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Kopfschütteln statt Zuglärm am Kölner Hauptbahnhof

10. Januar 2024

Die Lokführergewerkschaft GDL bestreikt die Deutsche Bahn - und selbst am sonst hektischen Knotenpunkt Köln wird es ganz ruhig. Reisenden, die sich trotz Streik hierher gewagt haben, reagieren mit Unverständnis.

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GDL-Streik Köln | 10.01.24
Köln im Westen Deutschlands ist eines der wichtigsten Zug-Drehkreuze des Landes - wenn gerade nicht gestreikt wirdBild: David Ehl/DW

Der jungen Frau auf dem Bahnsteig zwischen Gleis 6 und 7 sieht man das Zögern an. Sie steht direkt vor dem Bildschirm, der die nächsten Abfahrten im Kölner Hauptbahnhof auflistet. Ihr Blick wechselt zwischen der Anzeige und ihrem Handy hin und her. Dann hat die Frau mit dem schweren Trekkingrucksack ihre Entscheidung getroffen - und noch ein paar Minuten Zeit für ein Gespräch mit der DW. Alice lebt in Paris und will nach Berlin, um dort eine Freundin zu besuchen. Aber ihr Anschlusszug fällt aus, weil in Deutschland die Lokführergewerkschaft GDL zum Streik aufgerufen hat.

"Ich habe diese Reise seit Monaten geplant und muss jetzt alles umplanen", klagt die 25-Jährige. Was es mit dem Streik auf sich hat, weiß sie nicht. "Wenn ich zu Hause wäre, würde ich das vielleicht befürworten, aber als Reisende nicht", sagt Alice. Dann fährt ein Regionalexpress ein, mit dem sie hoffentlich einen anderen ICE-Schnellzug in die Hauptstadt erreichen kann. "Ich habe zehn Minuten zum Umsteigen und Angst, dass das nicht klappt", sagt sie.

Streitpunkt 35-Stunden Woche

An den drei Streiktagen Mittwoch, Donnerstag und Freitag könne nur jeder fünfte Fernverkehrszug fahren, teilte die Deutsche Bahn (DB) mit. Zum Streik aufgerufen hatte die Lokführergewerkschaft GDL, die neben besserer Bezahlung vor allem eine Absenkung der Wochenarbeitszeit von 38 auf 35 Stunden fordert. Die DB als größter deutscher Zugbetreiber stellt bislang nur optionale Teilzeitmodelle bei geringerer Bezahlung in Aussicht.

Im Herbst gab es deshalb bereits zwei Warnstreiks. Die Zeichen zwischen GDL und Bahn stehen weiter auf Konfrontation; auch Eilersuchen der Bahn vor mehreren Arbeitsgerichten konnten den Streik nicht mehr abwenden. Und so geht im Kölner Hauptbahnhof, der sonst eines der verkehrsreichsten Eisenbahndrehkreuze Deutschlands ist, gerade kaum ein Zug der DB.

GDL-Streik Köln | 10.01.24
Streikfahrplan statt Reisetrubel in der Eingangshalle des Kölner HauptbahnhofsBild: David Ehl/DW

Ein Mann mittleren Alters an Gleis 2, der sich nur unter seinem Nachnamen Blum vorstellt, hält nichts von dem Streik: "Wenn wir als Land immer fauler werden, wie soll es da vorangehen? Ich wohne in England, da sieht man, wo es hinläuft. Das ist ein Land, das sich heruntergewirtschaftet hat, weil alle nur Forderungen stellen." Er ist gerade mit dem Eurostar in Köln angekommen, weiter geht es mit einer privat betriebenen Regionalbahn - zumindest theoretisch. Die auf der Tafel angezeigte Abfahrtszeit ist schon vorbei, aber der Zug ist nicht da. "Wenigstens das sollte die Bahn hinkriegen, dass man solche Informationen updatet", findet Blum. Die Digitalisierung sei verschlafen worden - "da muss man sich nicht wundern, dass kein Geld da ist für die 35-Stunden-Woche".

Lokführer: "Müssen die Berufe attraktiv gestalten"

Direkt am nordöstlichen Ausgang des Bahnhofes, auf dem Breslauer Platz, stehen Dutzende Männer und Frauen in grünen Westen, die Blums Urteil widersprechen würden: Hier hat die GDL ihren Streikposten errichtet. In einem grünen Pavillon heizt ein mobiler Ofen gegen die Januarkälte an, an einer Biertischgarnitur können sich die Streikenden in Listen eintragen.

