Artikel 13: Hürde oder Reform
27. März 2019Als die Europäische Kommission 2016 umfangreiche Reformen des Internet-Urheberrechts vorschlug, die die "Wertlücke" für Content-Ersteller schließen sollten, die auf Plattformen wie YouTube nur sehr schlecht bezahlt werden, stand die Organisation Impala (Independent Music Publishers and Labels Association) kurz vor ihrem Ziel.
"Es freut uns sehr", sagte Impala-Vorstandsvorsitzender Mark Kitcatt, der auch das in Madrid ansässige Label "Everlasting Records" leitet, nachdem die Richtlinie über das Urheberrecht im digitalen Binnenmarkt am Dienstag (26.3.2019) vom Europäischen Parlament verabschiedet wurde. Jeder freischaffende Spanier stehe dahinter. "Fast jeder Künstler, mit dem ich gesprochen habe, unterstützt diese Richtlinie und insbesondere Artikel 13. Es ist wichtig für uns."
Artikel 13 (Artikel 17 des neuen Gesetzes) schreibt vor, dass Inhalte, die auf Plattformen wie YouTube oder Facebook hochgeladen werden, eine Urheberrechtslizenz haben müssen, damit Lizenzgebühren gezahlt werden können. Aber diese Reform öffnet gleichzeitig den Weg für einen automatisierten "Upload-Filter", der viele Inhalte effektiv zensieren und blockieren könnte.
Susan Wojcicki, Geschäftsführerin von YouTube, wetterte, wie nicht anders zu erwarten, gegen die Reform. "Artikel 13 unterbindet die Möglichkeit von Millionen von Menschen - von Künstlern, Kreativen oder auch normalen Usern -, Inhalte auf Plattformen wie YouTube hochzuladen", verkündete sie schon im vergangenen Oktober. Sie fügte hinzu, dass "europäische Künstler, Unternehmen, und alle, die Künstler beschäftigen", einen wichtigen Schauplatz für ihre Arbeit verlieren würden.
Kitcatt ist anderer Meinung. Für ihn ist Artikel 13 die Garantie, dass YouTube endlich seinen Anteil an unabhängige Musiker in ganz Europa zahlen muss. Bislang sei es so, das die Videoplattform, deren Reichweite zehn bis 15-fach so hoch ist wie die des Musik-Streaming-Dienstes Spotify, nur etwa ein Sechstel der Lizenzgebühren bezahle.
"Wenn der Wert Ihrer Arbeit von YouTube, dem größten Musikvertreiber der Welt, missachtet wird, ist es klar, dass Sie Ihre Musikaufnahmen nicht mehr finanzieren können", so Kitcatt.
Die für Kultur und Medien zuständige deutsche Ministerin Monika Grütters begrüßte die EU-Urheberrechtsreform ebenfalls und erklärte, dass die "kulturelle und journalistische Vielfalt" sowohl im Hinblick auf einen besseren "digitalen Zugang" als auch auf "die Tatsache, dass professionelle kreative Arbeit gerecht bezahlt wird", verbessert werde.
Artikel 13 – ein Rückschlag?
Hinter der Kampagne #SaveYourInternet, bei der am Wochenende iZehntausende n ganz Deutschland gegen die neue Urheberrechtsrichtlinie demonstriert haben, stehen große Online-Plattformen wie das zu Google gehörende Portal YouTube sowie weiteren Kämpfer für die Freiheit mi Netz. Sie halten das neue Urheberrechtsgesetz für eine existenzielle Bedrohung der freien Meinungsäußerung.
"Die Europäische Union statuiert einen schlechten Präzedenzfall", sagte Diego Naranjo gegenüber der DW in Brüssel. Er arbeitet für „European Digital Rights" (EDRi), einer Vereinigung von Bürger- und Menschenrechtsorganisationen aus ganz Europa, die die "Rechte und Freiheiten im digitalen Umfeld" verteidigt.
