Autoritäre Führer: Profiteure des Gaza-Konflikts
29. August 2024Kaum hatten sich Israel und die libanesische Hisbollah am vergangenen Sonntag einen heftigen Schlagabtausch geliefert, warnte der ägyptische Staatschef Abdel-Fattah al-Sisi in einem Gespräch mit einem führenden US-General vor der Gefahr einer weiteren Eskalation des Gaza-Konflikts.
Die internationale Gemeinschaft müsse alles unternehmen, um die Spannungen zu entschärfen und die Eskalation zu beenden, so al-Sisi laut einer von seinem Büro veröffentlichten Erklärung. Sicherheit und Stabilität der gesamten Region seien bedroht.
Ägypten ist neben den USA und Katar Teil des internationalen Vermittlerteams, das sich derzeit um einen Waffenstillstand im Gazastreifen bemüht.
Gaza-Krieg hilft Image-Pflege
Die staatsmännischen Worte helfen al-Sisi, sein Image aufzupolieren, analysiert der in Deutschland lebende Aktivist Hossam el-Hamalawy, Autor eines regelmäßigen Newsletters zur ägyptischen Politik. "Der Krieg in Gaza trägt dazu bei, das Regime von al-Sisi weiter zu festigen", so el-Hamalawy gegenüber der DW.
In den fast elf Monaten des Gaza-Konflikts habe sich die ohnehin schwierige wirtschaftliche Lage Ägyptens massiv verschlechtert. So hätten die Kämpfe dazu geführt, dass die Einnahmen aus wichtigen finanziellen Quellen wie dem Tourismus und der Schifffahrt durch den Suezkanal zurückgegangen seien.
"Die Europäer, die Amerikaner, der Internationale Währungsfonds und andere internationale Akteure bemühen sich, Ägypten aus seiner Notlage zu befreien", so el-Hamalawy. Er verweist auf mehrere kürzlich gewährte Kredite und Investitionsvereinbarungen im Wert von über 50 Milliarden US-Dollar, die dazu beigetragen haben, den Zusammenbruch des ägyptischen Pfunds zu verhindern.
"Al-Sisi geht in den Westen und sagt: 'Ich bekämpfe den Terrorismus, ich bin wichtig für die regionale Stabilität'. Aber gleichzeitig geht er gegen interne Dissidenten vor", so el-Hamalawy weiter. "Er ist einfach ein Heuchler. Unter denen, die kürzlich verhaftet wurden, war der Karikaturist Ashraf Omar. Wegen seiner Arbeiten wird er nun des Terrorismus angeklagt – und zwar, wie die meisten anderen ägyptischen Journalisten und Medienmitarbeiter, hinter Gittern."
Von der Krise profitieren
Der autoritäre Herrscher Ägyptens ist nicht der einzige Staatschef in der Region, der vom Gaza-Krieg zu profitieren hofft.
In den vergangenen zwei Jahren sei es den Regierungen in Algerien, Tunesien, Libyen und Marokko gelungen, "die Adern mehrerer globaler Krisen anzuzapfen - darunter Kriege, Migration und der wachsende Populismus in Europa -, um ihre schwächelnde Herrschaft wiederzubeleben", schreiben Alia Brahimi und Karim Mezran vom Think Tank Atlantic Council.
So habe Algerien seinen zeitweiligen Sitz im UN-Sicherheitsrat im Zusammenhang mit dem Gaza-Konflikt genutzt, um seine antikoloniale Haltung zu demonstrieren, so Brahimi und Mezran. Gleichzeitig habe die algerische Regierung jedoch die Strafen für algerische Demokratieaktivisten verschärft und Menschenrechtsorganisationen verboten.
Gaza als Ablenkungsmanöver
In Tunesien werfen Aktivisten dem zunehmend autoritär regierenden Staatschef Kais Saied vor, mit seiner pro-palästinensischen Haltung von der Wirtschaftskrise des Landes und dem harten Vorgehen gegen die tunesische Opposition abzulenken.
Dies sei vor allem für Menschenrechtsaktivisten gefährlich, schrieb die tunesische Schriftstellerin Tharwa Boulifi im März in einem Gastbeitragfür The New Arab. Seit Beginn des Gaza-Krieges im Oktober seien sie für die lokalen Medien irrelevant geworden. "Denn diese konzentrieren sich stattdessen vor allem auf pro-palästinensische Proteste." Die Aktivisten drohten in Vergessenheit zu geraten.
Ebenfalls in der Kritik steht ein im Oktober des vergangenen Jahres vorgelegter Gesetzesentwurf, der dazu führen könnte, dass zivilgesellschaftliche und nichtstaatliche Organisationen in Tunesien als "ausländische Agenten" verboten werden. Von politischer Seite wurde der Entwurf als Reaktion auf den Gaza-Konflikt präsentiert. Das Gesetz verbietet jeder tunesischen Institution, Beziehungen zu Israel zu unterhalten. Gleichzeitig, so die Aktivisten, ermögliche es der Regierung, Menschenrechtsorganisationen zu schließen. Dazu reiche die Behauptung, sie würden vom Ausland finanziert.
Schwieriger Balanceakt
Eine Position zum Gaza-Krieg zu entwickeln, ist für Politiker im Nahen Osten und Nordafrika nicht einfach. Denn die palästinensische Sache liegt der Mehrheit der Menschen im Nahen Osten am Herzen. Viele werfen ihren Regierungen vor, nicht genug zu tun, um einen Waffenstillstand herbeizuführen.
Letztlich stelle der Gaza-Konflikt ein Risiko für die autoritären Politiker der Region und ihre Lippenbekenntnisse zu den Palästinensern dar, schrieb der Politologe Marc Lynch von der George Washington University im April in der Zeitschrift Foreign Affairs.
Die arabischen Führer tendierten dazu, "selbst die zynischsten und eigennützigsten Aktionen als Dienst an den Interessen der Palästinenser oder als Verteidigung der arabischen Ehre zu verbrämen", so Lynch. Deshalb könne sich der Unmut vieler Araber über den Gaza-Krieg auch gegen die eigene Regierung richten.
"An der Macht zu bleiben, bedeutet nicht nur, offensichtlich regimebedrohende Massenproteste zu verhindern, sondern auch, auf mögliche Quellen der Unzufriedenheit zu achten", so Lynch. "Da fast alle arabischen Länder außerhalb der Golfregion unter extremen wirtschaftlichen Problemen leiden und ihre Regierungen darum ein Höchstmaß an Repression ausüben, müssen sie bei Themen wie dem israelisch-palästinensischen Konflikt noch vorsichtiger reagieren."
Aus dem Englischen adaptiert von Kersten Knipp.