Spielball der Region
1. Juni 2011Der streng geheime nächtliche Einsatz eines US-Spezialkommandos am 2. Mai hat die Beziehungen zwischen den Bündnispartnern USA und Pakistan bis zum Zerreißen gespannt. Außenministerin Hillary Clinton formulierte bei ihrem jüngsten Besuch in Islamabad unverblümt: "Seit einem Jahrzehnt leben die bösartigsten Terroristen dieser Welt in Pakistan." Man erwarte jetzt deutliche Schritte der Regierung.
Taliban und Al Kaida trennen
Die Amerikaner stürmten das Anwesen bin Ladens in der Garnisonsstadt Abbottabad vor einem Monat ohne Beteiligung Pakistans. In Washington ist man sich sicher, dass Kreise des Militärs und des mächtigen Geheimdienstes ISI jahrelang eine schützende Hand über den getöteten Al Kaida-Chef gehalten haben. Es liegen nicht erst seit WikiLeaks Beweise dafür vor, dass Pakistan islamistische Gruppen wie die afghanischen Taliban oder Lashkar-e-Toiba in Kaschmir unterstützt, um sie als Verbündete gegen den Erzrivalen Indien einsetzen zu können.
Dennoch ist man sich in Washington bewusst, dass Pakistan als Partner im Kampf gegen den radikalen Islamismus unverzichtbar ist und dass es ohne Pakistan im Nachbarland Afghanistan keinen Frieden geben wird. Deswegen schlug Hillary Clinton bei ihrer Visite in Islamabad auch versöhnliche Töne an. Beide Nationen, die USA und Pakistan, hätten ein großes Interesse an der Stabilität Afghanistans und um dieses Ziel zu erreichen, müsse man zusammenarbeiten. "Unsere Strategie ist es", erklärte die Außenministerin, "in einem Prozess unter afghanischer Führung die Taliban von Al Kaida zu trennen und die Aufständischen einzugliedern, die sich von der Gewalt lossagen und die afghanische Verfassung anerkennen. Dafür brauchen wir Pakistan."
Schwaches Pakistan will stark sein
Pakistan fühlt sich durch die Ergreifung und Tötung Osama bin Ladens auf seinem Boden bloßgestellt und empfindlich getroffen. Das Parlament hat den US-Einsatz in Abbottabat als Verletzung der staatlichen Souveränität verurteilt. Die militärische und politische Elite des Landes wehrt sich heftig gegen den Vorwurf, ein unzuverlässiger Terrorstaat zu sein.
Innenminister Rehman Malik warnte in einem Interview mit dem indischen Nachrichtensender NDTV jeden davor, "unsere Souveränität zu verletzen. Wir können jederzeit zurückschlagen." Der Kampf gegen den Terrorismus sei ein gemeinsamer Kampf. "Terroristen sind Guerillas und der Terror ist ihre Waffe. Es ist wichtig für Indien, für Pakistan und für die ganze Region, dass wir diese Terroristen erledigen."
Auch Pakistans Premierminister Yousuf Raza Gilani warb während eines London-Besuchs wenige Tage nach der Tötung Osama bin Ladens um Verständnis für sein Land. "Wir stehen mitten im Krieg gegen den Terror", sagte er bei einer Begegnung mit der Presse. "Wir besitzen die Entschlossenheit, den unbedingten Willen und die Fähigkeit für den Kampf gegen Extremismus und Terrorismus." Natürlich kooperiere der pakistanische Geheimdienst mit dem Rest der Welt, auch mit den USA, so Gilani weiter. "Wenn man uns jetzt geheimdienstliches Versagen vorwirft, dann hat die ganze Welt versagt."
Pakistan versucht seit dem 2. Mai verzweifelt Stärke zu demonstrieren - aus einer Position der wachsenden Schwäche heraus. Wie stark die eigene Taliban-Bewegung inzwischen ist, hat sie einmal mehr am 22. Mai in der Hafenstadt Karachi demonstriert, als es pakistanischen Taliban gelang, in einen Marinestützpunkt einzudringen. Das Land leidet unter radikalem Islamismus und ist auf die Milliarden-Hilfe des Westens angewiesen, um zu überleben. Militär und Geheimdienst sind Säulen des maroden Staates, aber ohne die Unterstützung vor allem der USA nicht einsatzfähig.
