Tielbörger: "Ökosysteme im Nahen Osten für Klimawandel gerüstet"
8. Oktober 2014Deutsche Welle: Frau Professor Tielbörger, haben Sie vor Beginn der Forschungsarbeiten die Bibel gelesen, um Erkenntnisse zu gewinnen, welche Pflanzen im Nahen Osten gedeihten?
Katja Tielbörger: Die Bibel habe ich als Kind gelesen, aber ich war sehr oft im Nahen Osten, kannte die Pflanzen aus eigener Anschauung.
Deutsche Welle: In Israel wurde vor 2000 Jahren Hirse angebaut, daneben Linsen, Bohnen, Zwiebelarten und Gewürze wie Koriander oder Schwarzkümmel. In den Obstgärten wurden Granatäpfel, Datteln, Feigen, Mandeln und Oliven geerntet. Welche Pflanzen haben Sie untersucht?
Tielbörger: Eher kleine Pflanzen, wie Linsen oder Vorläufer von Kulturgräsern, wie Urhafer, Urweizen, Urgerste. Und gerade diese einjährigen Pflanzen sind sehr widerstandsfähig gegenüber dem Klimawandel. Wir haben die Pflanzen 13 Jahre getriezt, bei einem der größten Freilandexperimente dieser Art, mit Klimamanipulation. Wir haben sie künstlich trocken gehalten - auch in der Wüstenregion - und wir haben keinen Effekt festgestellt, zum Beispiel auf die Biomasse oder auf die Dichte. Das heißt: Auf gleicher Fläche hat die Anzahl der Gewächse nicht abgenommen und sie wurden auch nicht kleiner. Die Tiere, die die Pflanzen fressen, brauchten also nicht mehr Nahrung zu suchen, weil die Pflanzen sich trotz der erschwerten Bedingungen im Umfang nicht verändert hatten. Wir haben auch keinen Effekt auf die Vielfalt der Pflanzen festgestellt. Keine der untersuchten Arten war vom Aussterben bedroht durch die künstliche und lange Trockenheit. Die biblischen Ökosysteme sind sehr resistent gegenüber dem Klimawandel. Sie überstehen mehr als sieben Dürrejahre.
Deutsche Welle: Ist das Ergebnis enttäuschend für Sie, weil andere Ergebnisse, den Klimawandel betreffend, eher ein Horrorszenario beschreiben?
Tielbörger: Nein. Die Leute sind natürlich sehr überrascht und in der wissenschaftlichen Literatur heißt es auch, dass Trockengebiete sehr anfällig sind gegenüber dem Klimawandel. Denn, wenn es noch trockener wird, dann kippen die Systeme um und gehen völlig kaputt. Unsere Ergebnisse widersprechen dem. Denn das Klima im Nahen Osten hat sich seit Jahrtausenden nicht geändert. Es ist mediterran mit einem feucht-milden Winter und einem trocken-heißen Sommer.
Deutsche Welle: Warum haben Sie den Nahen Osten für Ihre Untersuchungen gewählt?
Tielbörger: Das war eine politische Entscheidung. Die Untersuchungen waren Teil eines größeren Projekts zur nachhaltigen Wassernutzung am Jordan, gefördert vom Deutschen Ministerium für Bildung und Forschung (BMBF). Beteiligt waren Israelis, Palästinenser und Jordanier. Sie haben zusammengearbeitet und gemeinsam Lösungen entwickelt unter deutscher Führung. Das war eine echte Friedensinitiative. Und die Region ist, was den Klimawandel angeht, eine spannende Region, denn alles dreht sich ums Wasser. Es gibt nicht genügend davon. Und wir haben uns die Fragen gestellt: "Was geschieht, wenn es noch wärmer, noch trockener wird?" Und zu unserer Überraschung verändert sich so gut wie nichts. Interessant war zu beobachten, dass die Resistenz nicht mehr gegeben ist auf Flächen, die zu stark beweidet werden. Das betrifft die Gräser, die gern von Schafen und Ziegen gefressen werden. Die sind empfindlich gegenüber dem Klimawandel. Und das Problem in Israel wie auch Jordanien ist, dass immer stärker beweidet wird.
Deutsche Welle: Wer profitiert denn von ihren Ergebnissen?
Tielbörger: Die politischen Entscheidungsträger in der Region. Sie wissen jetzt, dass Überweidung und auch die bewässerte Landnutzung dem Klimawandel nicht bestehen können. Die Ökosysteme sollten möglichst sich selbst überlassen bleiben. Schwierig ist es allerdings, den Bauern und Beduinen diese Auswirkungen klar zu machen, vor allem, wenn sie eine kulturelle Identität mit ihren Tieren verbinden. Das Problem konnten wir nicht lösen.
Professor Katja Tielbörger arbeitet am Institut für Evolution und Ökologie - Vegetationsökologie, das zur mathematisch-naturwissenschaftlichen Fakultät der Uni Tübingen gehört.
Das Gespräch führte Karin Jäger.