Berliner Luft über Havanna
16. Juli 2015Gelingt es Steinmeier, ein neues Kapitel in der Geschichte der Beziehungen zwischen Havanna und Berlin aufzuschlagen? Mehr als 25 Jahre nach dem Mauerfall scheint über dem Verhältnis immer noch ein Hauch des Kalten Krieges zu wehen.
Für Havanna war lange Zeit nicht die Bundesrepublik, sondern die ehemalige DDR der wichtigste Ansprechpartner in Europa. "Es wird höchste Zeit, dass wir diese Phase der Geschichte hinter uns lassen. Ich hätte mir das schon viel früher gewünscht", erklärt Klaus Barthel, Vorsitzender der deutsch-südamerikanischen Parlamentariergruppe.
Der SPD-Bundestagsabgeordnete verficht schon seit langem die Normalisierung der Beziehungen. "Ich betrachte es Fehler, dass wir die Beziehungen zu Kuba damals der DDR überlassen haben. Das macht es uns jetzt ein bisschen schwer", meint Barthel. Deutschland müsse zu Kuba "normale Beziehungen aufnehmen, ohne immer mit einem erhobenen Zeigefinger herumzulaufen."
Engere Zusammenarbeit vereinbart
Barthel kann sich freuen, der Kurswechsel ist eingeleitet. Bei Steinmeiers Besuch in Havanna haben beide Seiten mit dem Ausbau der bilateralen Beziehungen ernst gemacht, mit dem Ziel, die Zusammenarbeit auf eine komplett neue Grundlage zu stellen. In Anwesenheit der Außenminister Steinmeier und Bruno Rodriguez Parrilla wurden zwei Abkommen über die politische, kulturelle und wirtschaftliche Zusammenarbeit beider Länder unterzeichnet. Bisher war die deutsch-kubanische Kooperation vertraglich gar nicht geregelt. Die Rahmenvereinbarungen sollen nun den Weg für regelmäßige politische Konsultationen zwischen den Außenministerien und ein Kulturabkommen ebnen, das eigentlich schon seit 2003 geplant ist. Davon verspricht sich die deutsche Seite die Eröffnung eines Goethe-Instituts in Havanna. Nach Informationen aus dem Auswärtigen Amt wird Steinmeier auch "Gespräche über die Ansiedlung eines Büros der deutschen Wirtschaft intensivieren." Diese ist bislang nicht mit einer Handelskammer vor Ort vertreten.
Es ist die Suche nach der verlorenen Zeit. Schon im März dieses Jahres war EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini zu Gesprächen nach Kuba gereist. Mitte April landeten die Mitglieder des Bundestagsausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung auf der Insel. Und im Mai machte Frankreichs Präsident François Hollande den Castro-Brüdern seine Aufwartung.
"Europa hat verschlafen"
"Europa muss sich bemühen, in Lateinamerika wieder eine größere Rolle zu spielen", fordert der SPD-Abgeordnete Barthel. Die wirtschaftlichen Reformen seit 2012 in Kuba seien in Deutschland und Europa zu wenig wahrgenommen worden. "Die USA waren schneller, bei uns in Europa haben das viele verschlafen," kritisiert er.
Glaubt man dem kubanischen Tourismusminister Manuel Marrero, dann hat sich Havanna komplett der freien Marktwirtschaft verschrieben: "Wenn das US-Embargo aufgehoben würde, könnten wir endlich in einem ehrlichen Wettbewerb mit den anderen Karibikinseln treten und unsere Stärke zeigen", erklärte Marrero gegenüber der DW.
Und natürlich amerikanische Urlauber empfangen. Rund drei Millionen Touristen kommen zurzeit pro Jahr nach Kuba, die meisten von ihnen aus Europa. In der Branche herrscht Goldgräberstimmung, gerade eröffnete die spanische Hotelgruppe Melia ein neues Hotel mit 600 Betten in Havanna.
Jenseits des Tourismusbooms nehmen sich die deutschen und europäischen Wirtschaftsbeziehungen mit Kuba allerdings bescheiden aus. Nach Angaben des Auswärtigen Amtes exportierte Deutschland 2014 Waren im Wert von 191 Millionen Euro nach Kuba. Die Einfuhren aus Kuba nach Deutschland erreichten gerade einmal 33 Millionen Euro.
Tabuthema Menschenrechte
Zum Vergleich: Die Summe aller Importe nach Kuba betrug 2013 rund 13 Milliarden US-Dollar. China exportierte nach Angaben der UN-Handelsorganisation UNCTAD Waren im Wert von 1,3 Milliarden US-Dollar, Brasiliens Exporte summierten sich auf 528 Millionen Dollar.
Wichtigster Handelspartner Kubas ist mit Abstand immer noch Venezuela, auch wenn der Handel aufgrund der Wirtschaftskrise in dem südamerikanischen Land zurückgeht. 2012 lieferte Caracas Güter für sechs Milliarden Dollar nach Havanna, hauptsächlich Erdöl.
Außenminister Steinmeier setzt bei der Wiederannäherung auf die Lehren der deutschen Wiedervereinigung. "Auch wenn wir unterschiedliche Vorstellungen von Demokratie haben, wir nehmen in Kuba eine Öffnung wahr, zu der wir Deutsche mit unseren Transformationserfahrungen auch Einiges anzubieten haben", erklärte er noch vor seinem Abflug.
Menschenrechtsorganisationen fordern Steinmeier auf, diese unterschiedlichen Vorstellungen von Demokratie auch anzusprechen. "Kubas diplomatisches Tauwetter hat bislang keinerlei Lockerung der Medienkontrolle und Zensur mit sich gebracht", heißt in einer Stellungnahme von "Reporter ohne Grenzen". Steinmeier solle die Annäherung an Kuba nutzen, um auf die Lage der inhaftierten Journalisten und Blogger hinzuweisen.
Wird nicht nur Steinmeier, sondern auch der neue US-Botschafter in Havanna das Thema Menschenrechte ansprechen? Nur zwei Tage nach der Abreise des deutschen Außenministers steht in Havanna der nächste historische Termin an: Am 20. Juli wird nach 54 Jahren Eiszeit die US-Botschaft in der kubanischen Hauptstadt wieder eröffnet.