"Überdruss am Lifestyle-Quatsch"
5. April 2004Meine private Version von Glück erfüllt sich am Flughafen. Gepäck aufgeben und mit einem Arm voller internationaler Magazine übers Rollfeld schlendern. Im Flugzeug will ich die schnieken Hefte durchblättern, will umwerfende Fotostrecken begutachten und gute Texte lesen. Seit neuestem ist irgendwas anders, denn die Gazetten in der Hand kommen aus Deutschland.
Ganz unironisch - ganz gut
Medienkrise hin oder her. Freunde periodisch erscheinender, reich bebilderter und unterhaltender Zeitschriften dürfen nicht mehr meckern. Wer sein letztes Geld monatlich in die britische Presse investierte um in den Pop-Postillen von der Insel - The Face, ID, Sleaze - zu schmökern, darf sich freuen. Inzwischen braucht man alle zehn Finger, will man alle neuen deutschen Magazine über Mode, Stil, Kunst und Kultur im Kiosk zählen. Ausgesucht und näher betrachtet werden sollen nun drei mustergültige Vertreter:
"Monopol" schimpft sich die neuste Errungenschaft am Kiosk. Verantwortet vom Journalistenehepaar Florian Illies und Amélie von Heydebreck lässt sich das "Magazin für Kunst und Leben" für schlappe sieben Euro seit Anfang April käuflich erwerben. Schöne Reportagen, Glossen und Fotos abseits eines verschnarchten Rezensionsfeuilletons finden sich auf 130 Seiten. Ganz unironisch, ganz gut gemacht und inklusive eines Fahrberichtes des BMW X3 aus Dubai, geschrieben von Christoph Schlingensief samt Eltern auf der Rückbank. "Für einen Leser, der nicht mehr länger unterfordert werden will, lustvoll und üppig", so erklärt Illies das Konzept.
Optisch optimal
Warum auf einmal deutsche Magazine aus dem Boden sprießen? "Im Moment scheint einfach wieder Geld da zu sein", sagt Viviana Tapia, die im Rahmen einer Diplomarbeit den deutschen Zeitschriftenmarkt des letzten Jahres untersucht hat. Während zahlungskräftige Anzeigenkunden investieren, erweist sich das "Magazin machen" selbst als überraschend preiswerte Angelegenheit. Und die fertigen Produkte treffen zielgenau auf eine gebildete und kaufkräftige Leserschaft, die genug von Fun, Fitness und "Focus" hat. So tut sich was im Lande. Und der ein oder andere beeilt sich, möglichst als erster eine neue verlegerische Gründerzeit erkannt zu haben.
Die Geburtswehen der ersten Ausgabe überstanden hat das Magazin "Dummy" aus Berlin. Im Herbst 2003 von den beiden Journalisten Jochen Förster und Oliver Gehrs gegründet, geht "Dummy" mit dem 162 Seiten starken Themenheft "Verbrechen" in die zweite Runde. Genug interessierte Leser haben sich bereit erklärt, sechs Euro für gut recherchierte Reportagen zu bezahlen, die optisch außerordentlich gelungen aufbereitet wurden. Sehnsucht nach Wichtigem und Überdruss am Lifestyle-Quatsch kennzeichnen die Haltung der Redaktion, deren Produkt laut "Frankfurter Allgemeiner Zeitung" "mehr Spaß als 'Geo' macht, moderner als der 'Stern' und optischer als 'Brand Eins' ist."
Neue Arbeit
Dass nicht alles Neue aus Berlin kommt, beweisen unterdessen Wiebke Hansen und Stefan Ostermeier aus Hamburg. Ihr Magazin "Neue Arbeit" setzt sich ganz bewusst von der Masse ab: Keine Anzeigen, kein Verlag, keine Rubriken und keine Erklärungen. Eine "who is who"-Auswahl deutscher Autoren, Fotografen und Künstler gestaltete die erste Ausgabe zum Thema "Die dunkle Seite". Für neun Euro lesen lässt sich auch ein Text des Kölner DJs Hans Nieswandt. "Eine Samstagnacht im Jahr 1983." So fängt er an - bleibt zu hoffen, dass auch zukünftige Geschichten so schlicht und doch so schön beginnen.