Amy Winehouse: Auf Spurensuche in London
22. Juli 2021Der Tod von Amy Winehouse am 23. Juli 2011 löste in der Musikwelt einen Schock aus. London, Amys Geburtstadt, war das Epizentrum ihres kreativen Schaffens. 2008 widmete sie der britischen Hauptstadt sogar ihre fünf Grammys - insbesondere ihrer Wahlheimat Camden Town im Nordwesten der Stadt. Nur wenige Tage zuvor war im Camden Market ein Brand ausgebrochen, der einen Großteil des eklektischen Charakters von Winehouse' geliebtem Viertel fast vernichtet hätte. In ihrer Dankesrede sagte sie trotzig: "Das hier ist für London, denn Camden Town brennt nicht ab."
Inzwischen sind zehn Jahre nach Amys Tod vergangen. Aber noch immer erinnern verschiedene Orte in Camden sowie im Norden Londons an die legendäre Musikerin, die dort mehrere Jahre ihrer Kindheit verbracht und dort wichtige Impulse für ihre musikalische Karriere erhalten hatte.
God Bless This Child
Bereits im jungen Alter war Amy dank ihrer Familie mit den verschiedensten musikalischen Einflüssen aus der Mitte des Jahrhunderts konfrontiert: Ihre Großmutter Cynthia arbeitete als professionelle Sängerin und ihr Vater Mitch war ein großer Fan des "Rat Pack" um Frank Sinatra. Amy wuchs also in einer einzigartigen musikalischen Atmosphäre auf, geprägt von einem Zusammenspiel aus amerikanischen Blues- und Jazz-Einflüssen sowie jüdischem Nord-Londoner Cockney.Cynthia Winehouse trat an Orten wie dem legendären "Ronnie Scott's Jazz Club" in der Frith Street in Soho auf. Oder sie sang auch im Wohnzimmer der Familie, und Amy stimmte mit ein. Und wenn ihr Vater seine Platten auflegte, imitierte die kleine Amy die Stimmen von den Vinylalben mit Leidenschaft.
So lernte sie gewissermaßen von den besten Sängerinnen und Sängern des Showbusiness: von Dinah Washington und Sarah Vaughn bis Frank Sinatra und Billie Holiday. Später wurde nicht nur Amys Stimme oft genug mit der von Jazzlegende Holiday verglichen, sondern auch ihr selbstzerstörerisches Verhalten, von dem die Öffentlichkeit auf dem Höhepunkt von Amys Karriere fast täglich in der Boulevardpresse erfuhr.
Amys Universum - das war Camden Town, bekannt für seine Live-Musik und eine überbordernde Kunstszene. Leicht zu erreichen, sowohl von ihrem Elternhaus in Southgate im Norden Londons, als auch von der Sylvia Young Theatre School in Marylebone - eine Schule für darstellende Künste -, die Amy besuchte.
Back To Black
Amy atmete die Energie der lokalen Pubs und Veranstaltungsorte ein, wie der Hawley Arms oder Dublin Arms, wo viele Musiklegenden vor ihr ein- und ausgegangen waren. Ihr berühmter Rockabilly-Look mitsamt "Beehive" ging auch auf die Einflüsse aus Camden zurück.
Die Kehrseite der Medaille: Jene Orte verleiteten sie wohl auch zu einigen ihrer selbstzerstörerischen Verhaltensweisen, die sie später letztlich umbrachten. Häufig stolperte Amy erst in den frühen Morgenstunden aus Kneipen und Bars heraus, wo sie mit illegalen Substanzen in Kontakt kam. Manchmal wurde sie Berichten zufolge sogar auf dem Klo ohnmächtig, während sie an anderen Tagen munter hinter der Theke stand und dem Personal dabei half, Bier auszuschenken. Amy war es wichtig, als Local wahrgenommen zu werden und nicht als Welt-Star.
Heute erinnern die Pubs und andere Sehenswürdigkeiten in Camden an die Sängerin und geniale Songschreiberin, indem sie besondere Erinnerungsstücke ausstellen - von Setlisten bis hin zu signierten Alben.
Vor der U-Bahn-Station Camden Town steht eine Gedenktafel. Am Camden Market trifft man auf eine Amy-Statue, die die mittlerweile verstorbene britische Schauspielerin Dame Barbara Windsor, mit der Amy zeit ihres Lebens eng befreundet war, an Amys 31. Geburtstag enthüllte. Und überall gibt es Streetart und Grafitti, in der Amy als Camdens ultimative Ikone stilisiert wird.
Amys Ausfälle waren berüchtigt
Dabei waren zu Amys Lebzeiten viele Fotos von ihr bei Weitem nicht so schmeichelnd wie die Kunst auf den Straßen von Camden es heute darstellt. Die Selbstzerstörung von Amy Winehouse wurde schließlich gut dokumentiert: Paparazzi-Fotografinnen und -fotografen folgten ihr auf Schritt und Tritt. Die Bilder einer kaputten Amy Winehouse, die sich beim Verlassen ihrer Londoner Lieblingsorte daneben benimmt, sorgten immer wieder für Furore.
