovo sollte es jedoch nicht geben", so der ehemalige Grünen-Chef.
FPÖ-Kandidat Hofer dagegen will die Anerkennung des Kosovo seitens Serbiens als mögliche Bedingung für einen EU-Beitritt nicht kommentieren. Er betont, dass Serbien von allen Westbalkanländern "die besten Daten" aufweise. Unterdessen warb neulich FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache in der serbischen Zeitung "Danas" um Stimmen von serbischen Zuwanderern für seinen Kandidaten Hofer: Die FPÖ unterstütze ein Europa auf christlichen Fundamenten. Sollte den Österreichern serbischer Abstammung ein solcher Standpunkt naheliegen und wünschten sie keine Islamisierung Europas, sei ihre Unterstützung für Hofer "sehr willkommen", sagte Strache.