40 Jahre UNESCO-Welterbe-Konvention
7. Februar 2012Es begann in Ägypten. Als in den 1960er Jahren der Assuan-Staudamm gebaut wurde, drohten die Tempel von Abu Simbel im Wasser zu versinken. Drei Jahrtausende nach iher Entstehung sollten sie dem Fortschritt weichen. Ein Aufschrei ging durch die Welt. In einer spektakulären Solidaritäts-Aktion wurden 80 Millionen Dollar gesammelt, um die Felsentempel zu zerlegen und an einer höher gelegenen Stelle wieder aufzubauen.
Ohne das Drama um Abu Simbel wäre die UNESCO-Welterbe-Konvention wohl nicht 1972 ins Leben gerufen worden: "Ihr Grundgedanke steckt in dieser beispiellosen Rettungsaktion", erklärt Dieter Offenhäußer, stellvertretender Generalsekretär der Deutschen UNESCO-Kommission (DUK): "Es gibt kostbare Stätten, deren Wert die Verantwortungsmöglichkeit des Staates übersteigt, auf dessen Territorium sie sich zufällig befinden".
Nationale Egoismen überwinden
Aus dieser Einsicht ging bald die Welterbe-Liste der UNESCO hervor: 1978 wurden die ersten zwölf Stätten benannt, darunter der Aachener Dom, die Felsenkirchen von Lalibela in Äthiopien und die Altstadt von Krakau in Polen, aber auch Naturstätten wie die Galapagos-Inseln und der Yellowstone Nationalpark in den USA. Sie galten nun als "Bestandteil des Welterbes der ganzen Menschheit", die "erhalten werden müssen". So idealistisch formuliert es die Präambel der Konvention, doch dahinter verbirgt sich handfeste internationale Kulturpolitik. Alle Staaten geben ein Stück nationaler Souveränität ab, sobald eine Stätte auf der Liste steht. "Das zeigt", sagt DUK-Vize Offenhäußer, "dass wir nationale Egoismen und Narzissmen überschreiten".
Manche Egoismen sind eher ökonomischer Art - und lassen sich nicht immer überwinden. So wie im Elbtal bei Dresden, Welterbe seit 2004. Dort sollte eine Brücke entstehen - ein erheblicher Eingriff in die Landschaft. Ein Streit entbrannte, Bürgerinitiativen protestierten, doch es blieb beim Brücken-Plan. 2009 zog die UNESCO den Titel zurück. Deutschland war blamiert. Das hatte es nur ein weiteres Mal gegeben: Zwei Jahre zuvor hatte die UNESCO den Welterbe-Status für das Wildschutzgebiet der Oryx-Antilope in Oman kassiert, da der Staat die geschützte Fläche drastisch reduziert hatte.
Gesprengte Buddhas
In allen anderen Fällen begnügt sich die UNESCO bisher mit einer Liste für gefährdete Stätten. Das bekannteste Beispiel dürften die von den Taliban gesprengten Buddhas im afghanischen Bamiyan-Tal sein: 2003 setzte die UNESCO sie auf die Rote Liste und initiierte eine Restaurierungs-Aktion mit internationalen Experten, um wenigstens die Fragmente der Figuren zu bewahren.
Weit einfacher war die Rettung des Kölner Doms, Weltkulturerbe seit 1996. Der Rheinländer wichtigstes Heiligtum kam 2004 auf die Rote Liste. Das Attentat in diesem Fall: Hochhäuser, die in der Nähe geplant waren. Sie gefährdeten die einmalige Stadtsilhouette und den bis dahin unangefochtenen Rang des Doms. Nach zähen Diskussionen fand man einen Kompromiss: Die Hochhäuser fielen kleiner aus, auf weitere Baupläne wurde verzichtet.
Keine Käseglocke
Die Debatte um Hochhäuser, Brücken und Kathedralen wirft grundsätzliche Fragen auf: Wie viel städtebauliche und ökonomische Entwicklung darf sein, wie weit soll der Schutz historischer Stätten gehen? "Die Welterbestätten sollen nicht musealisiert werden, es soll keine Käseglocke über sie gestülpt werden", meint Dieter Offenhäußer. Aber der Welterbe-Status könne ein "konstruktives Korrektiv" zu kurzfristigen wirtschaftlichen und politischen Interessen sein.
