Kommentar: Gewalt wird wieder politischer
24 de mayo de 2016Was alle spürten und sehen konnten, das wurde jetzt mit Zahlen untermauert: Die polizeiliche Kriminalstatistik weist für das vergangene Jahr einen explosionsartigen Anstieg politisch motivierter Straftaten für Deutschland aus. Von rechts, von links oder aus ganz anderen politischen Motiven: Nie wurden hierzulande so oft Verbrechen mit politischen Gesinnungen im Hinterkopf umgesetzt. In insgesamt 39.000 Fällen gerieten politische Gegner, Ausländer, Religionsgruppen oder einzelne Ethnien ins Visier von Straftätern.
Linksextreme Gewalt suchte sich besonders oft Polizisten zum Ziel. Rechte Gewalt fokussierte sich auf Asylbewerberheime und die darin lebenden Menschen. Statistisch bedeutete dies drei Straftaten pro Tag gegen Flüchtlinge - jede fünfte dieser Straftaten war gewalttätig. Kein Wunder, dass sich neben dem Bild ankommender Flüchtlinge 2015 auch ein zweites Bild ins kollektive Gedächtnis eingebrannt hat: der Anblick brennender Flüchtlingsunterkünfte.
Politische Gewalt wird politisch bekämpft
Reflexartig folgt auf solche Schreckensmeldungen, was in solchen Fällen immer folgt. Egal aus welcher Partei: Alle rufen jetzt nach mehr Personal bei Polizei und Verfassungsschutz. Möglichst schnell, möglichst viele neue Beamte. Es wird mehr Videoüberwachung im öffentlichen Raum gefordert. Möglichst schnell, möglichst viel, möglichst überall. Und es wird, wie in Zeiten kollektiver Verunsicherung auch gängig, der Einsatz der Bundeswehr im Inneren neu auf die Tagesordnung gehoben. Möglichst schnell, mit möglichst weitgehenden Befugnissen, das fordern zumindest manche.
Dabei greifen Reflexe wie diese gerne zu kurz. In diesem Fall sorgt der Reflex, massiv in die Sicherheitsbehörden investieren zu wollen, für politische Blindheit an anderer Stelle. Denn: Eine Aufstockung der Sicherheitsbehörden ist zweifelsohne wichtig, um dem Gefühl von Verunsicherung und Rechtlosigkeit entgegenzuwirken. Eine wirksame Waffe im Kampf gegen rechte wie linke Gewalt ist es dennoch nicht. Der Grund: Der Quantensprung bei politischen Gewalttaten konnte sich nicht im luftleeren Raum abspielen - sondern nur in einem vergifteten politischen Klima. Erst als die fremdenfeindlichen Sprüche der Islamfeinde von PEGIDA und der Alternative für Deutschland (AfD) die Deutungshoheit in der öffentlichen Debatte erreichten, machte das aus vielen latenten Rassisten praktizierende Ersttäter. Was in vielen Seelen schlummerte, ist jetzt in weiten Kreisen salonfähig geworden - was auch die erdrutschartigen Siege der rechtspopulistischen AfD bei den Landtagswahlen im März zeigen.
Erst kommt das Wort, dann folgt die Tat. So haben AfD, PEGIDA & Co den Hass gesät, der sich jetzt in Orten wie Heidenau, Freital, Bautzen und andernorts gegen Fremde wie Andersdenkende Bahn bricht. Das zeigt: Politische Gewalt muss politisch bekämpft werden. Eine Binsenweisheit, die in Zeiten einer Twitter-Echtzeit-Demokratie dennoch gerne links liegen gelassen wird, weil genau dieser Kampf mühsam, kleinteilig, nur manchmal digital und in jedem Falle kostspielig ist.