Achillesferse der Weltwirtschaft
3. Juni 2004In seinem Buch "Die Saudi Connection" beschreibt der ehemalige CIA-Mitarbeiter Robert Baer ein Szenario, das Eingeweihten seit langem wie ein Alptraum vorgekommen sein muss, das nach den Terroranschlägen von Chobar jedoch den Bereich der Fiktion verlassen hat: Islamistische Extremisten greifen Öl-Förder-Anlagen im Nordosten Saudi-Arabiens an und versetzen damit nicht nur dem saudischen Königreich sondern auch der Weltwirtschaft einen schweren Schlag.
Angriff von Fanatikern
Bisher hat niemand einen solchen Angriff versucht. Doch mit den jüngsten Überfällen auf ausländische Öl-Experten bewegen die Terroristen sich gefährlich in diese Richtung: Man habe den "fremden Kreuzfahrern" einen schweren Schlag versetzt, die seit langem die arabischen oder muslimischen Bodenschätze raubten. So hieß es in einer Erklärung, mit der angeblich El Kaida die Verantwortung für die Bluttat von Chobar übernahm.
Selbst wenn der schon standardisierte Vorwurf gegenüber den Gefolgsleuten Osama Bin Ladens vielleicht nicht zutreffen sollte: Die enge Zusammenarbeit und die noch engere Interessengemeinschaft zwischen dem Westen und dem saudischen Königshaus ist islamistischen Fanatikern seit langem ein Dorn im Auge. Der Westen unterstützt das in ihren Augen korrupte und vom wahren Glauben längst abgefallene Königshaus - und erhält dafür Öl zum Vorzugs-Preis. Und die saudischen "Royals" revanchieren sich auch für ihren Schutz, indem sie durch Produktions-Steigerungen im Notfall den Ölpreis regulieren. So, wie Riad es auch jetzt in der OPEC durchsetzen will. Und gegebenenfalls auch im Alleingang tun würde.
Bedeutung des Königreichs
Solches durchzudrücken, wäre für Riad ein Leichtes: Das Königreich verfügt über die größten Erdöl-Reserven der Welt, die gegenwärtig auf fünf großen Erdöl-Feldern gefördert werden. Saudi-Arabien steht für ein Viertel der Welt-Produktion an Erdöl. Es ist damit der mit Abstand wichtigste Produzent.
Und ein zuverlässiger noch dazu, zumindest aus westlicher und besonders amerikanischer Sicht: Die USA, auf die ein Viertel des weltweiten Ölkonsums entfällt, importieren knapp über die Hälfte davon aus dem Ausland - und einen beträchtlichen Teil aus Saudi-Arabien. Es waren US-Firmen, die Ende der 1930-er Jahre die ersten Ölquellen dort erschlossen. Und es waren US-Firmen, die lange Jahre in erster Linie von diesen Vorkommen profitierten. Die guten Beziehungen wurden auch nicht durch die Gründung der staatlichen Öl-Gesellschaft "ARAMCO" beeinträchtigt, die USA sind weiterhin Riads engster Partner im Ölgeschäft.
Lesen Sie im folgenden, warum Saudi-Arabien in Angst vor Terrorangriffen auf Ölförderanlagen und Erdölexperten lebt.
Der Fluss der Petro-Dollars
Die USA und Saudi-Arabien kooperieren auch in diversen anderen Geschäften, deren Hauptziel es ist, die amerikanischen Petro-Dollars (= Geld aus Ölgeschäften) wieder in die USA zurückfließen zu lassen: Washington verkauft Waffen, es schickt Experten und es hat jahrelang nach dem Kuwait-Krieg mit eigenen Truppen in Saudi-Arabien die Sicherheit des Königreichs garantiert. Erst unter dem Druck auch islamistischer Kreise haben die Saudis Washington am Ende des Irak-Krieges zum Abzug aufgefordert.
Amerikanische und andere westliche Experten hat dies aber nicht gehindert, in der gewinnträchtigen Erdöl-Industrie Saudi-Arabiens zu arbeiten. Längst gibt es zwar auch saudische und andere arabische und auch asiatische Fachleute auf diesem Gebiet, aber immer noch ist dies eine Domäne für westliche und besonders amerikanische Fachleute. Deren Interesse an solchen gut bezahlten Jobs wird natürlich oft auch ergänzt durch das Interesse ihrer Konzerne, in Saudi-Arabien präsent zu sein.
Strategie der Angst
Angriffe auf solche Experten könnten zu einer Reduzierung ihrer Zahl führen. Sie werden künftig sicher ihr Verhalten ändern und zum Beispiel ihre Familien zu Hause lassen oder in die bisher sicheren Vereinigten Arabischen Emirate verlegen. Auf die lukrativen Jobs auf der arabischen Halbinsel werden sie so schnell aber kaum verzichten. Wäre das der Fall, dann müsste das Königshaus sich ernsthaft Sorgen machen: Knapp 95 Prozent seiner Exporte bestehen aus Erdöl. Riad kann sich eine Reduzierung der Produktion kaum leisten. Besonders nicht, nachdem das einst so sehr im Überfluss lebende Land sich längst an etwas "bescheidenere Verhältnisse" hat gewöhnen müssen.
Eine wirkliche Gefahr besteht deswegen für Riad und das Ausland vor allem darin, dass die saudischen Erdöl-Einrichtungen unter direkten Angriff terroristischer Gruppen geraten könnten. Die Anlagen sind zwar auf das Schärfste bewacht, aber nach den Angriffen vom 11. September, in Ostafrika, Madrid und nun auch in Saudi-Arabien selbst muss mit allem gerechnet werden.
Katastrophale Folgen
Ex-CIA-Mann Baer malt aus, was passieren könnte: Ein gut koordinierter Angriff auf saudische Erdöl-Einrichtungen könnte diese für zwei Jahre außer Funktion setzen. Solch ein Schlag hätte katastrophale Folgen für die Weltwirtschaft: Nach der "Islamischen Revolution" im Iran 1979 ging die weltweite Erdöl-Produktion um nur sieben Prozent zurück, die Preise aber schossen rapide in die Höhe. Bei einem Ausfall Saudi-Arabiens wären die Folgen heute noch gravierender.
Ein schwacher Trost allerdings dürfte sein, dass die Terroristen das saudische Königshaus entmachten und selbst die Macht übernehmen wollen. Und dabei werden sie auch die Öl-Einnahmen brauchen. Eine Zerstörung oder langfristige Beschädigung der Förderanlagen kann folglich nicht in ihrem Interesse sein.