1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Signal zum Aufbruch

Christina Bergmann, Washington D. C.28. Juli 2012

Hoffnung und Ernüchterung prägten die 19. internationale Aids-Konferenz in Washington. Denn auch wenn man sich entschlossen auf die Suche nach Heilung und Impfstoff macht, ist die Realität ernüchternd.

https://p.dw.com/p/15fmj
Demonstration von Aids-Aktivisten in Washington Foto: Steve Ruark (AP)
Bild: dapd

Es war ein ernster Bill Clinton, der zum Abschluss der 19. internationalen Aids-Konferenz die Teilnehmer daran erinnerte, dass zwar seit dem Ausbruch der Immunschwächekrankheit viel erreicht wurde, dass aber immer noch eine Menge zu tun bleibt. 56 Prozent der HIV-Infizierten weltweit würden inzwischen behandelt. "Aber wenn wir uns die Gegenden anschauen, in denen Aids noch ein Stigma ist, dann sehen die Zahlen wesentlich schlechter aus: Zentral- und Osteuropa - knapp ein Drittel, Naher Osten und Ostafrika - gerade 25 Prozent." Deswegen, so Clinton, sei es vor allem wichtig, Vorurteile zu bekämpfen.

Das gelte allerdings auch für den Gastgeber USA, darauf wies Holger Wicht, Pressesprecher der Deutschen AIDS-Hilfe, im Gespräch mit der DW hin. Das Einreiseverbot für Aids-Infizierte in die USA wurde zwar 2009 aufgehoben, Prostituierte und Drogenabhängige aber erhalten nach wie vor keine Einreisegenehmigung, sie waren von der Konferenz weitgehend ausgeschlossen. Während der Konferenz gab es deswegen immer wieder Proteste. "Wir sind hier in einem Land, in dem die Freiheit gepriesen wird", so Wicht, "aber teilweise Menschen, die im Bereich der Sexualität oder Drogen andere Entscheidung treffen als die Mehrheit es möchte, sehr repressiv behandelt werden." Deutschland hat hier dagegen eine Vorbildfunktion. Die deutsche Aids-Prävention schließt niemanden aus und betont die Menschenrechte.

Holger Wicht, Pressesprecher Deutsche Aids-Hilfe Foto: Christina Bergmann (DW)
Holger Wicht von der Deutschen Aids-HilfeBild: DW/Bergmann

Finanzierungsprobleme

Das auf der Konferenz formulierte globale Ziel ist ambitioniert. Bis 2015 soll die Zahl der Neuinfektionen halbiert werden, jeder Kranke soll Zugang zu Behandlung haben und Mutter-Kind-Übertragung soll es gar nicht mehr geben. Theoretisch ist das möglich – die Praktiken dafür sind bekannt, in vielen Ländern ist auch die politische Bereitschaft vorhanden. Das, so der frühere Präsident, habe er erst kürzlich auf seiner Afrika-Reise in Uganda, Mosambik, Südafrika und Ruanda erfahren. "Aber dann habe ich mit den Projektmanagern gesprochen, die nicht wissen, wo das Geld dafür herkommen soll."

Mit weniger Finanzen mehr erreichen

Clintons Stiftung sammelt schon seit zehn Jahren Geld unter anderem für die Aids-Hilfe – die derzeit spärlich fließt. In diesem Jahr musste der Global Fund, der Geld für den Kampf gegen Aids, Malaria und Tuberkulose bereitstellt, seine finanzielle Unterstützung komplett aussetzen, weil die Mittel fehlten. Zum ersten Mal, darauf wies auch Clinton hin, kommen die Finanzen nicht aus internationalen Töpfen, sondern zu mehr als 50 Prozent aus den betroffenen Ländern selbst.

Der frühere US-Präsident Bill Clinton Foto: Paul J. Richards (AFP)
Der frühere US-Präsident Bill ClintonBild: AFP/Getty Images

Clinton betonte genauso wie viele Experten in Washington, dass man mit den knappen Ressourcen besser umgehen müsse und die Finanzierung von internationalen Organisationen nicht immer sinnvoll sei, wenn diese Berater beschäftigen, die an einem Tag soviel Honorar verlangen, dass man dafür drei Menschen ein Jahr lang behandeln kann. Effizienz ist das Stichwort. Der französische Präsident Francois Hollande hatte in seinem Grußwort zu Beginn der Konferenz darauf hingewiesen, dass in Frankreich am 1. August eine internationale Finanztransaktionssteuer eingeführt werden soll, deren Erlös unter anderem der Aids-Hilfe zugute kommt.