188 Staaten haben die Konvention inzwischen unterzeichnet, die Welterbe-Liste umfasst mittlerweile 936 Stätten. Jährlich kommen neue hinzu. Geht das im gleichen Tempo weiter, werden es in weiteren vierzig Jahren fast 2000 Stätten sein. Eine inflationäre Entwicklung? Je mehr Stätten, desto geringer der Charakter des Einmaligen. Das Problem sieht auch die UNESCO. Doch die Liste zu schließen, ist vorerst nicht geplant. Zunächst will man den Makel des Eurozentrismus beseitigen. Die Schieflage ist deutlich: Wenn ein relativ kleines Land wie Italien 47 Stätten auf der Liste hat, Indien aber nur 28, kann etwas nicht stimmen.
Politik und Kultur
Doch gerade arme und strukturschwache Länder haben oft weniger Mittel, ihre Kandidaten so perfekt zu präsentieren, dass sie das Komitee überzeugen können. Noch immer spiegelt die Welterbe-Liste ökonomische und politische Machtverhältnisse. Abhilfe soll ein Fonds schaffen, der schwächere Länder bei der Nominierung unterstützt. "Der Gedanke kommt der Ursprungsidee der Welterbekonvention nahe", so der DUK-Vize, "das fördern wir weiterhin". Auch mit Mitteln aus Deutschland.
Geld erhalten die Länder für ihre Welterbestätten übrigens nicht - im Gegenteil. Sie verpflichten sich, die Stätten zu erhalten und müssen dafür detaillierte Management-Pläne vorlegen. Ausnahmen gibt es für ärmere Länder. "Als Teil der Völkerfamilie, die sich in der UNESCO zusammengefunden hat", sagt Offenhäußer, erhalten sie Unterstützung. "Wir sind stolz darauf, dass das unter dem Dach der UNESCO funktioniert".
Wie sehr jedoch politische Auseinandersetzungen den Familienfrieden gefährden, zeigte jüngst die Aufnahme Palästinas in die Kulturorganisation der Vereinten Nationen: Die USA stellten aus Protest ihre Zahlungen ein - ein Rückschlag für die UNESCO, deren Aufgaben weit über das Führen der Welterbe-Liste hinausgehen. Kann nun die Geburtskirche im palästinensischen Bethlehem Weltkulturerbe werden? Die Frage birgt Zündstoff.
Opfer des eigenen Erfolges?
Die Präsenz auf der UNESCO-Liste - eine politische Prestigefrage. Zudem ist die Liste in den Augen der Öffentlichkeit weit bekannter, als vor 40 Jahren zu ahnen war. Gerade in den letzten zehn, fünfzehn Jahren ist das UNESCO-Gütesiegel weltweit populär geworden. Doch manche Welterbe-Stätten werden Opfer dieses Erfolgs: Mit der UNESCO-Plakette lassen sich hervorragende Geschäfte machen. Das verträgt sich nicht immer mit Denkmal- oder Naturschutz. Und manchmal leiden schlicht die Bewohner. In der Lagunen- und Welterbe-Stadt Venedig sind 100.000 Einheimische 18 Millionen Touristen jährlich ausgesetzt. "Wenn Menschen in so einem Museum leben", so Offenhäußer, "sind sie schnell von Ihrer eigenen Existenz entfremdet".
Solche Probleme gibt es in Deutschland nicht. Doch die UNESCO kurbelt die Reiselust an. In den norddeutschen Fagus-Werken etwa, die vom Architekten Walter Gropius gebaut wurden, schnellten die Besucherzahlen mit dem Welterbe-Status um 70 Prozent nach oben. Im Muskauer Park, idyllisch auf polnisch-deutschem Grenzgebiet gelegen und Welterbe seit 2004, tummeln sich 50 Prozent mehr Gäste als früher. Noch ist das kein Anlass zur Sorge. Aber die UNESCO will die Entwicklung beobachten, betont DUK-Vize Offenhäußer: "An Welterbestätten darf es eigentlich nur Tourismus geben, wenn er nachhaltig ist". Ob das funktioniert, wird man in vierzig Jahren sehen.
Autorin: Aya Bach
Redaktion: Sabine Oelze