Österreichs Vizekanzler tritt wegen Video ab
18. Mai 2019Österreichs Vize-Regierungschef Heinz-Christian Strache tritt von seinem Amt zurück. Auch die Funktion als FPÖ-Vorsitzender werde er an seinen Stellvertreter Norbert Hofer abgeben, sagte Strache in einer Pressekonferenz in Wien.
Anlass für den Rücktritt ist ein Video, das bereits 2017 heimlich aufgenommen wurde. Darin zeigte sich Strache noch vor der Parlamentswahl bereit, öffentliche Aufträge an die angebliche Nichte eines russischen Oligarchen zu vergeben - als Gegenleistung für finanzielle Unterstützung im Wahlkampf. Die "Süddeutsche Zeitung" (SZ), das Magazin "Der Spiegel" und das österreichische Wochenblatt "Falter" hatten am Freitag zuerst darüber berichtet.
Die vermeintliche Oligarchin bot laut den Berichten zudem an, finanzielle Anteile am einflussreichen Boulevardblatt "Kronen-Zeitung" zu übernehmen. Im Gegenzug habe Strache ihr zugesichert, sollte sie 50 Prozent kaufen, würde ein Unternehmer aus dem Dunstkreis der FPÖ die anderen 50 Prozent beisteuern. "Wir wollen eine Medienlandschaft ähnlich wie der (Viktor) Orban aufbauen", sagte Strache laut SZ und "Spiegel". Der ungarische Ministerpräsident höhlt die Pressefreiheit seit Jahren massiv aus und bringt die Medien auf Regierungslinie.
Auch der FPÖ-Fraktionschef im Nationalrat, Johann Gudenus, erklärte seinen Rückzug von allen politischen Ämtern. Er wolle sein "tiefstes Bedauern über die zwei Jahre zurückliegenden Vorkommnisse zum Ausdruck bringen", sagte Gudenus, der Straches Treffen mit dem weiblichen Lockvogel auf Ibiza vermittelt hatte und bei dem Gespräch als Dolmetscher tätig war.
In der Wiener Innenstadt versammelten sich nach Polizeiangaben etwa 5000 Menschen. Sie forderten auf dem Ballhausplatz zwischen Kanzleramt und Hofburg lauthals Neuwahlen und das vollständige Ausscheiden der FPÖ aus der Regierung. Vereinzelt wurde auch der Rücktritt von Kanzler Sebastian Kurz verlangt.
Österreich vor Neuwahlen?
Kurz selbst will am Samstagabend ein Statement abgeben. Auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen will sich vor der Presse äußern. Laut der Deutschen Presse-Agentur stehen die Zeichen Richtung Neuwahlen. Diese Entscheidung sei praktisch sicher, schreibt dpa. Eine Einigung von ÖVP und FPÖ auf eine Fortsetzung der Koalition sei an einer Personalie gescheitert, meldet die österreichische Nachrichtenagentur APA ergänzend. Die ÖVP soll von der FPÖ die Absetzung von Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) verlangt haben, um ihr ehemaliges Kernressort wieder selbst zu übernehmen. Darauf will sich die FPÖ demnach nicht einlassen.
"Dumm und unverantwortlich"
Strache bat in seiner Presseerklärung all jene um Entschuldigung, die er gekränkt habe. Wörtlich sagte der 49-Jährige: "Ja, es war dumm, es war unverantwortlich, und es war ein Fehler." Zugleich betonte er, der einzige strafrechtliche Verstoß, der vorliege, sei die illegale Videoaufzeichnung eines inszenierten Gesprächs. Er habe "niemals" etwas Gesetzeswidriges "angeboten oder getan". Strache suggerierte, die "Schmutzkübelkampagne" zum jetzigen Zeitpunkt lege eine gezielte Wahlbeeinflussung durch das Ausland nahe. Belege für diese Therorie nannte er nicht.
Harsche Kritik aus Deutschland
In Berlin kritisierte Außenminister Heiko Maas (SPD) den österreichischen Bundeskanzler Kurz wegen dessen Regierungskoalition mit der rechtspopulistischen FPÖ scharf. "Rechtspopulisten sind die Feinde der Freiheit. Mit Rechtspopulisten gemeinsame Sache zu machen, ist verantwortungslos", sagte Maas der "Bild am Sonntag".
Angesichts der Europawahl rief Maas zu einem deutlichen Bekenntnis gegen Rechtspopulisten auf. "Wir müssen laut und klar genug gegenhalten, damit Rechtspopulisten in Europa nicht noch mehr Zulauf bekommen."
Die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer sagte, das Video zeige, dass Rechtspopulisten in Europa, egal in welchem Land, bereit seien, das Interesse ihres Landes für ihr eigenes Wohlergehen zu verkaufen. "Und wenn es für ein Butterbrot ist. Diese Menschen dürfen in Europa keine Verantwortung übernehmen."
Auch Kanzlerin Angela Merkel forderte angesichts der Vorgänge in Österreich einen entschiedenen Kampf gegen Rechtspopulismus. "Europa ist eine Vereinigung von Ländern, die sich entschieden haben, auf einer gemeinsamen Wertebasis zusammenzuarbeiten", sagte Merkel in Zagreb.
ehl/se/jj (dpa, orf, afp, rtr)