Afrikas Zukunft: mehr als Freihandel
4. Juli 2019Afrika soll weiter zusammenwachsen - das zumindest ist der Plan der Afrikanischen Union (AU), die sich diese Woche in Niamey, Niger, zum Gipfel trifft. Auf dem Tisch liegt die Agenda 2063, Afrikas Masterplan zur Beschleunigung von Entwicklung und Wirtschaftswachstum. Darin enthalten: 14 Initiativen in den Bereichen Infrastruktur, Bildung, Wissenschaft, Technologie, Kultur und Friedenssicherung für - so das Motto - "Das Afrika, das wir wollen". Doch längst nicht alles läuft derzeit wie erhofft.
Zum Beispiel Initiative Nummer fünf - eine totale Waffenruhe in Afrika. Dieses Ziel hatte sich die AU für 2020 gesetzt - nächstes Jahr. Dessu Meressa vom Institute for Security Studies in Addis Abeba sieht das kritisch: "Es läuft nicht wie geplant. Wir sind fast schon bei 2020 - und die Waffen sind immer noch da. Aber eine Waffenruhe in Afrika ist Bestandteil aller anderen Pläne in der Agenda." Es sei daher schwierig, einzelne Erfolge in der Agenda 2063 auszumachen. Das Scheitern einer Initiative könne automatisch Einfluss auf das Gelingen von anderen haben.
Auch der togolesische Politikwissenschaftler Désiré Assogbavi betont im DW-Interview: "Waffenruhe und Sicherheit sind die Grundlage für Entwicklung. Wenn ein Großteil des Kontinents in Flammen steht, ist die erfolgreiche Umsetzung der Agenda schwierig."
Kein Freihandelsabkommen ohne Freizügigkeit?
Trotzdem stellt sich die Frage: Kommt die Afrikanische Union mit ihren Plänen voran? Da wäre zum Beispiel die Afrikanische Kontinentale Freihandelszone (AfCFTA), die den innerafrikanischen Handel stärken und so die wirtschaftliche Position des Kontinents auf dem Weltmarkt verbessern soll. Das Abkommen trat am 30. Mai 2019 für die 24 Länder, die es ratifiziert haben, in Kraft. Sollten alle afrikanischen Länder beitreten, könnte AfCFTA die größte Freihandelszone der Welt werden, mit einer gesamten Wirtschaftsleistung von über drei Billionen US-Dollar und mehr als eineinhalb Milliarden Verbrauchern. Doch noch existiert AfCFTA hauptsächlich auf dem Papier.
"Bei diesem Treffen geht es einzig und allein darum, dass AfCFTA in Kraft tritt", sagt Désiré Assogbavi über den AU-Gipfel in Niamey. "Es ist ein großer Schritt im Business-Plan der AU, und kann, wenn vollständig umgesetzt, das Schicksal des Kontinents verändern." Und tatsächlich könnten die Pläne am Wochenende einen Schub nach vorne bekommen. Der Grund: Nach langem zögern hat die Regierung von Afrikas größter Volkswirtschaft Nigeria angekündigt, dem Freihandelsabkommen beizutreten.
Andere Initiativen könnten deshalb bei dem Treffen in den Hintergrund rücken. "Ich glaube nicht, dass etwa der freie afrikanische Personenverkehr weiter besprochen wird", sagt Dessu Meressa. Dabei habe diese Initiative auch einen großen Einfluss auf die Umsetzung der Freihandelszone. "Wenn das Freihandelsabkommen erfolgreich sein soll, müssen Menschen in der Lage sein können, von Ort zu Ort, von Land zu Land durch Afrika zu reisen."
Koloniales Erbe im Flugverkehr
Die Initiative zum Personenverkehr ist ambitioniert: Alle Afrikaner sollen künftig auf ihrem Kontinent frei reisen, arbeiten und leben können. Dafür soll auch ein afrikanischer Pass eingeführt werden. Doch das hält Meressa aktuell für zweitrangig. "Es würde schon reichen, mit einem nationalen Pass leichter reisen zu können, ohne ein Visum oder andere Voraussetzungen." Auf einem Sondergipfel im März 2018 in Kigali, Ruanda, unterzeichneten 27 der 55 Mitgliedsstaaten der AU das Protokoll zur Freizügigkeit. Doch seitdem ist es ruhig geworden. Zu groß scheint aktuell noch das gegenseitige Misstrauen der Nationalstaaten.
Auch die Initiativen zum Ausbau der innerafrikanischen Infrastruktur kommen nur schleppend voran. Dabei wären bessere Verkehrswege zwingend nötig, um den Handel und Personenverkehr zwischen afrikanischen Ländern auszuweiten. Beispiel Flugverkehr: "Viele der aktuellen Flugrouten laufen immer noch über ehemalige Kolonialmächte. Um durch Afrika zu reisen, fliege ich selbst oft über Europa", erklärt der Politikwissenschaftler Assogbavi. Deshalb sei es wichtig, afrikanische Fluggesellschaften besser zu fördern.
Pläne dafür gibt es in der Agenda 2063 - und sogar schon ein Abkommen. Bereits Anfang 2018 hatten 23 afrikanische Staaten einen Vertrag unterzeichnet, durch den Fluggesellschaften der Mitgliedsländer in Zukunft freien Zugang zu den Flughäfen anderer Mitgliedsländer haben sollten. Doch auch hier sei seither nichts weiter passiert, klagt Assogbavi.
44 Jahre - 14 Pläne
Ähnlich sieht es auch beim Thema Schienenverkehr aus. Geplant ist ein Hochgeschwindigkeitsnetz, das die nationalen Eisenbahnen der 54 afrikanischen Länder und alle Hauptstädte miteinander verbinden soll. Mindestens 12.000 Kilometer neue Strecken sollen dafür gebaut werden. Dass das in naher Zukunft umgesetzt werde, glaubt Dessu Meressa nicht. "Dafür müssten die Mitgliedsstaaten ihre Infrastruktur erst einmal national ausbessern", sagt er.
Désiré Assogbavis Bilanz fällt nüchtern aus: "Bisher sehe ich eine Entwicklung nur bei der AfCFTA. Es reicht nicht, wenn Länder Vorschläge nur ratifizieren und sie dann nicht umsetzen." Die hochgesteckten Ambitionen der Afrikanischen Union hält er dabei für einen Teil des Problems. "Projekte wie das Zugnetzwerk müssen finanziert werden. Ein solches Investment passiert nicht über Nacht."
14 Initiativen, für die noch 44 Jahre bleiben. Genug Zeit? "Ich glaube nicht, dass alle Pläne bis 2063 durchgeführt werden können", sagt Dessu Meressa. "Zu einem bestimmten Grad ja, aber nicht zu 100 Prozent." Désiré Assogbavi hingegen ist optimistischer: "Es ist ein Ziel, und andere Kontinente haben es auch geschafft." Für ihn ist der Erfolg der Agenda 2063 eine Frage des Leaderships, der Führung. "Wenn wir starke Regierungen haben, dann können wir die Pläne in die Tat umsetzen. Aber wenn wir die Regierungsprobleme nicht gelöst bekommen, die wir momentan haben, dann wird die Agenda 2063 immer nur auf Papier geschrieben bleiben."