Wie Archäologen bei der Bibelforschung helfen
2. April 2021An den Osterfeiertagen wird an die biblische Passionsgeschichte erinnert. Sie erzählt vom Leiden und Sterben des Jesus von Nazareth, davon, wie Jesus vom römischen Statthalter in Judäa, Pontius Pilatus, zum Tode verurteilt und ans Kreuz genagelt wurde. Vieles davon entstammt dem Neuen Testament der Bibel, aber nicht alles ist historisch gesichert.
Ausgrabungen liefern nur Puzzleteile
Nicht einmal diese Art der Hinrichtung, die Kreuzigung, ist in der Antike als weit verbreitete Strafe belegt. Gunnar Samuelson, ein Historiker der Universität Göteborg , studierte im Jahr 2010 im Rahmen seiner Doktorarbeit alle griechischen, lateinischen und hebräischen/aramäischen Quellen, die er finden konnte - von Homer bis zum ersten nachchristlichen Jahrhundert - und fand heraus, dass es kaum Hinweise auf Kreuzigungen als gängige Hinrichtungsmethode gibt. Und auch wenn Archäologen geschmiedete Nägel mit DNA-Spuren fanden, so existiert kein wissenschaftlicher Beweis, dass es Jesus war, der gekreuzigt und später am Ort der heutigen Grabeskirche in Jerusalem beigelegt wurde. "Über die Details wird seit Jahrhunderten debattiert", sagt Eric Meyers, Archäologe und emeritierter Professor für Judaistik an der Duke University, in einem Artikel von Kristin Romey in der Zeitschrift National Geographic: "Aber kein seriöser Akademiker bezweifelt, dass es die historische Person gegeben hat."
Bibel als Geschichtensammlung
Bibelgeschichten bewegen sich häufig im Bereich des religiösen Mythos, archäologisch sind sie nicht zu beweisen. Beispielsweise wird Jerusalem in der Bibel als Zentrum des Großreiches von König David beschrieben. In Wahrheit, so der Archäologe Israel Finkelstein in seinem Buch "Das vergessene Königreich. Israel und die verborgenen Ursprünge der Bibel", sei Jerusalem damals "ein Kuhdorf" gewesen.
Und genau das wirft immer wieder neue Fragen und Forschungsansätze auf. Für die weltweiten Bibelforscher sind deshalb die Erkenntnisse der Archäologie eine wichtige Stütze. Diese Wissenschaft überprüft Daten, Materialien und gefundene Artefakte aus der Zeit von Jesus auf ihren jeweils historischen Zusammenhang. Seit Jahrzehnten fördern archäologische Grabungen in der Altstadt Reste der alten Stadtmauer von Jerusalem zu Tage - unerwartete Fundstücke und neue Erkenntnisse über die alttestamentarische Zeit.
Vieles wurde mündlich überliefert
Die Bibel habe in der Hinsicht ihren wissenschaftlichen Wert. "Man kann sie als religiöses Buch lesen, man kann sie aber auch als archäologische Quelle nehmen", sagt Dirk Schmitz vom Römisch-Germanischen Museum in Köln. "Wenn man die Verhältnisse zur damaligen Zeit erforschen will, jetzt in der Osterzeit, wo Jesus nach Jerusalem kommt, dort festgenommen, und vor den römischen Statthalter gebracht wird - das sind alles Institutionen, die man aus der Geschichtsschreibung kennt."
Bibel-Aufzeichnungen, so der Kölner Archäologe im DW-Interview, habe es erst 50 oder 60 Jahre nach dem Tod von Christus gegeben. "Vorher ist es mündlich tradiert worden. Und Sie kennen das Prinzip 'Stille Post', da verändert sich schon mal das eine oder andere. Wenn es schriftliche Überlieferungen 200 oder 300 Jahre später gegeben hat, muss man natürlich vor diesem Hintergrund fragen, wie große die historische Genauigkeit ist. So was ist immer gefärbt, das sind nie objektive Berichte."