Washington hat offen damit gedroht, die Hilfe einzufrieren, auch wenn sich der Westen eine weitere Schwächung des schwierigen Bündnispartners überhaupt nicht leisten kann. Im Gegenzug hat Pakistan offensiv mit China geflirtet und die Führung in Peking als "besten Freund" bezeichnet.
Unveränderte Gewalt nach Osama
Der tödliche US-Kommandoeinsatz am 2. Mai hat vor allem politische und diplomatische Konsequenzen gehabt. Auf die Gewaltspirale in Pakistan und Afghanistan hat er jedoch keinen Einfluss. Osama bin Laden ist tot, der Krieg geht weiter. Al Kaida und Taliban seien eben nicht das gleiche, betont Almut Wieland Karimi, die Direktorin des Berliner Zentrums für Internationale Friedenseinsätze. Die Taliban seien eine regionale Bewegung, "während Al Kaida immer eine internationale Ausrichtung hatte. Al Kaida arbeitet auf einer sehr hohen ideologischen Ebene, während bei den Taliban sehr viel stärker das Streben um die Macht im eigenen Land im Mittelpunkt steht."
Auch die Gruppen der afghanischen Taliban-Bewegung zeigen sich vom Tod Osama bin Ladens unbeeindruckt. Der schwere Anschlag in der nordafghanischen Provinz Takhar am 28. Mai hat einmal mehr gezeigt, dass der Krieg in Afghanistan militärisch nicht zu gewinnen ist. Bei dem Attentat im gut bewachten Gebäude des Provinzgouverneurs waren sieben Menschen getötet worden, darunter zwei Bundeswehrsoldaten und der Polizeichef für Nordafghanistan.
Am gleichen Tag starben durch einen Luftangriff der internationalen Afghanistan-Schutztruppe in Kandahar im Süden des Landes erneut viele Zivilisten. Präsident Karsai stürmte wütend vor die Presse und ermahnte die NATO, sich nicht wie ein Besatzer aufzuführen. "Wir behandeln die NATO wie einen Verbündeten. Aber wenn sie sich wie ein Besatzer aufführt, dann weiß das afghanische Volk damit umzugehen."
Die doppelte Botschaft des Westens
Das System Karsai und der Westen haben sich seit dem Sturz des Taliban-Regimes vor fast zehn Jahren auseinanderentwickelt. Das Jahr 2014 steht als Abzugstermin für die NATO-Kampftruppen im Raum. Die afghanische Regierung und das westliche Bündnis haben längst Kontakt mit Vertretern der Aufständischen aufgenommen, auch wenn es noch keine systematischen Verhandlungen gibt.
Doch Afghanistan-Expertin Almut Wieland-Karimi glaubt nicht, dass die doppelte Strategie aus militärischem Druck und Gesprächsbereitschaft funktioniert und plädiert dafür, eine Waffenruhe anzubieten. Die Direktorin des Zentrums für Internationale Friedenseinsätze hofft auf einen rechtzeitigen Strategiewechsel vor der Bonner Afghanistan-Konferenz, die für Dezember geplant ist. Es müsse darum gehen, den Einfluss wichtiger Regionalmächte wie China und Indien zu nutzen, um die Lage in Afghanistan und Pakistan zu beruhigen. "Ein Frieden in den afghanischen Grenzen ist nicht zu schließen ohne diese Regionalmächte, weil Afghanistan immer ein Spielball in der Region gewesen ist."
Schicksalsgemeinschaft AfPak
Auch ohne Osama bin Laden vergeht in Afghanistan und Pakistan kaum ein Tag ohne Anschläge und Selbstmordattentate. Beide Länder sind arme, zerrissene islamische Republiken, die unter Gewalt und Terror leiden. Ihre Regierungen sind schwach und korrupt, in beiden Ländern versinkt die Jugend in Perspektivlosigkeit. Daran kann eine militärische Intervention, ob mit Bodentruppen wie in Afghanistan oder mit Drohnen und Dollar wie in Pakistan, nichts ändern. Pakistan und Afghanistan brauchen eine Bildungs- und Entwicklungsoffensive. Aber dafür müssten alle Spieler ihre versteckten Karten auf den Tisch legen.
Autorin: Sandra Petersmann
Redaktion: Monika Griebeler