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Übergangsrat in Libyen probt die Normalität

26. August 2011

Nach Übernahme der Hauptstadt Tripolis haben die Aufständischen in Libyen ihre Einheiten nahe Sirte zusammengezogen - der Heimatstadt von Machthaber Gaddafi. Die Bewohner forderten sie zur friedlichen Übergabe auf.

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Straßenkämpfe in Tripolis (Foto: dapd)
Immer noch dauern die Kämpfe in Tripolis anBild: dapd
Ali al Tarhuni (Foto: dpa)
Ali al Tarhuni verspricht Gaddafi-Anhängern StraffreiheitBild: picture-alliance/dpa

"Wir wollen kein Blutvergießen in der Stadt", hieß es in einer am Freitag (26.08.2011) im Internet verbreiteten Erklärung der Aufständischen. Auch der Übergangsrat der libyschen Rebellen hatte allen Soldaten und Freiwilligen, die auf Seiten des langjährigen Machthabers Muammar al Gaddafi kämpfen, Straffreiheit zugesagt. Alle, die die Waffen niederlegten, würden nach dem Gesetz behandelt, sagte der stellvertretende Präsident des Rates, Ali al Tarhuni.

Dennoch berichten Menschenrechtsorganisationen von Hinweisen auf Gräueltaten auf beiden Seiten. Ein Reporter des britischen Senders BBC berichtete, in einem Krankenhaus im Bezirk Mitiga seien die Leichen von 17 Rebellen eingeliefert worden, die offensichtlich von Truppen des langjährigen Machthabers Muammar al Gaddafi gefoltert und erschossen worden seien.

In einem verlassenen Krankenhaus im Stadtviertel Abu Salim der Hauptstadt wurden am Freitag fast 50 Leichen entdeckt. In dem Stadtteil hatte es in der vergangenen Woche heftige Kämpfe gegeben. Über die Identität der Leichen ist nichts bekannt.

Amnesty International wirft Rebellen Gräueltaten vor

Ein Vertreter der Aufständischen erklärte, es gebe in Tripolis ein "Gefängnis", in dem rund 200 gefangene Kämpfer der Gaddafi-Truppen festgehalten würden. Die wenigsten von ihnen seien Libyer. Die meisten seien afrikanische Söldner, einige stammten auch aus Europa, vermutlich aus dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien.

Drei Männer in Auto (Foto: AP)
Misshandelt? Rebell mit gefesselten Gaddafi-AnhängernBild: dapd

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International erklärte, Insassen des berüchtigten Gefängnisses Abu Salim in Tripolis hätten über Vergewaltigungen und Folter berichtet, als das Gefängnis noch von Gaddafi-Leuten kontrolliert worden sei. In der gleichen Haftanstalt habe eine Delegation nach der Übernahme durch die Rebellen 125 Menschen in einer überfüllten Zelle angetroffen. Die Gefangenen hätten sich nicht bewegen können. Einige hätten erklärt, sie seien keine Söldner Gaddafis, sondern Wanderarbeiter. Auf einer Grasfläche, auf der Gaddafi-Anhänger über Monate kampiert hatten, wurden mehr als 20 Leichen entdeckt, einige an den Händen gefesselt und mit Schusswunden am Kopf.

Übergangsrat nimmt Arbeit in Tripolis auf

Unterdessen haben die Aufständischen mit der Verlegung der "Regierungszentrale" aus ihrer bisherigen Hochburg Bengasi nach Tripolis begonnen. Bereits am Donnerstag waren acht Mitglieder des 31-köpfigen Übergangsrates in der Hauptstadt eingetroffen, darunter die Verantwortlichen für Inneres, Justiz, Verteidigung, Gesundheit und Kommunikation. Am Freitag sollen sechs weitere Mitglieder dort eintreffen. Tarhuni kündigte an, auch der Präsident des Übergangsrates, Mustafa Abdel Dschalil werde nach Tripolis kommen, sobald die Sicherheitslage es zulasse.

Einen Etappensieg konnten die Rebellen in finanzieller Hinsicht erzielen. Der UN-Sicherheitsrat in New York gab mehr als eine Milliarde Euro aus eingefrorenem Vermögen des Gaddafi-Regimes frei. Das Geld soll für humanitäre Zwecke eingesetzt werden. Der Regierungschef der Rebellen, Dschibril, forderte umgehend die Freigabe weiterer Gelder. Für die erfolgreiche Arbeit einer künftigen Regierung nach dem Sturz Gaddafis sei die Verfügbarkeit von Ressourcen unabdingbar, sagte Dschibril nach einem Gespräch mit dem türkischen Außenminister Ahmet Davutoglu in Istanbul.

"Gaddafi in der Kanalisation"

Derweil gingen die Kämpfe und die Jagd nach dem untergetauchten Despoten Gaddafi weiter. Seine Festnahme hat aber offenbar keine oberste Priorität mehr für die Aufständischen. "Gaddafi ist im Grunde in der Kanalisation, zieht von einem Abwasserkanal zum nächsten", sagte der Vizepräsident des Übergangsrates Tarhuni. Damit rückte er den Despoten in die Nähe der Ratten, als die Gaddafi die Aufständischen gerne bezeichnet. Der rief in einer weiteren, von einem Sender in Syrien verbreiteten Audiobotschaft seine Anhänger zum Häuserkampf auf.

US-Außenministerin Hillary Clinton nannte die kommenden Tage und Wochen für Libyen "kritisch". In einer Erklärung forderte sie die Rebellen auf, einen sicheren und demokratischen Staat zu bilden. Sie würden genau beobachtet, um sicherzustellen, dass Libyen seiner internationalen Verantwortung gerecht werde.

Humanitäre Hilfe läuft an

Bundesverteidigungsminiszter Thomas de Maizière Foto: dapd)
Verteidigungminister de Maizière rechnet nicht mit Bundeswehreinsatz in LibyenBild: dapd

Bundesverteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) rechnet nach eigenen Angaben nicht mit einer Anfrage zu einer Beteiligung der Bundeswehr an einer Stabilisierungstruppe für Libyen. Ein langer Bürgerkrieg drohe glücklicherweise wohl nicht, sagte er dem Berliner "Tagesspiegel" (Freitagsausgabe). Er gehe davon aus, dass die künftige libysche Regierung selbst für die Sicherheit im eigenen Land sorgen könne und dazu keine Hilfe von außen brauche.

Die humanitäre Hilfe ist inzwischen angelaufen. Noch am Freitag soll ein Schiff aus Malta mit 400 Tonnen Nahrung und 250 Tonnen Medikamenten an Bord den Hafen von Tripolis erreichen. An Bord seien auch 15 Ärzte, sagte ein Sprecher der maltesischen Hilfsorganisation Igo-Aid-Foundation. Die Regierung des Emirats Katar und internationale Unternehmen hätten sich an den Kosten der Lieferung beteiligt.

Autor: Gerhard M Friese (afp, dapd, dpa, rtr)
Redaktion: Julia Elvers-Guyot