Angebliche Fälschung doch ein Original?
Vor über 130 Jahren tauchten in Israel antike Bibelrollen auf, die angeblich in einer Höhle am Toten Meer gefunden worden wurden. 1883 stellte der jüdische Antiquitätenhändler Wilhelm Moses Shapiro einigen der führenden Experten seiner Zeit Fragmente dreier hebräischer, auf Lederstücken geschriebener Manuskripte vor. Shapiro bot diese sensationellen Funde 1883 dem British Museum in London zum Kauf an. Die 15 Schriftrollen wurden jedoch als vermeintliche Fälschungen entlarvt, die Fundstücke bei einem Brand zerstört. Shapiro, der schon vorher als Fälscher aufgefallen war, nahm sich daraufhin das Leben.
Was davon erhalten blieb, waren angeblich nur abgezeichnete Schriftzeichen, berichtet der Bibelforscher Idan Dershowitz, der an der "School of Jewish Theology" der Universität Potsdam lehrt und forscht: "Diese Zeichnungen waren nur ein kleiner Teil des ursprünglichen Manuskripts. Die Leute haben etwas angefertigt, das wie dieses Fragment aussah, aber sie waren nicht sehr sorgsam damit, jeden einzelnen Buchstaben richtig hinzubekommen."
Trotzdem glaubte der israelische Wissenschaftler weiter an die Echtheit dieses Bibelfundes und vertrat das auchin einem Artikel für die New York Times. "Und dann fand ich tatsächlich eine weitere Transkription, die von Shapiro selbst angefertigt worden und wirklich interessant war", sagt er im DW-Interview. "Ich hatte damit fast den gesamten Text und konnte ihn studieren. Und es schien mir nicht so, als wäre dies das Werk eines Fälschers."
Sensation: Neu entdeckte Bibelfragmente
Anfang des Jahres 2021 fanden israelische Archäologen erneut Jahrhunderte alte Fragmente einer antiken Bibel-Schriftrolle. Die Fundstücke stammen aus der Zeit um 132 nach Christus, teilte die nationale Altertumsbehörde im März der Presse mit. Der sensationelle Fund gehöre damit zu den ältesten jemals gefundenen biblischen Fragmenten. Verfasst sind diese neu entdeckten Bibel-Fragmenten mit griechischen Schriftzeichen. "Es handelt sich nicht um einen hebräischen Text, sondern um einen griechischen Text", sagte Wolfgang Zwickel, Professor für Altes Testament und Biblische Archäologie an der Universität Mainz, im März gegenüber der DW. "Der Text wurde also damals schon übersetzt. Griechisch war damals die Weltsprache des Mittelmeerraums. Hebräisch konnte außer den Schriftgelehrten fast niemand mehr in dieser Zeit", so Zwickel.
Bibel-Fundort in Qumran-Höhle am Toten Meer
Der Fundort ist kein unbekannter: eine tief versteckte Höhle in der Nähe des Toten Meeres, dort wo auch die Londoner Fundstücke im 19. Jahrhundert entdeckt worden waren. 1947 fanden Ziegenhirten in den Felsen der Wüstenregion auch die berühmten "Qumran-Rollen", benannt nach ihrem Fundort, den Qumran-Höhlen, die zu den wichtigsten archäologischen Entdeckungen des 20. Jahrhunderts gehören. Eines wird wissenschaftlich nicht angezweifelt und gehört zu den wenigen Gewissheiten in Bezug auf das Alte Testament, sagt Dirk Schmitz von Römisch-Germanischen Museum in Köln: "Die Bibel gehörte damals - also 132 n. Chr., nicht zu den wichtigen Büchern. Das Christentum war weder Staats-, noch eine weit verbreitete Religion. Sie war nur eine unter vielen." Aber wer weiß, welche Artefakte noch auftauchen. Das Grabungsprojekt rund um die alte Stadtmauer von Jerusalem geht im Sommer 2021 in eine neue Phase.