Am Scheideweg: Argentinier wählen neuen Staatschef
19. November 2023Inmitten einer schweren Wirtschaftskrise wählen die Argentinier einen neuen Präsidenten. Bei der Stichwahl am Sonntag tritt Wirtschaftsminister Sergio Massa von den regierenden Peronisten gegen den libertären Populisten Javier Milei an. In den jüngsten Umfragen lagen die beiden fast gleichauf. Rund 35 Millionen Menschen sind zur Wahl aufgerufen. Es herrscht Wahlpflicht.
Mit extremen Ansichten zum Erfolg?
Der selbst ernannte "Anarchokapitalist" Milei verspricht eine radikale Kehrtwende: Er will den US-Dollar als gesetzliches Zahlungsmittel einführen, die Zentralbank sowie viele Ministerien abschaffen und die Sozialausgaben radikal kürzen. "Niemand mit so extremen Ansichten in Wirtschaftsfragen ist je zum Präsidenten eines südamerikanischen Landes gewählt worden", sagte der Ökonom Mark Weisbrot vom US-Forschungsinstitut Center for Economic and Policy Research.
"Er erkennt kaum eine legitime Rolle der Regierung in einigen der wichtigsten Politikbereiche an, die die meisten Menschen als notwendig für eine demokratische, humane und stabile Gesellschaft ansehen."
Die von Milei geplante Radikalkur kommt jedoch vor allem bei jungen Leuten gut an. Viele kennen nur ein Leben im ständigen Krisenmodus, sind vom politischen Establishment enttäuscht und wollen endlich einen Neuanfang.
Tiefer Griff in die Staatskasse
Regierungskandidat Massa hingegen dürfte die bisherige Politik mit massiven Eingriffen des Staates in die Wirtschaft und umfangreichen Sozialprogrammen grundsätzlich fortsetzen. Zuletzt griff er tief in die Staatskasse, um die Wähler bei Laune zu halten. Er ordnete massenhafte Neueinstellungen im öffentlichen Dienst an, genehmigte höhere Freibeträge bei der Einkommensteuer und gewährte Einmalzahlungen für Angestellte und Pensionäre.
Medienberichten zufolge pumpte Massa in den vergangenen Monaten umgerechnet mehrere Milliarden Euro in die Wirtschaft, rund 1,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Der gemäßigte Peronist schürte zuletzt die Angst vor einem sozialen Kahlschlag, sollte sein Rivale Milei die Wahl gewinnen.
Inflation bei mehr als 140 Prozent
Die zweitgrößte Volkswirtschaft Südamerikas steckt in einer tiefen Wirtschaftskrise. Die Inflationsrate liegt bei über 140 Prozent, rund 40 Prozent der Menschen in dem einst reichen Land leben unterhalb der Armutsgrenze. Argentinien leidet unter einem aufgeblähten Staatsapparat, geringer Produktivität der Industrie und einer großen Schattenwirtschaft, die dem Staat viele Steuereinnahmen entzieht. Die Landeswährung Peso verliert gegenüber dem US-Dollar immer weiter an Wert, der Schuldenberg wächst ständig.
Die Wahllokale öffnen um 8.00 Uhr (12.00 Uhr MEZ) und schließen um 18.00 Uhr (22.00 Uhr MEZ). Mit ersten Ergebnissen wird in der Nacht zum Montag gerechnet.
haz/bru/sti (dpa, epd, rtr)