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KonflikteBelarus

Belarus: Lukaschenkos PR-Erfolg mit Wagner-Chef Prigoschin

Grzegorz Szymanowski
25. Juni 2023

Alexander Lukaschenko half Wladimir Putin die Revolte der Wagner-Gruppe zu beenden. Ein Rollenwechsel: In der Vergangenheit war er es, der Hilfe aus dem Kreml brauchte.

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Das Bild zeigt Russlands Präsidenten Wladimir Putin und Alexander Lukaschenko, wie sie stehend in die Kamera schauen und Hände schütteln
Alexander Lukaschenko mit Wladimir Putin in Moskau vor der Siegesparade am 9. Mai 2023Bild: Vladimir Smirnov/TASS/dpa/picture alliance

Er wollte nach Moskau, doch er geht nach Minsk. Die Söldner des "Wagner”-Chefs Jewgeni Prigoschin steuerten schon auf die russische Hauptstadt zu, als die belarussische Präsidialadministration meldete, dass Prigoschin "den Vorschlag des belarussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko angenommen hat, die Bewegung bewaffneter Personen der Wagner-Firma auf dem Territorium Russlands zu stoppen und weitere Schritte zur Deeskalation der Spannungen zu unternehmen.” Prigoschin soll Russland Richtung Minsk verlassen haben. Damit war seine Rebellion zu Ende.

Das Bild zeigt Jewgeni Prigoschin in Militäruniform auf dem Dach eines Gebäudes, wie er in die Kamera spricht.
Ob er jemals noch in Militäruniform zu sehen sein wird? Prigoschin im März 2023 während der Schlacht um BachmutBild: Konkord Company Press Service/ITAR-TASS/IMAGO

Plötzlich steht Alexander Lukaschenko als derjenige da, der Putin vor einer Destabilisierung Russlands mitten im Krieg gegen die Ukraine bewahrt hat. "Wir sind dem belarussischen Präsidenten dankbar für seine Bemühungen”, so Kreml-Sprecher Peskow. Ein russischer Fernsehkommentator drückte es deutlicher aus: Lukaschenko "verdient ein Denkmal am besten Ort in Moskau”. Doch: Wie kam es dazu und welche Rolle fällt nun Belarus in der nahen Zukunft zu?

Angst vor Machtverlust in Minsk

Schon im Laufe der Revolte zeichnete sich ab, dass Lukaschenko an der Seite Putins stehen würde. Mindestens zweimal hatten die beiden Staatsoberhäupter an dem Tag telefoniert. Lukaschenko soll Putin seine Vermittlung angeboten haben, weil er Prigoschin persönlich seit 20 Jahren kennt, hieß es aus dem Kreml. Gleichzeitig erklärte der belarussische Sicherheitsrat, dass Belarus "Russlands Verbündeter ist und bleibt”, und dass jeglicher Konflikt innerhalb Russlands "ein Geschenk für den kollektiven Westen” sei. 

"Lukaschenko hat ein Interesse daran, einer großen Krise in Russland vorzubeugen”, erklärt Yauheni Preiherman, Direktor des Minsk Dialogue Council on International Relations. Die große Sorge der Regierung in Minsk sei, dass sich die Kämpfe in der Ukraine auf belarussisches Territorium ausweiten könnten, sagte er im Interview mit DW.

Das Bild zeigt einen vermummten Soldaten im Uniform.
Soldaten des Kalinouski-Regiments während ihrer Ausbildung in der UkraineBild: DW

Dass die Angst nicht unbegründet ist, hat der Appell von Lukaschenkos Gegnern aus dem "Kalinouski-Regiment” gezeigt. Das Regiment besteht aus belarussischen Freiwilligen, die auf der Seite der ukrainischen Armee gegen Russland kämpfen. Noch während der Revolte Prigoschins erklärten sie in einem Video, dass sie bereit seien, die Gelegenheit zu nutzen und Belarus bald militärisch "von Diktatur und Besatzung zu befreien”. "Lukaschenkos Interesse besteht darin, zu verhindern, dass so etwas passiert”, sagt Politologe Preiherman.

Lukaschenko und Putin: Vom Bittsteller zum Helfer

Obwohl Belarus und Russland seit 1999 eine schriftlich festgehaltene Union verbindet, hat Lukaschenko in der Vergangenheit versucht eine gewisse Autonomie Putin gegenüber zu bewahren. "Ihre Beziehung war schon immer ziemlich turbulent und hat viele Höhen und Tiefen erlebt”, sagt Preiherman.

Doch spätestens seit dem Sommer 2020 ist er regelrecht auf Putin angewiesen. Damals, nach den gefälschten Präsidentschaftswahlen, sah sich Lukaschenko massiven Protesten der Bevölkerung ausgesetzt. Tausende forderten seinen Rücktritt. Doch der Kreml stand Lukaschenko mit Krediten und der Ankündigung einer möglichen Intervention zur Seite. Lukaschenko schlug die demokratischen Proteste brutal nieder. Die Anführer wurden verhaftet oder ins Exil gedrängt.

