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Alexej Nawalny: Ein Netzwerker gegen Putins Propaganda

Roman Goncharenko
16. Februar 2024

Sein Lebensziel war es, Wladimir Putin aus dem Kreml zu vertreiben. Auch wenn er diesem Ziel näher kam als viele vor ihm, war der Feldzug aussichtslos. Nun haben russische Behörden den Tod Alexej Nawalnys gemeldet.

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Alexei Navalny
Bild: Pavel Golovkin/AP Photo/picture alliance

Alexej Nawalny war nicht nur Oppositionsführer eines neuen Typs, der vor allem junge Russen mobilisieren konnte. Der 47-Jährige führte einen jahrelangen, biblisch anmutenden Feldzug gegen den autokratischen Dauerpräsidenten Wladimir Putin, den er für die massive Korruption im Land verantwortlich machte. Es war ein ungleicher Kampf, Nawalny hatte kaum Chancen. Doch er erreichte mehr als alle anderen russischen Oppositionellen. 

Immer empfindlicher traf er Putin - mal mit seinen Enthüllungen, mal mit der so genannten "smarten Abstimmung". Gemeint ist damit eine taktische Wahlempfehlung, um der Kreml-Partei "Geeintes Russland" so viele Stimmen wie möglich zu nehmen. Auch die von Nawalny angestoßenen oppositionellen Straßenproteste, an denen sich Zehntausende beteiligt hatten, waren dem Kreml zunehmend ein Dorn im Auge.

2020 als Wendepunkt in Nawalnys Schicksal

Das Jahr 2020 markierte eine dramatische Wende in Nawalnys Schicksal. Er wurde in Russland mit dem Nervenkampfstoff "Nowitschok" vergiftet, überlebte dank einer Behandlung in Deutschland und beschuldigte den Inlandsgeheimdienst FSB und Putin persönlich, ihn ermorden zu wollen. Seine Entscheidung, trotz Lebensgefahr nach Russland zurückzukehren, machte ihn zum unangefochtenen Oppositionsführer und Putins Herausforderer Nummer eins. Die international kritisierte Verurteilung und Haft unter besonders harten Bedingungen ließen manche Nawalny zum "russischen Nelson Mandela" erklären. Doch er wirkte eher wie ein Ritter aus russischen Märchen: furchtlos und bereit, sich selbst zu opfern.

Im vergangenen Dezember war der als politischer Gefangener eingestufte Politiker über mehrere Wochen verschwunden. Im Nachhinein erwies sich, dass die Justiz ihn aus dem europäischen Teil Russlands in ein Straflager im hohen Norden Sibiriens verlegt hatte. Nawalny vermutete, dass er dort vor der anstehenden Präsidentenwahl im März isoliert werden sollte. Zuvor hatte er wegen anhaltender Verletzung seiner Rechte immer wieder Klagen gegen den Strafvollzug geführt. Er nutzte die Gerichtsauftritte bis zum Schluss auch dazu, beißende Kritik an Putins autoritärem System und Moskaus Krieg gegen die Ukraine zu üben. Zuletzt wurde Nawalny zu den Verhandlungen nicht mehr zugeschaltet.

Jahresrückblick BG 2021
Trotz seiner "Nowitschok"-Vergiftung kehrte Alexej Nawalny im Januar 2021 nach Moskau zurück - und wurde bereits am Flughafen verhaftet.Bild: Kirill Kudryavtsev/AFP/Getty Images

Mit YouTube-Videos gegen Putin

Der 1976 bei Moskau geborene Nawalny, Sohn eines sowjetischen Armeeoffiziers und einer Kauffrau, studierte Jura, Wertpapier- und Börsenwesen. Er begann seine Karriere als Geschäftsmann und Anwalt. Mit Mitte 20 engagierte sich Nawalny politisch in der oppositionellen linksliberalen "Jabloko"-Partei, wurde jedoch 2007 ausgeschlossen. Hintergrund waren Konflikte mit der Parteiführung, aber auch seine nationalistischen Ansichten.

Aus jener Zeit stammen Nawalnys umstrittenste Äußerungen, die ihn später Sympathien bei Teilen der Opposition kosteten. Damals schloss er sich der rechtsnationalen Bewegung "Das Volk" an und machte bei "Russischen Märschen" mit, einem Sammelbecken nationalistischer Kräfte, die für ihre Stimmungsmache gegen Völker aus dem Kaukasus bekannt waren. Später distanzierte sich Nawalny von manchen seiner Aussagen. Seine Distanzierungen wirkten jedoch halbherzig. 

In Oppositionskreisen war Nawalny nicht nur deshalb umstritten. Auch seine Neigung zur Selbstdarstellung sowie seine gelegentliche Überheblichkeit gegenüber Journalisten machten es für einige schwer, ihn als Anführer zu akzeptieren. Politisch blieb er lange vage und driftete eher nach links mit seinen Versprechen, mehr Geld für Mindestlöhne, Gesundheit und Bildung auszugeben. 

