Soziale Marktwirtschaft
15. Juni 2008Der 20. Juni 1948: Das erste Gesetz zur Neuordnung des deutschen Geldwesens tritt in Kraft. Zu den Architekten der so genannten Währungsreform gehört der Direktor für Wirtschaft in den drei westlichen Besatzungszonen und spätere Bundeskanzler Ludwig Erhard. Ganz unter dem Eindruck der aktuellen Lage vor Inkrafttreten der Reform - leere Regale in den Geschäften, steigende Schwarzmarktpreise und Unruhe in der Bevölkerung - zeigte sich Erhard am 21. Juni 1948, einen Tag nach dem Start der Währungsreform, in einer Rundfunkansprache erleichtert: "Nach den seelischen Spannungen der letzten Tage hat nun wieder der Alltag von uns Besitz ergriffen. Das deutsche Volk ist heute ruhig und besonnen an seine Arbeit gegangen, und ich glaube, es werden wenige darunter sein, die sich dabei nicht mit einem Gefühl der Befreiung bewusst geworden sind, wie hart am Abgrund wir gewandert sind."
Was Erhard nebulös mit "Abgrund" beschrieb, das hatte die Bevölkerung in Deutschland nach Kriegsende zu spüren bekommen: Einer riesigen Geldmenge standen nur wenige Waren gegenüber. Das Hamstern, das Plündern von Kohlezügen gehörten ebenso zum Nachkriegsalltag wie der Schwarzmarkt. Dort war alles zu kaufen, wenn man nur über die entsprechenden Tauschgüter verfügte. Von einer Sozialen Marktwirtschaft konnte bis zur Währungsreform jedenfalls nicht die Rede sein. Und das, obwohl die CDU die Enteignung der Bergwerke forderte, Kurt Schumacher als Vorsitzender der SPD vom endgültigen Ende des Kapitalismus sprach und der Großindustrielle Alfred Krupp, der Leiter des mächtigen Stahlkonzerns Krupp, wegen seiner Unterstützung der NSDAP im Gefängnis saß.
Erhards Traum von einer liberalen Wirtschaftsordnung
Für Ludwig Erhard war die Währungsreform nur ein erster Schritt zu einer neuen, sozialen Wirtschaftsordnung. In ihrem Zentrum sollten die Konsumfreiheit stehen, die Gewerbefreiheit, Freiheit der Berufs- und Arbeitsplatzwahl sowie das Recht auf Privateigentum und die Tarifautonomie. Erst wenn diese Rechte wieder ihren Ausdruck fänden in einer freien Berufswahl, in der freien Wahl seines Arbeitsplatzes und vor allem in der Freiheit des Konsums, so Erhard, könne man erwarten, dass das deutsche Volk an der politischen Gestaltung seines Schicksals wieder aktiven Anteil nehme.
In dieser liberalen Wirtschaftsordnung sollte insbesondere ein umfassendes soziales Netz zum Ausdruck kommen, ein gerechtes, an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Einzelnen sich orientierendes Steuersystem sowie die Sozialpflichtigkeit des Eigentums. Mit dem 20. Juni, dem Tag der Währungsreform, galten alle Schulden des NS-Staates als erloschen. Private Verbindlichkeiten, Bank- und Sparguthaben wurden im Verhältnis zehn zu eins abgewertet. Jeder Einwohner der Westzonen erhielt zunächst 40 Deutsche Mark in bar.
Mit einem Schlag schien es, als seien alle Deutschen gleich reich oder gleich arm. Doch die Wirklichkeit sah anders aus. Die Währungsreform begünstigte vor allem Aktionäre, Besitzer von Immobilien und Fabriken, während die Masse der Bevölkerung mit leeren Händen dastand. So traf es die Besitzer von Sparguthaben besonders hart, weil diese Gelder im Verhältnis 100 zu 6,5 abgewertet wurden. Ein Vermögensausgleich, wie ihn die Gewerkschaften gefordert hatten, fand nicht statt.
Proteste und erster Generalstreik
Dabei waren die Benachteiligungen den Wirtschaftsexperten durchaus bewusst. Der damalige Oberdirektor im Verwaltungsrat der so genannten Bizone, Hermann Pünder, sagte in einer Rundfunkrede wenige Tage vor dem Start der Währungsreform: "Ich denke an unsere alten Leute, an unsere Sozialrentner oder auch an unsere zu Unrecht aus der Heimat Vertriebenen und viele in ähnlicher Lage, die außer dem Leben vielleicht nur ein Päckchen Geldscheine gerettet haben, das ihnen nun heute stark beschnitten wird. Ich muss deshalb betonen: Was die Währungsreform nimmt, was sie zerstört, das sind keine echten Vermögenswerte mehr gewesen, sondern Illusionen."
Die Einführung der Reform verlief dann auch nicht so reibungslos wie geplant. Schon in den ersten Tagen waren die Läden leer gekauft, die Preise schossen bei ihrer Freigabe in die Höhe. Schließlich wurde in Presse und Politik das Ende des marktwirtschaftlichen Experiments verlangt. Etwa neun Millionen Arbeiter folgten im November 1948 einem Streikaufruf der Gewerkschaften - der einzige Generalstreik in der deutschen Nachkriegsgeschichte. Doch noch immer rankt sich um die Währungsreform die Legende vom plötzlich einbrechenden Wirtschaftswunder. Ökonomisch wurde die Währungsreform ein durchschlagender Erfolg; die recht harten Jahre danach indes gerieten weitgehend in Vergessenheit.