Das Bild zeigt eine große Demonstration und Menschen, die weiß-rot-weiße Fahnen schwenken.
19. Oktober 2020: Massenprotest gegen Alexander Lukaschenko in Minsk Bild: AP Photo/picture alliance

Doch nun haben Putin und Lukaschenko sozusagen ihre Rollen getauscht, beobachtet die belarussische Menschenrechtlerin Olga Karatsch, Leiterin der Organisation "Unser Haus”: "Früher war Lukaschenko in der Rolle des Bittstellers, der die Ordnung im eigenen Land nicht alleine wiederherstellen konnte. (...) Jetzt war Putin mal in der Situation, die Ordnung nur mit Hilfe von außen wiederherstellen zu können”, sagte sie der DW.

Davon wird der belarussische Machthaber auch innenpolitisch profitieren, schätzt Karatsch. In den letzten Monaten gab es viele Spekulationen über den angeblich schlechten Gesundheitszustand des 68-jährigen Lukaschenko. Jetzt würde jedoch "seine Autorität gerade im belarussischen Sicherheitsapparat größer”, so Karatsch. Das werde wohl auch die belarussische Opposition schwächen.

Das Bild zeigt einen Mann im weißen T-Shirt und eine Frau mit Handschellen.
Eingesperrt in Belarus: Die Oppositionellen Maksim Znak und Maria KolesnikowaBild: Viktor Tolochko/SNA/imago images

Mehr Einfluss in Moskau

Während der russischen Aggression gegen die Ukraine stand Lukaschenko Putin bislang politisch eng bei und ließ russische Raketen auf die Ukraine auch von belarussischen Territorium abfeuern. Zuletzt wurde von vielen Experten auch die Ankündigung Russlands, taktische Nuklearwaffen in Belarus zu positionieren, als ein Zeichen weiterer Unterordnung des "Vasallen” gedeutet.

Nun könnte Lukaschenko stärker werden und mehr Einfluss auf Russland ausüben, glaubt Yauheni Preiherman: "Seine Rolle in der russischen Innen- und Außenpolitik wird nun zunehmen. Ich glaube nicht, dass das vielen Leuten in Moskau und im Kreml gefallen wird”, so der Politologe. 

Wagner-Söldner wurden in Vergangenheit in Minsk verhaftet

Über die Beziehung von Lukaschenko und Prigoschin ist wenig bekannt. Doch auch der belarussische Präsident hat schon einmal einen Konflikt mit Wagner-Gruppe erlebt. Im Juli 2020, im Vorfeld der umstrittenen Präsidentschaftswahlen, wurden in der Nähe von Minsk 33 angebliche Wagner-Söldner verhaftet, weil sie laut Ermittlern "Provokationen" vor der Wahl vorbereitet haben sollen. Später stellte sich heraus, dass ihre Verhaftung die Folge einer Operation des ukrainischen Geheimdienstes gewesen sein könnte. Nach zwei Wochen wurden die Männer freigelassen und nach Russland abgeschoben.

Bisher sind auch kaum Details über die verhandelte Vereinbarung zwischen Lukaschenko und Prigoschin bekannt. Vor allem, ob er nach der erwarteten Ankunft in Minsk dort bleiben wird oder ins Ausland weiterzieht. Nach dem Aufstand in Russland wird Lukaschenko den Söldnerchef scharf beobachten: "Prigoschin wird nicht in der Lage sein, sich in Belarus so zu etablieren, wie es ihm in Russland gelungen ist", so Politologe Preiherman.

Das Bild zeigt Wladimir Putin, Angela Merkel, Francois Holland und Petro Poroschenko vor ihren Nationalflaggen
Putin, Merkel, Hollande und Poroschenko in Minsk 2015: Nach Ausbruch des Krieges im Osten der Ukraine diente die belarussische Hauptstadt als Treffpunkt für VerhandlungenBild: Tatyana Zenkovich/EPA/picture alliance

Möglicher Verhandlungspartner?

Trotz seiner offenbar gestärkten Rolle bleibt jedoch der vom Westen sanktionierte Lukaschenko auch in Zukunft von Russland abhängig. Belarus werde "von der Entwicklung des russischen Regimes bestimmt. Und das hat heute den schwersten politischen Schlag der letzten Jahrzehnte erlitten. Das Ausmaß seiner Fragilität, der inneren Feindseligkeit und des Chaos wurde offengelegt”, analysiert der belarussische Politologe Artem Schraibmann im Onlineportal "Zerkalo”.

Der größte Vorteil von Lukaschenko nach den Verhandlungen könnte sein, dass er sich wieder als Gesprächspartner in der Region profiliert. Am Tag nach der gescheiterten Revolte in Russland schrieb der Sekretär des ukrainischen Sicherheitsrats, Oleksij Danilow, dass die Teilnahme Lukaschenkos an Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine "nicht ausgeschlossen sei".