GDL-Streik Köln | 10.01.24
Raymond Geisler engagiert sich seit Jahren in der GDL - und hofft durch attraktivere Arbeitsbedingungen auf mehr Interessenten für seinen BerufBild: David Ehl/DW

Es dauert ein bisschen, bis sich unter ihnen jemanden findet, der sich öffentlich äußern will. Am Ende erklärt sich Raymond Geisler bereit, der seit seiner Ausbildung 2015 bei der DB arbeitet und als Lokführer in S-Bahnen oder Regionalzügen im Kölner Umland unterwegs ist. Im DW-Interview unterstreicht er, wie dringend neue Lokführer gebraucht werden: "Es geht nicht mehr, das vorhandene Personal bis zum Maximum auszureizen. Wir brauchen intelligente Lösungen, um die Lücken abdecken zu können. Wir müssen nachhaltig langfristig denken, und das funktioniert nur wenn wir die Berufe attraktiv gestalten." Dazu hätten sämtliche Ideen aus dem DB-Konzern bislang nicht gefruchtet - deshalb stellt Geisler sich hinter die Forderung, schrittweise zu einer 35-Stunden-Woche überzugehen.

Mit Blick auf die Fahrgäste sagt Geisler: "Wir wollen die Kunden nicht schädigen, das ist nicht unser Ziel. Leider trifft ein Streik im Verkehrswesen die Kunden, das tut uns auch selber leid, aber wir haben keine andere Möglichkeit, unseren Forderungen Nachdruck zu verleihen." Und der Zeitpunkt, ausgerechnet wenn im Land parallel viele Landwirte im Rahmen einer Protestwoche Straßen blockieren? "Es ist blöd, dass das jetzt gleichzeitig läuft, aber meiner Meinung nach unausweichlich", findet Geisler.

"Arbeitszeitverkürzung bei Personalmangel - das widerspricht sich doch!"

Im Bahnhof selbst hat man den Eindruck, dass die meisten Menschen sich irgendwie darauf eingestellt haben: Ein Mitarbeiter einer Autovermietung sagt, alle Wagen seien verliehen und man hätte sicher noch mehr Nachfrage gehabt. Am Infoschalter in der Eingangshalle ist hingegen kaum etwas los. Die DB hatte im Vorfeld eine kostenfreie Hotline geschaltet und Kulanz mit bereits gekauften Tickets angekündigt; auf den Anzeigetafeln im Bahnhof werden nur Züge erwähnt, die tatsächlich fahren.

GDL-Streik Köln | 10.01.24
Streikbedingt fährt die S-Bahn in Richtung Düren nur einmal in der Stunde - Frau Reschke ist trotz Streiks unterwegsBild: David Ehl/DW

Und ein paar Fahrgäste scheinen sich auch darauf zu verlassen: Eine Frau, die sich unter dem Nachnamen Reschke vorstellt und deren weißes Haar unter der warmen Fleecemütze hervorlugt, sagt der DW: "Ich bin gut bedient, einmal pro Stunde fährt die S-Bahn, insofern hab ich heute vom Streik im Grunde keine Nachteile." Sie will der GDL zwar nicht das Recht zu streiken absprechen, schüttelt aber zugleich den Kopf: "Das Wesentliche worum es ihnen geht, die Arbeitszeitverkürzung, das bringt doch nur was, wenn genügend Leute da sind, die das machen können, aber es fehlt ja an Personal! Das widerspricht sich doch!"

Auf dem Nachbargleis hat ein Mittfünfziger grundsätzlich etwas übrig für die Forderung der GDL: "Eine Vier-Tage-Woche finde ich richtig. Aber man muss andere Wege finden. Nicht auf Kosten von Passagieren; von Leuten die irgendwie mit dem Zug fahren müssen, weil sie keine andere Möglichkeit haben."

Immerhin, sein Zug nach Düsseldorf soll fahren. Und dank des Streiks rechnet er mit einer angenehmen Fahrt: "Wenn man sich hier umguckt, es ist ja kaum jemand da, da hat man viel Platz im Zug, das ist schön!"