Versöhnung im Kosovo
6. Januar 2013Das Märtyrer-Monument in Pristina passt nicht mehr in diese Zeit, dennoch ist es da: klotzig, heruntergekommen, unübersehbar. Der sozialistische Bau steht für eine längst vergangene Ära: Einst symbolisierte der Betonriese die Brüderlichkeit und Einheit der Völker Jugoslawiens, heute ist das Monument nur noch stiller Zeitzeuge eines überholten, politischen Systems.
"Das Monument erinnert uns daran, dass Albaner und Serben eine gemeinsame Vergangenheit haben", erklärt der kosovarische Fotograf Jetmir Idrizi. Er hat das Monument in schwarz-weiß fotografiert und das Bild längs in schmale Streifen zerschnitten. Viele seiner Motive fand er auch in Mitrovica im Nordkosovo. Die Stadt im Nordkosovo ist seit dem Krieg im Ausnahmezustand und geteilt: Im Norden leben Serben - die sonst im Land die Minderheit stellen - im Süden leben mehrheitlich Albaner. Die verbarrikadierte Brücke über den Fluss Ibar ist zum Symbol des Konfliktes zwischen Serben und Albanern geworden.
Gemeinsame Vergangenheit
Seit 2008 ist der Staat Kosovo unabhängig, doch viele Serben erkennen dies nicht an. Sie sehen das Kosovo noch immer als Teil Serbiens. Ein im Frühjahr 2013 ausgehandeltes Abkommen könnte die Beziehung zwischen Belgrad und Pristina normalisieren.
Für den Kosovo-Albaner Jetmir Idrizi hat Versöhnung viel mit der gemeinsamen Vergangenheit der unterschiedlichen Ethnien im Land zu tun. Man müsse manchmal nach hinten schauen, um vorwärts zu kommen. Gemeinsam mit fünf anderen Fotografen aus der Mongolei, Ungarn, den Palästinensischen Gebieten, Mali und Deutschland hat er eine Woche im Kosovo verbracht. Jeder von ihnen hat das Thema Versöhnung auf seine Art und Weise interpretiert. Die Fotografen haben Menschen, Landschaften und Situationen beobachtet und festgehalten. Ihre Werke sind in der Fotoausstellung "Versöhnung im Kosovo" der Deutschen Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) zu sehen. Die Ausstellung wird zeitgleich in Berlin, Bonn und Pristina gezeigt.
Versöhnung als gelebte Realität
Jetmir Idrizi ist in Pristina geboren. Während des Kosovokriegs war er 15 Jahre alt, flüchtete mit seiner Familie erst nach Mazedonien, dann nach Belgien und kehrte später zurück. Heute ist er ein anerkannter Fotojournalist und arbeitet sowohl im kosovarischen Pristina als auch im serbischen Belgrad, wo er viele Freunde hat. Für ihn ist die Versöhnung gelebte Realität. Trotzdem könne er die Wut und den Hass derjenigen verstehen, die im Krieg Angehörige verloren hätten. Seine Familie sei von einem solchen Schicksal verschont geblieben.
Auch Merlin Nadj-Torma ist eine der insgesamt sechs Fotografen, die am Workshop der GIZ teilgenommen haben. Die zerschnittenen Bilder ihres kosovarischen Kollegen haben sie am meisten beeindruckt. "Ich finde das symbolisch ganz stark. Jetmir zeigt, dass diese Monumente noch im Kosovo stehen, aber nicht mehr funktionieren und dennoch die Chance da ist, dass sie irgendwann wieder zusammengefügt werden können".
Die deutsche Fotografin fand es am Anfang schwierig sich auf Thema "Versöhnung im Kosovo" einzulassen, in einem Land, wo der Konflikt noch so nah sei und an vielen Stellen ungelöst: "Meine erste Reaktion war, dass der Kosovo definitiv der falsche Ort dafür ist", so Nadj-Torma. Dann hat sie aber während der einwöchigen Reise in Pristina schöne Momente erlebt: "In einer Bäckerei und einer Apotheke haben wir Serben und Albaner getroffen, die einfach zusammengearbeitet haben." Dort habe die ethnische Zugehörigkeit keine Rolle gespielt. "Das war schön zu sehen, dass kannte ich vorher nicht".
Wechsel in der Wahrnehmung
Nadj-Torma hat in Pristina Alltagsorte wie einen Sportplatz oder Wohnhäuser fotografiert. Ihre Bilder haben etwas traumhaftes, weil sie alle verschwommen sind. "So erscheinen die Orte in einem anderen Licht. Mir ging es darum zu zeigen, dass ein kleiner Wechsel in unserer Wahrnehmung große Auswirkungen haben kann", erklärt sie.
Jetmir Idrizi gefallen die Bilder seiner Kollegin. "Ich hatte erst ein wenig Sorge, dass die anderen Fotografen einfach einen Serben und einen Albaner nebeneinander stellen. Aber sie haben mir gezeigt, dass Versöhnung viel mehr als das ist". In der Ausstellung im Bonner Landesmuseum hängen seine Bilder neben denen von Merlin Nadj-Torma. Sie ist in Deutschland geboren und aufgewachsen, aber ihre Eltern kommen aus Serbien. Während des Workshops hatten die beiden einen besonderen Draht zueinander. "Wir haben sehr viele Witze übereinander gemacht und uns dabei auch herausgefordert, aber in einer sehr positiven Art und Weise", sagt die Fotografin. Die beiden machen im Kleinen vor, was in Zukunft für alle Serben und Albaner gelten könnte: Die Vergangenheit hinter sich lassen und gemeinsam nach vorne schauen.