Ansturm auf Wahllokale im Südsudan
10. Januar 2011Die Sonne ist noch nicht über den Häuserdächern aufgegangen, da strömen die Menschen in Südsudans Hauptstadt Juba schon in Scharen zu den Wahlstationen. Stundenlang stehen sie zu Hunderten im Innenhof der Grundschule in Jubas Stadtviertel Mukumi Schlange. Es herrscht freudige Aufregung.
"Heute ist unser Unabhängigkeitstag"
Max Androga ist um fünf Uhr morgens aufgestanden, um sich anzustellen. Fast drei Stunden wartet er geduldig, bis er an der Reihe ist, seine Wahlkarte in die Urne einzuwerfen. Der 45-jährige Buchhalter trägt ein T-Shirt mit der Aufschrift "Abspaltung". Sein Leben lang habe er noch keinen stabilen Frieden erlebt, erzählt er. Er sei im ersten Bürgerkrieg geboren und in der Zeit zwischen den beiden Kriegen aufgewachsen. "Aber damals waren wir wieder am selben Punkt wie vor dem ersten Krieg", sagt er. Im zweiten Krieg, der von 1983 bis 2004 dauerte, wäre er fast getötet worden. Damals sei ihm klar geworden: "Die Kriege haben uns Südsudanesen gezeigt, dass wir im Sudan Bürger zweiter Klasse sind. Wir haben immer nur Ungerechtigkeit erlebt", sagt er. Die Südsudanesen hätten auch nie Unabhängigkeit erfahren, obwohl die Kolonialisten den Sudan 1956 verlassen haben. "Heute ist endlich unser Unabhängigkeitstag. Wir stimmen heute für die Abspaltung", sagt Androga entschlossen.
Trotz der Umstände und der Schwierigkeiten hat das Referendum im Südsudan am Sonntag (09.01.2011) pünktlich angefangen. 2600 Wahlstationen wurden eingerichtet – in einem Land eineinhalb Mal so groß wie Deutschland. Viele Menschen müssen weite Strecke zurücklegen, um ihr Wahllokal zu erreichen. Oft bestehen die Wahlstationen lediglich aus Zelten in der Wüste oder aus eingezäunten Bereichen im Schatten eines Baumes. Rund vier Millionen Südsudanesen hatten sich im Vorfeld registriert und eine Wählerkarte erhalten. Mindestens 60 Prozent der registrierten Wähler müssen in dieser Woche am Referendum teilnehmen, damit das Ergebnis gültig ist. Der Regierungssprecher verkündete bereits: Im ganzen Gebiet des Südsudans sei der Ansturm gewaltig.
Friedliche Kugel in einem langen Konflikt
Zum ersten Mal hätten die Südsudanesen die Chance, über ihre eigene Zukunft zu entscheiden, sagt Doboul Wuol. Der Unterstaatssekretär im Planungsministerium des Südsudan hat sich eine Tracht in den Landesfarben angezogen. "Ich fühle mich heute zum ersten Mal wie ein freier Mensch", sagt er strahlend. Er sei sich sicher, die nächste Generation werde nicht dieselben schwierigen Zeiten durchleben, die seine Generation erlebt hat. "Als ich meinen Wahlzettel in die Urne eingeworfen habe, hatte ich das Gefühl, ich schieße die letzte, aber friedliche Kugel in einem langen Konflikt", nickt er und gibt zu: Sein Land habe noch viele Herausforderungen vor sich. Doch dank der Rohstoffe sei diese Entwicklung finanziell umsetzbar. "In Zukunft wird sich der Südsudan sehr verändern", glaubt er.
Bashir will das Ergebnis anerkennen
Die ersten vorläufigen Ergebnisse werden erst nächste Woche feststehen. Im Anschluss muss das Referendumsbüro im Südsudan diese Ergebnisse in die nationale Referendumskommission in der nördlichen Hauptstadt Khartum weiterleiten, wo sie geprüft werden. Dort gibt es die Möglichkeit, Einspruch zu erheben. Sudans Präsident Omar Bashir hatte bei seinem Besuch in Juba vergangene Woche zugesagt, dass seine Regierung das Ergebnis anerkennen werde, egal, wie es ausfalle. Dies hatte die Situation im Süden entspannt. Vorher herrschte Angst, dass der Norden die Abstimmung nicht anerkennen würde und dadurch weitere Konflikte aufflammen könnten. Die Option eines Volksentscheides war 2005 im Friedensvertrag zwischen der südsudanesischen Volksbefreiungsbewegung SPLM und Bashirs Regierung festgelegt worden.
Die Vorsitzende der EU-Wahlbeobachtermission, Veronique de Keyser, gratuliert, dass das Referendum pünktlich begann. Der 9. Januar wurde einst im Friedensvertrag als Referendumstag festgelegt. Die Referendumskommission habe die technische Umsetzung der Volksabstimmung pünktlich und gut gemeistert, sagt sie. "Ich gratuliere der Referendumskommission und deren Büro in Juba, sie haben wirklich gute Arbeit geleistet."
Autorin: Simone Schlindwein, zurzeit in Juba
Redaktion: Christine Harjes