Kult um Lukaschenko in Belarus: bescheiden ist anders
15. Oktober 2023Belarussische Schulkinder besuchen Orte, die mit Alexander Lukaschenko verbunden sind, das staatliche Studio "Belarusfilm" will einen Film über den Machthaber drehen und das Justizministerium hat eine wohltätige "Stiftung des Ersten" registriert. Benannt ist sie zu Ehren Lukaschenkos, den die Staatsmedien als "den Ersten" bezeichnen. Zudem werden Lukaschenkos Zitate auf Kleidungsstücken verbreitet, wofür eigens in der Hauptstadt Minsk ein "Flaggschiff-Geschäft" eröffnet wurde. Dort werden T-Shirts und Trainingsanzüge mit Aufdrucken wie zum Beispiel "Man wird nicht zum Präsidenten gemacht, man wird als Präsident geboren" angeboten.
Experten beobachten, dass die Propaganda in Belarus den Personenkult um Lukaschenko verstärkt und zunehmend vorgibt, der Machthaber genieße die Unterstützung der Bevölkerung. Das hat aus ihrer Sicht mehrere Gründe.
"Lukaschenko loben und schnell aufsteigen"
Vor den belarussischen Präsidentschaftswahlen 2020 wollten unabhängige Medien herausfinden, für wen ihre Leser stimmen würden. Das Ergebnis fiel für Lukaschenko mit nur etwa drei Prozent ziemlich schlecht aus. Die Folge war, dass die Behörden solche Umfragen verboten. Eine unabhängige Sozialforschung gibt es in Belarus nicht mehr.
Regierungsnahe Experten des Analysezentrums EccoM behaupten, dass im Jahr 2022 76,3 Prozent der Belarussen Lukaschenko vertraut haben, ein Jahr zuvor sollen es 72 Prozent gewesen sein. Wenn dem so wäre, warum wird dann der Kult um den Machthaber verstärkt? Der belarussische Politologe Wadim Moschejko, sagt dazu, dass ein Personenkult Bestandteil jeder Autokratie sei: "Wenn ein Politiker lange an der Macht ist, muss der Gesellschaft ständig erklärt werden, warum er so besonders und einzigartig ist."
Er verweist auf die Ereignisse rund um die Wahlen 2020, auf die Massenproteste folgten. Lukaschenko, der zum Wahlsieger erklärt worden war, ließ die Opposition damals brutal unterdrücken. Seitdem, so der Experte, sei Loyalität gegenüber dem Regime regelrecht zu einem Kult erhoben worden. "Funktionäre verschiedener Ebenen haben verstanden: Wer Lukaschenko lobt, kann schnell aufsteigen", sagt er und fügt hinzu, dass auf diese Weise auch Fördermittel für verschiedene Projekte locker gemacht werden könnten. "Ich bin mir sicher, dass 'Belarusfilm' problemlos Geld für seinen Film bekommt", so der Experte.
Warum der Lukaschenko-Kult verstärkt wird
Lesja Rudnik, Leiterin des im Ausland tätigen belarussischen "Zentrums für Neue Ideen", führt die Verstärkung des Personenkults um Alexander Lukaschenko in erster Linie auf die näher rückenden Präsidentschaftswahlen im Jahr 2025 zurück. "Selbst wenn Lukaschenko nicht antreten sollte, würden er und seine Äußerungen eine Rolle spielen. Daher will die Propaganda möglichst auf positive Weise Aufmerksamkeit auf ihn lenken", so die Politologin.
Der zweite Grund sei, dass selbst Anhänger des Regimes der negativen Agenda überdrüssig seien. Denn seit drei Jahren gebe es täglich Nachrichten über Repressionen. "Die systematische Verfolgung von Bürgern ist auch eine große Belastung für den Staatsapparat. Dafür werden zusätzliche Haushaltsmittel aufgewendet und viele Beamte müssen sich mit Repressionen befassen, statt mit echten Problemen, für deren Lösung sie eigentlich zuständig sind. So schleichen sich sogar unter Lukaschenkos Anhängern Bedenken ein, wonach sich das Regime nur noch auf Angst stützen könne. Die Propaganda will diesen Eindruck ändern und ein gutes Bild von Lukaschenko vermitteln", so Rudnik.
Der dritte Grund für die verstärkte Propaganda besteht ihr zufolge darin, aufzuzeigen, dass es in Belarus nur einen Führer gibt, der allein die Politik des Staates bestimmt, dass er jede Entscheidung treffen oder aufheben kann und alles im Land von seinem Willen abhängt. "Während Jewgenij Prigoschins Rebellion versuchte Lukaschenko, sich quasi als Schiedsrichter zu präsentieren. Das war wichtig vor dem Hintergrund seiner regelmäßigen Reisen zu Wladimir Putin, die den Eindruck völliger Abhängigkeit vom Kreml erwecken", sagt die Expertin.
"Bescheidener Lukaschenko"
"Die Propagandisten lügen, wenn sie sagen, Lukaschenko sei ein bescheidener Mensch, dass er fast überredet werden müsse, wenn ein Film über ihn gedreht wird. Auch das gehört zum Personenkult, es so darzustellen, als würden solche Initiativen vom Volk ausgehen. In Wirklichkeit gefällt es Lukaschenko, bewundert zu werden, was er auch öffentlich deutlich macht", bemerkt Wadim Moschejko.
Zu Bescheidenheit passt auch nicht, dass Propagandisten zu Treffen mit Lukaschenko in Kleidungsstücken kommen, auf denen seine Zitate stehen, und dass er bei öffentlichen Veranstaltungen oft von Gewinnerinnen von Schönheitswettbewerben umgeben ist. All dies gehört Experten zufolge zu dem Bild, was um ihn herum geschaffen wird. "Lukaschenko erscheint nicht als bescheidener Mensch. Ganz im Gegenteil. Er betont, dass er alles besser weiß als jeder andere", sagt Lesja Rudnik.
Kann Minsk zu "Lukaschensk" werden?
Gleichzeitig stellen die Experten fest, dass Lukaschenko noch weit von einem Personenkult entfernt ist, wie er in einigen asiatischen Ländern herrscht. So wurde in Kasachstan während der Präsidentschaft von Nursultan Nasarbajew auch eine Stiftung mit seinem Namen gegründet und mehrere Filme wurden ihm gewidmet, sogar Denkmäler wurden ihm zu Lebzeiten errichtet und die Hauptstadt zu seinen Ehren umbenannt.
"Wenn Lukaschenko eine hundert Meter hohe Statue zu seinen Ehren wollte, würde es niemand wagen, Einwände zu erheben. Aber er weiß genau, dass solch groteske Auswüchse bei den Belarussen nicht ankommen würden. Sie haben eine andere Mentalität. Deshalb wird die Verstärkung des Personenkults weitergehen, aber nicht so weit, dass man die Hauptstadt Minsk in 'Lukaschensk' umbenennen wird", glaubt Moschejko.
Die Direktorin des "Zentrums für neue Ideen" schließt aber nicht aus, dass Universitäten und Schulen bald Lukaschenkos Namen tragen könnten. "Die 'Akademie für Verwaltung' wurde schon vor längerer Zeit mit dem Zusatz 'beim Präsidenten' versehen. Angesichts des verbreiteten Wunsches unter den Staatsdienern nach Aufstieg, könnten schon bald Bildungseinrichtungen nach Lukaschenko benannt werden", so die Expertin.
Adaption aus dem Russischen: Markian Ostaptschuk