Russland | Putin Palast am Schwarzen Meer
Dieses Anwesen an der Schwarzmeerküste soll Alexej Nawalny zufolge ein Palast sein, den Wladimir Putin für sich selbst errichten ließ. Bild: Navalny Life/dpa/picture alliance

Nawalnys wahre Leidenschaft war der Kampf gegen Korruption, ein Thema, das Umfragen zufolge die Russen besonders stark bewegt. Er machte sich als Blogger einen Namen und erreichte mit seinen Enthüllungen zunächst Hunderttausende, später Millionen. Diese Pionierarbeit perfektionierte Nawalny später mit seiner "Stiftung gegen Korruption" (FBK). Die FBK wurde immer mehr zu einem Medienunternehmen, das aufwendige Dokus über Machenschaften der Elite produzierte. Nawalny hat sich damit viele mächtige Feinde gemacht. Als Bestleistung gilt sein Film "Ein Schloss für Putin", in dem es um ein angeblich für den Präsidenten gebautes Anwesen am Schwarzen Meer geht. Das Video wurde in weniger als zwei Wochen auf YouTube über 100 Millionen Mal aufgerufen.

Politisches Talent ohne Zugang zur Politik

Nawalny war ein moderner Politiker und bespielte gekonnt die neuen Medien: ein Selfie beim Joggen auf Instagram, ein kurzes Video mit Frau und zwei Kindern beim Spazieren auf Facebook. Der Fokus auf die sozialen Netzwerke war aus der Not geboren, denn als Oppositionspolitiker hatte Nawalny in Putins Russland nichts zu sagen. Er hatte keinen Zugang zu den klassischen Medien, ihm blieben nur die Straße und eben YouTube, das vor allem Jüngere schauen.  

Sein politisches Talent wurde für viele zum ersten Mal im Winter 2011/2012 sichtbar, als es in Moskau Massenproteste für freie Wahlen und gegen Putins Rückkehr in den Kreml gab. Es war Nawalny, der "Geeintes Russland" als "Partei der Gauner und Diebe" brandmarkte. Der Ausdruck traf einen Nerv in jener Zeit, als die Kreml-Partei stark an Zustimmung verloren hatte.

Russland Moskau | Proteste 2012
2012 kam es in Moskau zu Massenprotesten für freie Wahlen und gegen Wladimir Putins Rückkehr als Präsident in den KremlBild: Maxim Shipenkov/dpa/picture alliance

Der legale Weg in die Politik blieb Nawalny versperrt, seine Partei wurde nicht registriert. Die Teilnahme an der Bürgermeisterwahl in Moskau 2013, als der Oppositionelle fast ein Drittel der Stimmen holte und Zweiter wurde, blieb eine Ausnahme. Der Kreml sah in ihm eine Gefahr und tat alles, um ihn aus der Politik herauszuhalten. Zahlreiche umstrittene Verfahren wegen Wirtschaftsverbrechen machten auch eine Kandidatur bei der Präsidentenwahl 2018 unmöglich: Er wurde nicht zugelassen. Nawalny nutzte jedoch geschickt die Gelegenheit, um landesweit Anhänger zu organisieren. Ein Nawalny-Netzwerk wurde geboren.

Eine Stärke, die zur Schwäche wurde

Was Nawalny von anderen Oppositionellen unterschied, war sein subtiler Humor. Er wurde sein Markenzeichen. Als er sich zum ersten Mal nach seiner Vergiftung bei Instagram meldete, schrieb er: "Hallo, hier ist Nawalny. Ich habe euch vermisst. Ich kann immer noch sehr wenig, doch gestern konnte ich den ganzen Tag alleine atmen … Ein wunderbarer, von vielen unterschätzter Vorgang." Er scherzte in seinen Videos, aber auch im Gerichtssaal. Nawalny erkannte früh, dass man mit einem Schuss Ironie junge Menschen besser für politische Themen begeistert als mit trockener Analyse. Sein auf Video festgehaltener Anruf bei einem mutmaßlichen FSB-Agenten, der Details seiner Vergiftung inklusive einer Spurenbeseitigung an der Unterhose ausplauderte, war geradezu oscarverdächtig. 

England | Demonstration Unterstützer von Alexej Nawalny in London
Immer wieder wurde auf der ganzen Welt - wie hier in London im Juni 2023 - für eine Freilassung Alexej Nawalnys demonstriertBild: Justin Tallis/AFP/Getty Images

Mit der Jugend als wichtigsten Zielgruppe grenzte sich Nawalny allerdings von einem Großteil seiner Landsleute ab. Nawalny war und blieb ein Liebling der jungen städtischen Mittelschicht, einer Minderheit. Die breite und vor allem ältere Bevölkerung konnte er kaum erreichen, was auch an der staatlichen Propaganda lag, die nicht müde wurde, ihn als Verbrecher und Marionette des Westens zu bezeichnen.

Nawalnys von russischen Behörden verkündeter Tod markiert ein neues Kapitel in der Geschichte Russlands. Die Opposition hat ihre stärkste Figur verloren. Seine Erfahrung hat gezeigt, dass man dem Kreml Paroli bieten kann, auch aus der Haft. Doch das Schicksal Nelson Mandelas, der nach seiner Freilassung Präsident Südafrikas wurde, blieb Alexej Nawalny verwehrt.