Signal der Hoffnung

Trotz der knappen Kassen war die Stimmung auf der Konferenz positiv. Einen Durchbruch oder neue medizinische Erkenntnisse, so Aids-Hilfe-Sprecher Holger Wicht, habe es zwar nicht gegeben, aber von Washington gehe ein "Signal der Hoffnung" aus.

"Wir sagen, wir können die Heilung schaffen, das ist realistisch, auch wenn wir noch nicht wissen ob in fünf oder 15 Jahren oder noch später." Das sei ein wichtiges politisches Signal, denn damit sei auch die Forderung verknüpft, die Forschung, die auf Heilung zielt, besser zu unterstützen. Deutschland zum Beispiel müsse in diesem Bereich mehr finanzielle Mittel bereitstellen, meint Wicht.

Dr. Anthony Harries von der internationalen Union gegen Tuberkulose und Lungenkrankheiten in Paris hob auf einer Pressekonferenz noch eine andere zentrale Erkenntnis der Tagung hervor: "Wenn wir antiretrovirale Behandlung früher einsetzen, als Behandlungsmethode aber auch zur Vorbeugung, dann können wir viel dazu beitragen, diese Epidemie einzudämmen." Und auch die Begleitkrankheiten von Aids, beispielsweise Tuberkulose, die vor allem in der südlichen Sahara häufige Todesursache sind, können durch den frühzeitigen Einsatz der Medikamente Todesfälle erheblich reduziert werden.

Patienten bei der Therapie halten

Yogan Pillay, stellvertretender Direktor im Gesundheitsministerium in Südafrika, zeigte sich beeindruckt von der Geschwindigkeit der wissenschaftlichen Erkenntnisse im HIV/Aids-Bereich. "Ich wünschte, es würde etwas langsamer gehen", sagte er, "denn wenn ich nach Hause gehe, dann stehe ich vor der Frage: Was mache ich jetzt daraus, wie setze ich sie um, denn wenn ich sie nicht umsetze, helfen sie nicht." Außerdem sei ihm bewusst geworden, wie wichtig es ist, die Patienten bei der Therapie zu halten, denn nur so könne das Virus tatsächlich in Schach gehalten werden.

Denn noch ist eine Heilung der Immunschwächekrankheit nicht in Sicht, auch wenn es erste Ansätze gibt. Ein wirksamer Impfstoff ist ebenfalls noch nicht erfunden. Ein weiteres Problem: die neuesten antiretroviralen Medikamente, die wegen der zunehmenden Resistenz des Erregers HIV notwendig sind, kosten wesentlich mehr Geld als die erste Generation. Für diese älteren Medikamente existieren oft preiswerte Generika, die beispielsweise in Indien hergestellt und in afrikanischen Ländern eingesetzt werden dürfen. Sie kosteten etwa 150 US-Dollar pro Jahr, erläutert Oliver Moldenhauer von Ärzte ohne Grenzen, während die neue Generation, für die Patentschutz gilt, 2500 US-Dollar jährlich pro Patient kostet. Ärzte ohne Grenzen fordert deshalb zum einen die Pharmafirmen auf, die Produktion von Generika zu erlauben. Und zum anderen sollten Länder, in denen die Pharmafirmen nicht kooperativ sind, das internationale Patentrecht ausschöpfen: "Im internationalen Patentrecht ist vorgesehen, dass Länder Zwangslizenzen erlassen können", so Moldenhauer. Indien habe dies vor kurzem zum ersten Mal umgesetzt. Acht Millionen Menschen werden derzeit therapiert.

Oliver Moldenhauer von Ärzte ohne Grenzen Foto: Christina Bergmann (DW)
Oliver Moldenhauer von Ärzte ohne GrenzenBild: DW/Bergmann

Insgesamt zeigten sich die Veranstalter mit der Konferenz zufrieden. Knapp 24.000 Delegierte aus 183 Ländern waren nach Washington gekommen, um sechs Tage lang unter dem Motto "Gemeinsam das Blatt wenden" Therapien und Finanzierungsmethoden zu diskutieren, die Suche nach einer Heilung und einem Impfstoff voranzutreiben und die Aufmerksamkeit auf die Krankheit zu lenken, an der 34 Millionen Menschen weltweit erkrankt sind. Die nächste Konferenz findet 2014 in Melbourne statt – dann unter Miteinbeziehung aller von HIV und Aids Betroffenen, so die Hoffnung. Denn ein Einreiseverbot für Prostituierte oder intravenös Drogensüchtige gibt es in Australien nicht.