Auch als die Sängerin 2011 erneut wegen ihrer Suchtprobleme in die berühmt-berüchtigte Reha-Einrichtung Priory im Südwesten Londons kam, waren die Objektive auf sie gerichtet. Wochen später starb Amy im Alter von 27 Jahren an einer Alkoholvergiftung.
Auch wenn ihr Tod nicht wirklich überraschend kam, so löste er in Camden große Trauer aus. Bis heute besuchen Fans Amys Haus am Camden Square 30 und legen Blumen und Andenken nieder.
Zehn Jahre nach ihrem Tod fällt es vielen Fans immer noch schwer, die Gründe für die Selbstzerstörung ihres Idols zu verstehen. Amys langjähriger Freund und Vertrauter, Tyler James, der zum Zeitpunkt ihres Todes an derselben Adresse wohnte, schrieb in seinem kürzlich veröffentlichten Buch "Meine Amy. Ein Abschied in Worten", dass die Popikone nie berühmt sein wollte. "Sie wollte eine Jazzsängerin sein." Sie sei unter dem Druck ihrer Berühmtheit einfach zusammengebrochen.
Trug Amys Familie eine Mitschuld?
Genau wie der oscarprämierte Dokumentarfilm "Amy" (2015), gibt auch Tyler James der Familie von Amy Winehouse eine Teilschuld an ihrem Abstieg in die Drogensucht. Amy, so der Vorwurf, sei zu einer Marke, zu einem Familienunternehmen geworden, das ohne Rücksicht auf Verluste funktionieren musste.Und genau wie beim Film reagierte die Winehouse-Familie nicht gerade begeistert auf die Enthüllungen im Buch von Tyler James. Sie beschwerte sich darüber, dass das Buch einen "schlechten Nachgeschmack hinterlasse", indem es faktische Ungenauigkeiten beinhalte, wie etwa die Behauptung, dass Amy seit ihrem vierzehnten Lebensjahr Antidepressiva genommen habe.
In jüngster Zeit behauptete Catriona Gourlay, eine andere enge Freundin von Amy Winehouse, dass sie ihr Leben lang nicht über ihre sexuelle Orientierung im Klaren gewesen sei. Doch die wahren Gründe für Sucht und Selbstzerstörung werden sich wohl nie ganz klären lassen.
Inzwischen hat auch die Winehouse-Familie angekündigt, Amys Geschichte ebenfalls erzählen zu wollen, und zwar aus der Perspektive von Mutter Janis in einer von der BBC produzierten Dokumentation, die an dem zehnten Todestag der Sängerin Premiere feiern soll.
Amys Einfluß auf die Musikszene
Man muss nicht unbedingt nach London reisen, um den rastlosen Geist von Amy zu spüren. Zahlreiche Interpretinnen und Interpreten sind auch schon seit Jahren auf Amys Spuren unterwegs und kombinieren in Ihrer Musik genau wie Amy Winehouse Referenzen aus längst vergangenen Zeiten mit modernen Klängen aus der neuesten Sound-Software, darunter Lana del Rey oder Lady Gaga. "Amy hat die Pop-Musik für immer verändert", so Lady Gaga. "Ich wusste dank ihr, dass es Hoffnung gab und dass ich nicht alleine war. Sie lebte den Jazz und Blues."
Selbst Musik-Veteran Tony Bennett, mit dem Amy Winehouse das Duett "Body and Soul" sang, sagte einmal: "Die richtig Guten, die sehr viel Talent besitzen, wissen, wie man Jazz-Gesang aufführt, sodass er unvergesslich wird. Und Amy hatte diese Gabe. Die Tatsache, dass sie mit 27 Jahren starb, ist einfach schrecklich für mich."
Für viele britische Künstlerinnen und Künstler ist Amy Winehous die Person, die der britischen Pop-Musik eine Renaissance beschert hat, nachdem der BritPop ab Mitte der 1990er Jahre an Glanz verloren hatte. "Wegen ihr habe ich die Gitarre in die Hand genommen, und wegen ihr schreibe ich meine eigenen Songs", so die britische Sängerin Adele.
Auch britische Stars wie Sam Smith, Jessie J oder Florence Welch von "Florence + the Machine" haben vom Amy-Effekt profitiert: Seitdem nehmen Plattenfirmen vermehrt britische Künstlerinnen und Künstler mit großen, mutigen Stimmen unter Vertrag. Auch in Zeiten von Streaming-Diensten feiern solche Stars - Dank Amy - nach wie vor Riesenerfolge.
Amy Winehouse hat mit ihren beiden Alben "Frank" und "Back to Black", sowie mit dem postum erschienenen Album "Lioness" die Zeit überdauert. Bis heute kommen sie beim Publikum an und haben regelrecht einen Kultstatus nicht nur bei Ihren Fans. Mit ihrer Musik hat Amy Winehouse das Feeling von Camden in die ganze Welt getragen.
Übersetzung aus dem Englischen: Bettina Baumann