Belarus: Was bedeutet Minsks Manöver mit China?
11. Juli 2024Am 8. Juli hat in Belarus die belarussisch-chinesische Anti-Terror-Übung "Angreifender Falke" begonnen. Das Militär übt nächtliche Landungen, die Überwindung von Wasserhindernissen und Einsätze in besiedelten Gebieten.
Die Manöver, die noch bis zum 19. Juli dauern, begannen kurz nach der Aufnahme von Belarus in die Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SCO). Am 4. Juli 2024 wurde das Land zehntes Mitglied in der 2001 gegründeten Gemeinschaft.
Die DW hat Experten gefragt, warum Belarus die SCObraucht, und was die Manöver mit China bedeuten.
Terrorismus bekämpfen?
Ursprünglich umfasste die SCO China, Russland, Kasachstan, Kirgisistan, Tadschikistan und Usbekistan. Zu den Mitgliedern der Organisation zählen mittlerweile neben Belarus auch Indien, Pakistan und der Iran.
Zunächst sollte die Organisation der Lösung von Grenzkonflikten dienen, dann rückten Sicherheitsfragen in den Vordergrund. Vertreter der Mitgliedsländer nehmen beispielsweise regelmäßig an gemeinsamen Übungen zur Terrorismusbekämpfung teil.
Experten sind sich darin einig, dass die Mitgliedschaft in der SCO keine finanzielle Unterstützung bietet, sondern in erster Linie als Plattform für Verhandlungen dient.
"Im Rahmen der SCO finden Treffen der Staats- und Regierungschefs statt. Dabei können am Rande der Gipfeltreffen bilaterale Fragen vorangetrieben werden", meint der ehemalige belarussische Diplomat Pavel Matsukevich, heute Senior Research Fellow am Thinktank "Center for New Ideas".
Raus aus russischer Abhängigkeit
Belarus pflegte auch vor dem SCO-Beitritt Beziehungen zu China und Indien: Doch der zweitwichtigste Handelspartner nach Russland war über viele Jahre hinweg die Europäische Union (EU).
Das Regime von Alexander Lukaschenko habe das Land zu einem Ausgestoßenen im Westen gemacht, meint Anastasia Luzgina vom unabhängigen belarussischem Forschungszentrum BEROC. "Die Wirtschaft musste sich den neuen Umständen anpassen."
Die Sanktionen gegen Minsk würden wirken und die belarussische Wirtschaft sei im Jahr 2022 geschrumpft. "Die Staatsfunktionäre haben sich zunächst auf Russland umorientiert, aber man will nun auch andere Märkte suchen", so die Expertin.
Da die belarussische Wirtschaft vollständig an Russland gebunden sei, was als gefährlich betrachtet werde, wolle Minsk Alternativen auch für den Fall finden, wenn die russische Wirtschaft in eine Rezession abrutschte.
Der Ökonomin zufolge will Belarus aber vor allem den europäischen Markt durch den asiatischen ersetzen. Daher würde Minsk politische, wirtschaftliche und kulturelle Beziehungen zum asiatischen Raum aufbauen, vor allem zu China. Der Beitritt von Belarus zur SCO passe in diese Politik, so Luzgina.
"Vernunftehe"
Laut Pavel Matsukevich stellt die SCO für Belarus zudem ein Sprungbrett für einen Beitritt zur BRICS dar, einer Vereinigung von Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Iran, Ägypten und Äthiopien.
"Für Belarus ist das eine Vernunftehe. Der EU-Markt ist verschlossen und der Zugang zu Häfen verwehrt. Es kann nur die Infrastruktur Russlands und des Iran genutzt und mit Ländern der Dritten Welt Handel getrieben werden", betont Matsukevich.
Minsk wolle mit dem SCO-Beitritt sowie der Annäherung an die BRICS-Staaten die Abhängigkeit von Russland verringern. Und Lukaschenko glaube, so der ehemalige Diplomat, dass er, wenn er Russland, China oder Indien unterstützt, im Gegenzug etwas dafür bekommt.
Den Experten zufolge ist China jedoch für Belarus nach Russland ganz klar die "Nummer zwei". "Auf Russland entfallen rund 70 Prozent des belarussischen Außenhandels und auf China rund zehn Prozent", sagt Anastasia Luzgina.
Beim Handel zwischen Belarus und China überwögen die chinesischen Importe nach Belarus. Aufgrund des geringeren Handels mit der EU habe sich Belarus auf chinesische Ausrüstung, Autos und Konsumgüter umgestellt. Belarus wiederum exportiere nach China Kalidünger, der früher in den Westen ging, sowie Lebensmittel.
Manöver an polnischer Grenze
Die belarussisch-chinesischen Militärübungen scheinen eine logische Konsequenz des Belarus-Beitritts zur SCO zu sein. Sie finden aber nicht zum ersten Mal statt.
Erstmals wurden sie im Jahr 2018 im chinesischen Jinan abgehalten. Jetzt wird auf einem Gelände bei Brest geübt, das 2,8 Kilometer von der Grenze zu Polen und 28 Kilometer von der Ukraine entfernt ist.
"Ich würde die Aufnahme in die SCO nicht mit den Manövern in Verbindung bringen. Ihre Vorbereitung braucht Zeit, das geht nicht von heute auf morgen", sagt Pavel Matsukevich. Ihm zufolge führen solche Manöver "immer zu Spannungen zwischen den Nachbarländern".
Noch von 2016 bis 2020, bis in Belarus aufgrund der gefälschten Präsidentschaftswahlen Massenproteste begannen, habe Minsk einen Dialog mit der NATO gepflegt und sogar Beobachter zu Manövern eingeladen.
Die jetzigen Übungen in Belarus dürften eher in Russland für Aufregung sorgen, glaubt der Experte. Denn sie fänden unter Beteiligung des chinesischen Militärs in Moskaus Einflusssphäre statt.
"Ich würde dies als eine Art Infragestellung des russischen Einflussbereichs bewerten, obwohl ich nicht glaube, dass China derzeit Anspruch darauf erhebt. Die Übungen sind eher ein Beweis dafür, wie intensiv die belarussisch-chinesischen Beziehungen mittlerweile in alle Bereiche vorgedrungen sind", so Matsukevich.
Adaption aus dem Russischen: Markian Ostaptschuk