Der Komponist privat
6. September 2011Beethovens "wilde und vernachlässigte Erscheinung" hat sein Zeitgenosse, der britische Aristokrat John Russell beschrieben, seine Augen "voll ungestümer Energie. Sein Haar, welches weder von Kamm noch Schere seit Jahren heimgesucht schien". Für Russell war der schwerkranke Künstler "für die Gesellschaft verloren".
Was war Ludwig van Beethoven für ein Mensch? Eine Reise in seine Kindheit führt in das Geburtshaus in Bonn. In einer winzigen Mansardenkammer - an der Stelle, wo vermutlich die Wiege Beethovens stand - steht eine weiße Porträtbüste Ludwig van Beethovens aus seinen letzten Lebensjahren in Wien.
Weit entfernt von dieser idealisierten Darstellung dürfte das eigentliche Erscheinungsbild des Komponisten gewesen sein, so Dr. Michael Ladenburger, der Kustos des Beethovenhauses, in einem Interview für die DW: "Beethoven war ein nur ein Meter sechzig großer, hässlicher, oft auch ungepflegter, von Pockennarben im Gesicht übersäter Mensch, aber mit einem hohen Charisma. Und deswegen von einer hohen Attraktivität auch für die Weiblichkeit."
Ein Dandy in Wien
Die Nachwelt stilisierte Beethoven zum schicksalsgebeutelten Titanen der Tonkunst. Doch Zeitzeugen, seine Briefe und Konversationshefte schildern ihn auch als humorvollen Liebhaber von Speis und Trank, als schlampigen und aufsässigen Mieter, als zart besaiteten leidenschaftlichen Künstler, als ruppigen, aber auch warmherzigen Freund.
Griesgrämig und aufbrausend stieß er viele seiner Gegenüber vor den Kopf. Dennoch fand Beethoven nach seiner Ankunft in Wien rasch Sponsoren und Zugang zu einflussreichen adligen Kreisen. Um seinen Auftritt dort eindrucksvoll in Szene zu setzen, hatte er sich modisch elegante Kleidung und sogar ein Pferd zugelegt.
Die unsterblichen Geliebten – Beethoven und die Frauen
Ein Rätsel bleibt nach wie vor Beethovens Verhältnis zu Frauen. Geheiratet hat er nie. Er verliebte sich zwar immer wieder heftig in seine adligen Klavierschülerinnen, laut Biographen seines Dieners Anton Schindler soll es auch eine Reihe von "romantischen Affären" gegeben haben. Eine Verbindung mit einem Bürgerlichen kam jedoch für die jungen Damen nicht in Frage.
Bis heute ist unklar, wann und an wen Beethoven diese in seinem Nachlass gefundenen Zeilen gerichtet hat:
"Schon im Bette drängen sich die Ideen zu dir, meine Unsterbliche Geliebte, hier und da freudig, dann wieder traurig. Leben kann ich entweder nur ganz mit dir oder gar nicht, ja ich habe beschlossen, in der Ferne so lange herumzuirren, bis ich in deine Arme fliegen kann..."
Wohn – und Lebensstil
Die vielen Umzüge des Komponisten haben ihn als Mietnomaden erscheinen lassen. Beethoven-Expertin Dr. Beate Angelika Kraus hat dafür eine andere Erklärung: "Sie sind schon dadurch bedingt, dass er üblicherweise im Sommer aus der Stadt aufs Land ging und dann im Herbst eine neue Wohnung in Wien bezog. Schließlich war er nicht so betucht, dass er sich gleichzeitig ein Stadt- und ein Landquartier leistete."
Gegenstände aus seinem persönlichen Besitz, wie etwa das Reiseschreibpult, an dem der Komponist - vergleichbar dem heutigen Laptop - gearbeitet hat, oder seine elegante Tisch-Standuhr zeigen, dass Beethoven durchaus Sinn für gediegenes Design hatte.
Seine Beziehung zur Gesellschaft
Beethoven nahm im Urteil über andere kein Blatt vor den Mund. Geradezu grob soll er sogar einmal mit seinem Freund, dem berühmten Geiger Ignaz Schuppanzigh umgesprungen sein: "Komme Er nicht mehr zu mir! Er ist ein falscher Hund und falsche Hunde hole der Schinder!" In einem Brief an seinen Bruder Johann vom 19. August 1823 zeigt Beethoven ein beachtliches Repertoire von Kraftausdrücken, die vom "Erzschwein der Haushälterin" bis zum "Elenden Schuften" reichen.
John Russel beschreibt Beethovens regelmäßige Besuche in einem Gasthaus, "wo er den Abend in einem Winkel Wein und Bier trank, Käse und Bücklinge aß und in den Zeitungen las. Als diesen Gasthof ein Mann betritt, dessen Gesicht Beethoven nicht zusagt, habe der mehrmals ausgespuckt und sei mit dem Ausruf 'Was für eine schurkische Fratze' aus dem Lokal gelaufen."
Von der Krankheit geprägt
Schon 1796 traten erste Anzeichen seines Gehörleidens auf. Beethoven fühlte sich zunehmend isoliert, er wurde immer menschenscheuer und fürchtete den Kontakt mit der Außenwelt.
In seinem "Heiligenstädter Testament" von 1802 schildert der 31jährige Beethoven seinen Brüdern das ungeheure Dilemma, das ihn quälte und an Selbstmord denken ließ: Er sei geboren mit feurigem lebhaftem Temperament, schreibt er, müsse aber sein Leben nun in Einsamkeit zubringen. Denn er könne den Menschen doch nicht sagen: "Sprecht lauter, schreit, denn ich bin taub!" Wie sollten die Leute verstehen, dass ein Musiker ohne Gehör komponierte?
Beethovens Charaktereigenschaften haben sich während einer langjährigen Krankheit und der zunehmenden Ertaubung verstärkt und für seine Umgebung ins Negative verändert. Im späteren Stadium seiner Gehörlosigkeit musste er ein Konversationsbüchlein mit sich führen, um überhaupt noch mit anderen Menschen kommunizieren zu können.
Die Schwäche zur Stärke gemacht
Dr. Michael Ladenburger zieht ein Resümee: "Klar ist, dass Beethoven aus den Brüchen seines Lebens und aus den Brüchen seiner Persönlichkeit eine große Kraft gezogen hat, weil er sich dagegen aufgelehnt hat, weil er sich die Latte eben selbst sehr hoch gelegt hat. So sind diese Schwächen nicht einfach negativ, sondern sie waren ein Widerhaken, an dem er sich gerieben hat, und wo er sich an sich selber abgearbeitet hat mit wunderbaren Ergebnissen, was sein Werk anbelangt."