Naranjo argumentiert, dass die neue Gesetzgebung nur eine Entschuldigung dafür sei, Upload-Filter zu sanktionieren, die "in Zukunft aus vielen anderen Gründen verwendet werden". Das Endergebnis? Es werde zur Einschränkung der Meinungsfreiheit im Internet kommen, weil die Filter der großen Technologiekonzerne das Netz so kontrollierten wie Medienkonzerne den Fernsehbetrieb.
Im Gegensatz zu den Befürwortern von Artikel 13, zu denen auch die Sängerin Debbie Harry von der Band Blondie gehört, glaubt Naranjo nicht daran, dass die kleinen unabhängigen Künstler aufgrund des neuen Gesetzes mehr Lizenzgebühren erhalten. "Nur diejenigen, die sich die Lizenzen leisten können, oder nur diejenigen, die mit den großen Technologieunternehmen verhandeln können, werden in der Lage sein, ihre Inhalte weiterhin zu teilen."
"Die Krümel, die sie von den Verwertungsgesellschaften, von den großen Musikunternehmen erhalten, sind auch im besten Fall minimal", fügte er hinzu. "Also verdienen die meisten Musiker mehr Geld, indem sie live spielen; die meisten Schriftsteller verdienen mehr Geld, indem sie als Journalisten arbeiten oder andere Dinge tun. Das ist ein größeres Problem, das wir mit der Urheberrechtsrichtlinie nicht lösen können."
Die Mega-Plattformen, die derzeit wenige Lizenzgebühren an unbekanntere Künstler zahlen, werden nach dem neuen Gesetz erneut schlecht bezahlte Lizenzabkommen aushandeln - diesmal jedoch auf Kosten eines freien Internets, glaubt Naranjo.
Eine Reihe von Künstlern haben sich nach der Urheberrechtsabstimmung am Dienstag auf Twitter geäußert. Ihre Sorge ist es, dass weniger bekannte Künstler künftig Schwierigkeiten haben, ihre Arbeit an den Upload-Filtern vorbei zu veröffentlichen.
Dieser Twitter-Nutzer, der sich selbst als "ein kleiner, trans #ArtistOnTwitter" bezeichnet, ermutigte seine Follower nach der Verabschiedung von Artikel 13, sich verstärkt über Inhalte auszutauschen.
Das Ende der Meme?
Artikel 13-Befürworter wie Kitcatt sind der Ansicht, dass die aufgeregte Debatte um das Urheberrecht auf vielen Falschinformationen beruht. Seine Vereinigung Impala, die sich der "Gleichstellung der Wettbewerbsbedingungen für unabhängige Musikunternehmen und ihre Künstler in ganz Europa" verschrieben hat, wehrt sich gegen das Gerücht, dass Meme oder Gifs, die urheberrechtlich geschützte Inhalte nutzen, bald aus dem Netz verschwinden würden.
"Copyright ist ein System, das den künstlerischen Ausdruck unterstützt", sagte Andy Zammit gegenüber der DW. Der in Berlin lebende Musiker ist Mitglied der Band von Gemma Ray und gründete 2006 in London das Label "Bronze Rat Records". "Rechte sind und bleiben Rechte. YouTube und Google haben sich bereichert zu Lasten von anderen. Es wird Zeit, dass etwas passiert."
Auch für erfolgreiche Bands wie "The Jon Spencer Blues Explosion", die auf Zammits Label "Bronze Rat Records" vertreten sind, sei es ein Kampf gewesen, Einnahmen zu erhalten. Im YouTube-Zeitalter ginge es darum, "Musik für umsonst zu bekommen und nicht um Freiheit", sagte er. "Die Umverteilung der Einnahmen muss fair sein."
Zammit räumt ein, dass die Reform viel Arbeit und viel Bereitschaft "auf Seiten von Google und YouTube" erfordern wird. Naranjo hingegen zweifelt an einem ernst gemeinten Interesse. "Diese großen Technologieunternehmen werden die Künstler weiter ausnutzen und ihnen den kleinstmöglichen Geldbetrag zahlen."