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Bahr: "Ich sehe den Durchbruch nicht!"

Christina Bergmann, Washington DC24. Juli 2012

"Gemeinsam das Blatt wenden" - unter diesem Motto stand die 19. Internationale AIDS-Konferenz in Washington. Doch der deutsche Minister Daniel Bahr ist skeptisch, ob der Anfang vom Ende der Pandemie schon begonnen hat.

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Der Bundesminister für Gesundheit Daniel Bahr (FDP) auf der 19. internationalen AIDS-Konferenz in Washington. Zugeliefert am 24.7.2012 durch Christina Bergmann mit folgender Rechteerklärung: "Foto ist vom TV, aufgenommen von Lars Scholtyssyk (für uns im Einsatz, also honorarfrei)": Copyright: DW-TV
Washington AIDS-Konferenz Bundesminister für Gesundheit Daniel BahrBild: DW-TV

Deutsche Welle: Herr Minister, wie realistisch ist denn die Vision der Konferenzveranstalter: Eine Welt ohne AIDS?

Daniel Bahr: Das ist sehr ambitioniert, aber die Erfolge in den letzten Jahren zeigen uns, dass wir, wenn wir uns anstrengen und auch große Konzentration darauf legen, dem sehr nahe kommen können. Denn die medizinische Versorgung ist deutlich besser geworden, wir haben große Erfahrungen bei der Prävention. Es tut sich etwas, gerade in Ländern, die sich lange nicht um AIDS und HIV gekümmert, sondern es als Tabu bezeichnet haben. Das bringt enorme Fortschritte. Ich bin immer etwas zurückhaltender und Realist genug, aber wenn wir uns auf den Weg machen, dann können wir sehr viel erreichen.

Deutschland geht ja mit sehr gutem Beispiel voran.

Aber wir haben immer noch keine Generation ohne AIDS. Im Gegenteil, auch 2.700 Neuinfektionszahlen sind immer noch 2.700 Neuinfektionen zu viel. Dass die Zahl der Neuinfizierungen zurückgeht, ist erfreulich und weist in die richtige Richtung, aber auch hier heißt es noch enorme Anstrengungen zu unternehmen, bis wir wirklich zu dem ambitionierten Ziel einer AIDS-freien Gesellschaft kommen.

In den Diskussionen hier merkt man aber, dass zum Beispiel die US-Amerikaner wissen wollen, was die Deutschen machen, womit sie Erfolg haben. Worauf verweisen Sie da?

Wir haben seit 25 Jahren große Erfahrungen in der Präventionsarbeit, und ich glaube da liegt auch der Schlüssel: Aufklärung, Information. Und vor allem, in die Zielgruppen reinzugehen. Dass heißt, keine breit gestreute Kampagne, sondern zuzugehen auf Männer, die mit Männern Sex haben, auf Prostituierte, auf Drogensüchtige, und immer in deren Lebensumfeld die richtige Ansprache zu finden. Ganz wichtig ist natürlich auch, frühzeitig in Schulen Aufklärungsarbeit zu machen. Bei uns findet eine gute Sexualaufklärung statt, immer kombiniert mit dem Hinweis auf die Gefahren. Wichtig ist auch, dass Betroffene selbst die Öffentlichkeit suchen, damit man die Geschichte kennt, und weiß: Die Situation kann einem selbst genau so passieren. Ich glaube, darum gehen die Neuinfektionszahlen so zurück.

Wenn Sie mit Ihren Kollegen aus Afrika oder Osteuropa über AIDS und Prävention sprechen, wie wird dieser Ansatz denn dann aufgenommen?

In Afrika nehme ich zunehmend Interesse wahr. Vor einigen Jahren bestand noch eine große Zurückhaltung - aufgrund der anderen Kultur, Religion und Einstellung. Da tut sich etwas, weil alle sehen, wie groß die Gefahren auch für die Gesellschaft sind, und dass es auch um Armut oder Wohlstand geht. Insofern gibt es eine große Offenheit und das Interesse, zu lernen. Wir wollen das nutzen, wollen in Kontakt kommen und unsere Erfahrungen auch anderen zeigen.

Es gibt leider immer noch Regionen, und es gibt immer noch Regierungen, die sehr, sehr restriktiv, sehr zurückhaltend auf die Themen AIDS und HIV reagieren - leider häufig auch kombiniert mit einer sehr restriktiven Drogenpolitik, einer sehr restriktiven Politik gegen Homosexualität. Das hängt ja alles zusammen. Insofern ist ständige Information, sind ständiger Kontakt und Dialog immer wichtig.

Wenn Sie an die drei Elemente denken: Forschung, Finanzierung und die Überwindung von Vorurteilen - worin besteht dann die größte Herausforderung?

Ich würde es so sagen: Die größte Chance liegt darin, Vorurteile zu überwinden, weil das der Schlüssel ist, um nachhaltig Erfolg zu haben. Die größte Herausforderung ist meines Erachtens immer noch die Forschung. Ich sehe den Durchbruch noch nicht! Jeder Schritt voran freut mich, und wir begrüßen und unterstützen das. Aber ich glaube, dass auch Fortschritt in der Forschung immer ein zweischneidiges Schwert ist. Es birgt die Gefahr, dass die Menschen falsch darauf reagieren, und sagen: "Aha, da ist ein Fortschritt in der Versorgung, es ist nicht mehr so gefährlich". Nein, AIDS - und auch andere sexuell übertragbare Krankheiten - sind immer noch mit großen Einschränkungen als Folge verbunden, bedeuten hohe Kosten in der Versorgung. Der Hauptfokus sollte immer noch darauf liegen, Vorurteile abzubauen und Präventionsarbeit zu betreiben.

In Zeiten knapper Kassen ist aber sicher auch die Finanzierung eine Herausforderung. Welchen Beitrag leistet Deutschland?

Deutschland ist international aktiv und leistet ja auch einen Beitrag, indem wir Projekte unterstützen, indem wir uns auch an den globalen Finanzierungen beteiligen, wie andere Länder auch. Aber es ist wichtig, glaube ich, dass wir die Partner zusammenbringen. Und mir hat gut gefallen, wie der neue Weltbankpräsident Jim Yong Kim die Zusammenhänge dargestellt hat. Es geht ja nicht nur um HIV und AIDS. Es gibt ja auch Schnittstellen zu allgemeiner Gesundheitsaufklärung, Malaria und anderen sexuell übertragbaren Krankheiten. Es geht darum, Armut abzubauen, es geht um Bildung. Das gehört alles zusammen, und mir hat gut gefallen, dass der neue Weltbankpräsident sagt: "Wir brauchen nicht immer wieder neue Programme, sondern wir müssen eine bessere Vernetzung, Zusammenarbeit und Kooperation der verschiedenen Institutionen haben." Das will ich gerne unterstützen.